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1976

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 3

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Geerlings, Wilhelm: Der manichäische „Jesus patibilis"
in der Theologie Augustins (ThQ 152, 1972 S. 124-131).

Köbert, R.: Zur Hs. Vat syr 268 (Bibl 56, 1975 S. 247 bis
250).

Mühlenberg, Ekkehard: Wieviel Erlösungen kennt der
Gnostiker Herakleon? (ZNW 66, 1975 S. 170-193).

Ruhbach, Gerhard: Neuere Literatur zur Alten Kirche
(ThR 39, 1974 S. 70-86).

Staats, Reinhart: Die Sonntagnachtgottesdienste der
christlichen Frühzeit (ZNW 66, 1975 S. 242-263).

Tetz, Martin: Über die nikäische Orthodoxie. Der sog.
Tomus ad Antiochenos des Athanasios von Alexandrien
(ZNW 66, 1975 S. 194-222).

Verheijen, L.: Contributions ä une edition critique amc-
liorce des Confessions de Saint Augustin (Augustiniana
25, 1975 S. 5-23).

Vogt, Hermann Jose!: Sohn Gottes — Logos des Schopfers
. Verwertung hellenistischer Gedanken bei den
Kirchenvätern (ThQ 154, 1974 S. 250-265).

Zeron, A.: Lacrimatoria and Pseudo-Philo's Biblical An-
tiquities (IEJ 23, 1973 S. 238).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Bobcrach, Heinz: Berichte des SD und der Gestapo über
Kirchen und Kirchenvolk in Deutschland 1934—1944.

Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag [1971]. XLIII, 1021
S. 4° = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte
bei der Katholischen Akademie in Bayern,
in Verb. m. D. Albrecht, A. Kraus, R. Morsey hrsg. v.
K. Repgen. Reihe A: Quellen, Bd. 12. Lw. DM 155,-.

Die Lektüre vermittelt etwas von der Atmosphäre, in
der sich das Leben der Kirchen unter den Bedingungen
der NS-Diktatur vollzog. Die nicht vorurteilsfreie, sondern
durchaus voreingenommene Sicht, die diese Berichte
widerspiegeln, hat für sich, daß auf propagandistische
Verfälschungen der ermittelten Sachverhalte verzichtet
wird. Insofern vermitteln sie einen interessanten Überblick
über oft unterschwellige Vorgänge im kirchlichen
Kräftefeld. Die im ganzen Reich gesammelten Einzelbeobachtungen
werden in repräsentativen Berichten referierend
dargeboten. Die für die religionspolitische Entscheidungsfindung
der NS-Exponenten auf alle Fälle
wichtige Berichterstattung, die Reichsleitern und Reichsministern
des NS-Staates (übrigens auch für hier nicht berücksichtigte
„Lebensgebiete" und „Gegnergruppen",
vgl. Boberach: Meldungen aus dem Reich. Neuwied und
Berlin 1965) vorgelegen hat, in ressortspezifischer Auswahl
auch den Leitern der Ministerialbürokratie zugänglich
gemacht worden sein dürfte, vermittelt die Optik
, wie konfessionelles Leben in breitestem Maßstab sich
den Machthabern des Dritten Reiches darstellte. Dabei
dominierte eine auf möglichste Ausschaltung des kirchlichen
Einflusses hinzielende Beurteilungssicht, wie sie in
differenzierter Weise für die weltanschaulichen Distan-
zierungskräfte charakteristisch war. Für die kirchlichen
Kräfte, die eine Synthese von Christentum und Nationalsozialismus
herstellen wollten, war man verständnislos
. Entsprechende Versuche wurden in den Berichten
weitgehend ignoriert oder als „heimtückische Kampfmittel
des Gegners interpretiert, der damit die nationalsozialistischen
Grundwerte zersetzen wolle, und die
Deutschen Christen galten fast als größere Bedrohung
für die Weltanschauung der SS als die Bekennende Kirche
" (XLI; vgl. 556ff.). Die Propaganda der DC-Bewe-
gungen, deren nationalkirchlicher Typ in seinen Identifizierungstendenzen
von Kirche und NS-Staat als „krampfhaft
" bezeichnet wurde, galt als weltanschauliche Konkurrenz
zur eigenen Ideologie und schien den christlichen
Einfluß — wenngleich in substantiell verdünnter

Form — künstlich zu konservieren. Andererseits galt die
Bekennende Kirche zunehmend als staatsschädigend,
auch wo deren Vertreter um ein loyales Verhältnis zum
Staat bemüht waren: ihr religiöser Einfluß setzte der
weltanschaulichen Durchdringung schwer durchbrechbare
Schranken und leistete einen unwägbaren Beitrag
zur geistigen Immunisierung gegenüber der NS-Ideolo-
gie.

Als besonders staatsschädigend wurde der Einfluß des
wegen seiner autoritativen Strukturen schlagkräftigen
und wegen seiner internationalen Verflechtung suspekt
erscheinenden Katholizismus empfunden; die Zahl der
Verhaftungen von katholischen Priestern betrug oft das
Mehrfache des protestantischen Anteils.

Die Dokumente bieten das Bild einer breiten religiösen
Volksopposition im Dritten Reich; sie zeigen die breite
Palette möglichen Widerstandes gegen das NS-Regime
und belegen nicht nur die These vom objektiven Störfaktor
, den die Kirchen im NS-Staat darstellten, sondern
zeigen auch, wie Aversionen sich artikulierten, die systemschädigend
empfunden wurden. Man gewinnt den
Eindruck einer sukzessiv sich verstärkenden Unzufriedenheit
auch der religiös orientierten Bevölkerung mit
den Verhältnissen des NS-Staates. Die Aktivitäten der
Katholischen Aktion mit ihren Einflüssen auf die Jugend
wie überhaupt auf die verschiedenen Bevölkerungsschichten
wurden als politischer Katholizismus verdächtigt
. Die Gefahr des protestantischen Kirchenstreites
wurde in der Beteiligung von Reichsfeinden und in seiner
mittelbaren staatsfeindlichen Auswirkung gesehen. Dabei
spielte zunächst die Auslandsoptik eine erhebliche
Rolle: der Rückschlag der deutschchristlichen Kirchenpolitik
, die vom NS-Regime unterstützt worden war,
konnte im Ausland als Rückschlag des NS-Systems bewertet
werden und hatte so staatsschädigende Bedeutung
. Kirchlich-literarische Anleihen beim NS-Gedan-
kengut und der entsprechenden völkischen Begrifflich -
keit galten als besonders raffinierte Form der Opposition.
Ihre ideologiezersetzende Funktion galt auch dort als erwiesen
, wo die Kirchen Adaptionen an die Gedankenwelt
des Dritten Reiches aus volksmissionarischen Gründen
oder zum Zwecke des Selbstschutzes vornahmen.
Bezeichnend für die Kriegszeit war, daß auf dem Gebiet
der Gefallenenehrung und der Lebensfeiern die NSDAP
auf der ganzen Linie den kürzeren zog. Die nach Kriegsbeginn
spürbare Reaktivierung kirchlichen Einflusses
(Zunahme staatlich unkontrollierbarer Wiedereintritte in
die Kirche, kulturelle Einflüsse durch Kirchenkonzerte
etc.) wurde nur mit Unbehagen registriert. Rivalitäten
zeigten sich auch auf dem Gebiet der Jugendarbeit, da
der Kriegseinsatz von HJ-Führern Qualitätsminderungen
auf diesem Sektor bedingte, die der kirchlichen Jugendarbeit
neue Chancen boten.

Die Arbeit des SD geschah unter der ausdrücklichen
Devise, die Rückeroberung konfessioneller Einflußmöglichkeiten
durch die Kirchen zu vereiteln und die Gefahrenpunkte
zu markieren, die sich aus der Wirksamkeit
der Kirchen im Dritten Reich für das NS-System zu ergeben
schienen. Daß die Gestapo gegen Pfarrer und
christliche Laien mit Verhaftungen vorging, zeigen viele
Beispiele festgenommener Pfarrer, Ordensleute, auch
Gemeindeglieder, die sich unvorsichtig geäußert hatten
und nun wegen Wehrkraftzersetzung, Rundfunkverbrechen
und anderer damals üblicher Delikte zur Rechenschaft
gezogen wurden. Im ganzen wird die Tendenz zur
Drosselung kirchlicher Lebensäußerungen auf Schritt und
Tritt belegt, wenngleich die Kriegszeit, gelegentlich auch
widerstreitende Direktiven es nicht zur radikalen Flurbereinigung
kommen ließen, der diese Berichterstattung
auf lange Sicht dienen sollte.

So bietet dieses Opus in editorisch vorbildlicher Form
die weitgehend noch unveröffentlichten Berichte der Ge-