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Ausgabe:

1975

Spalte:

173-188

Autor/Hrsg.:

Brunner, Peter

Titel/Untertitel:

Ein Vorschlag für die Ordination in Kirchen lutherischen Bekenntnisses 1975

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 19/5 Nr. 3

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Teil von Lathen Worttheologie, ebenso die Zweireichelehre,
wo — vereinfacht gesagt — zur Rechten das innere Wort
gilt und zur hinken das äoßcrc.

Der Zugang zu Lathen Theologie in ihrer Gesamtheit ist
für iiTis so schwer, weil Luthers Rechtfertigungslehre offensichtlich
nicht als Grundlage für eine Gesamtdarstellung
genügt. Vor allem genetiseh stellt sie meines Krachtens nicht
am Anfang, sondern sie ist die Folge eines neuen Hörens
auf die Heilige Schrift. Vielleicht würde es möglich sein, aus
Luthers Vorstellung vom Wort Gottes und seiner Art, mit
der Heiligen Schrift umzugehen, die Kniwicklung seiner
Theologie darzustellen, ja sie sogar systematisch darzubieten,
Es mlitt auch die Frage aufgeworfen werden, was Luther
angeregt hat, das Wort Gottes so in den Mittelpunkt zu
stellen. Positiv scheint mir nach anbefriedigender Begegnung
mit der Scholastik die geistige Bewegung seiner Zeit auf ihn
gewirkt zu hahen, die sich von der Logik als Grundwissenschaft
abkehrte und dafür die Beschäftigung mit dem Wort
und der Rede in den Mittelpunkt stellte, nämlich der
Humanismus, wie er ihm während seiner Erfurter Studienzeit
begegnete. Damit soll die reformatorische Theologie nicht
als Folge des Humanismus erklärt werden22, sondern es soll
für uns verstehbar werden, warum Luther gerade in dieser
Perm seine reformatorische Entdeckung machte und ihr
gerade diese Gestalt gab. Es wird dadurch zugleich einsichtig
, warum seine Zeitgenossen, die der Scholastik müde
waren und vom Humanismus geprägt wurden, bereitwillig
seine Theologie aufnahmen. Hei aller Anerkennung der Teilergebnisse
einer Lutherinterprelation, die davon ausgeht, dal.i
es Luther vor allem um das Exislenzverstündnis gegangen
sei, scheint, mir damit an Luther ein Denkschema herangetragen
zu werden, das für ihn mindestens nicht so in der
Mitte stehen konnte. Wenn aber nun In die Theologie
tatsächlich Kategorien der modernen Linguistik einziehen23,
wird es leichter werden, Luthers Theologie sowohl historisch
getreuer als auch zugleich für uns fruchtbarer darzustellen
. Ks kann sich dabei ergeben, daß unsere Einsichten
in die Beschaffenheil und die Möglichkeiten des Wortes und
der Sprache sich von den Vorstellungen Luthers unterscheiden
, woraus die Aufgabe erwüchse, Luthers Lehre vom
Wort Gottes unter Verwendung dieser Erkenntnisse zu vergegenwärtigen
.

1 Dieser Beilrag wurde am 26. September 1974 dem Theologischen Arbeitskreis
für Rcformationsgeschiditliche Forschung auf der Tagung in
Lisenadi vorgetragen. Ich danke allen, die durch ihre Teilnahme an der
Diskussion midi veranlaßt haben, einige Stellen präziser zu formulieren.

2 P. Sdiempp: Luthers Stellung zur Heiligen Schrift. München 19211.

3 H. Bornkamm: Das Wort Gottes bei Luther. München 1933.
' G. Ebeling: Luthersludien. Bd. 1. Tübingen 1971, 32-38.

5 L". Nembach: Predigt des Evangeliums: Luther als Prediger, Pädagoge
und Khetor. .Neukirchen-Vluyn 1972; E.-W. Kohls: Luthers Aussagen
über die Mitte, Klarheit und Selbsttätigkeit der Heiligen Schrift,
l.utherjahrbuch 40 (1973), 46—75.

• R. Hermann: Luthers Theologie. Berlin 1967; P. Althaus: Die Theologie
Martin Luthers. Gütersloh 1962. Damit soll nicht behauptet Werlte
», R. Hermann habe sidi nidit mit diesen Problemen beschäftigt (vgl.
sein Budi „Von der Klarheit der Heiligen Schrift. Berlin 1958"). Es geht
liier nur um die Frage, weldien Stellenwert der Wortlehre Luthers für
eine Gesamtdarstellung seiner Theologie eingeräumt wird.

7 Vgl. E. Vogelsang: Die Anfänge von Luthers Christologie nadi der
eisten Psalmenvorlesung insbesondere in ihren exegetischen und systc-
inatisdien Zusammenhängen mit Augustin und der Sdiolastik dargestellt.
Berlin 1929, 165-168.

8 Unter Anlehnung an Hebr l,lf. weist Luther darauf hin, daß Gott
durch seine Propheten und durdi seinen Mensch gewordenen Christus
gesprodien hat (WA 3,280,13-15).

9 WA 3,255,31—37: «... ad me os tuum non aperias, sed scias. quo-
niam lingua mea, per quam eruetat cor meum tibi, est calamus scribe
velociter scribentis: si ergo paraveris te ad scripturam dei, lingua mea
et ruetus meus, verbuin quod foris loquor, ipse Spiritus sanetus in te
scribet per linguam meam velociter, ut non Sit necesse multa mc verba
facere, sed solus ruetus sufflciet illi scriptori, ut te in illo et per Unun
informet. Quia ex unico verpo potest totum cor tuum replere."

10 Ebeling a.a.O., 18f.
« Ebd., 19.26.

12 Vom Gesetz Christi als Evangelium spricht Luther auch WA 55 II I,
31,6-32,2. Er folgt darin der Tradition.

13 WA 55 II 1,1,14f. ; R. Schwarz: Beschreibung der Dresdner Scholion-
llandsrhrift von Luthers 1. Psalmen Vorlesung. ZKG 82 (1971), 65—93.

u Vgl. J. S. Preus: From Shadow to Promise: Old Testament Interpretation
from Augustiue to tlie Young Luther. Cambridge. Mass. 1969,
210-255.

■ WA 4,379,35-380.2. Zu „in capite" vgl. WA 3,225,37f.
» WA 4,153,27-29; Vogelsang a.a.O., 15.24t.

17 B. Hägglund: Evidentia sacrae scripturae: Bemerkungen zum
..Srliriftprinzip'' bei Luther. In: Vierhundertfünfzig Jahre lutherische
Reformation 1517—1967. Festschrift für Franz Lau. Berlin 1967, 119f.

18 E. Bizer: Fides ex auditu. Eine Untersuchung über die Entdeckung
der Gerechtigkeit Gottes durch Martin Luther. 3. erw. Aufl. Neukirchen-
Vluyn 1966, 180.181.186f.

19 O. Baver: Promissio: Geschidile der reformatorischen Wende in
Luthers Theologie. Göllingen 1971, 17-24.27f.

20 Ebeling a.a.O., 11.33.

21 Auf der Tagung ergab sich aus einem Diskussionsbeilrag von Ulrich
Gäbler über das Wort- und .Sprachverständnis der Spiritualisten die
Überzeugung, daß eine Untersuchung des Wort- und Sprachverständnisses
der verschiedenen Gruppen im 16. Jh. neue Erkenntnisse über
die Ursachen ihrer Gegensätze aufdecken würde.

22 Daß es in diesem Sinne kein Erklären historischer Vorgänge gehen
kann, hat schon Johann Gustav Droysen deutlich gemacht (Grundriß
der rilltorik. Halle 1925. 19f.).

23 Vgl. W. Schenk: Die Aufgaben der Exegese und die Mittel der
I.iiiaiiUlik. ThI.Z 98 (197.1), Sp. 881-894.

Ein Vorschlag für die Ordination in Kirchen lutherischen Bekenntnisses

Von Peter Brunner, Xeckargemund

Seitdem die Generalsynode der VELKD 1!)73 In Lübeck-
Travemünde mit Beschluß vom -">. Oktober den Entwurf
„Ordinntions- und Kinfülirungshandlungen I. Teil" (im
folgenden abgekürzt: E) ihm Gliedkirchen „zur Stellungnahme
und Erprobung" zugeleitet hat, hahen diese Kirchen
kein ()rdinatjnnsfnrmulur mehr, das eindeutig und ausschließlich
kirchenrechtliche Geltung hat. Denn der Ordi-
nator ist nunmehr ermächtigt, zur Erprobung nach dem
Formular dieses Entwurfes zu ordinieren. Mit der Möglichkeit,
daJB das bisher geltende Formular Von 1!)51 (Ahkürzung:

ELKD "il)1 Im Gebrauch mehr und mehr zurücktritt, muJQ
gerechnet werden. Andererseits dürfte aber da und dort

bereits deutlich geworden sein, daß I') in seiner gegenwärtigen

Gestalt nicht das endgültige Formular der Zukunft sein kann,
B bedarf einer Überarbeitung, Nimmt maii hinzu, daß von
den Vereinigten Staaten in Amerika bis hin zu Finnland in
den lutherischen Kirchen Ausschüsse an Entwürfen für

tlrdinalionsfcirmulare arbeiten, so kann mau sieh des Eindrucks
nicht erwehren, daß wir auch auf liturgischem Gebiet
vor einem Einschnitt sieben, der für das Verständnis von
Amt und Ordination auch unter ökumenischem Aspekt von
großer Bedeutung sein kann, sei es in einein die Auferbaiiung
der Kirche Gottes fördernden oder ihn hemmenden Sinn.

Darauf weisen auch diejenigen Ordinationsformulare hin,
die den Prozeß der Erprobung bereits hinter sich haben und
kirchenrechtlich in Geltung gesetzt wurden wie das Formular
der evangelischen Kirche in Württemberg von 1971 (Abkürzung
V)2 und (las einflußreiche l'ormular der Arnolds-
haincr Konferenz von 1072 (Abkürzung A)3. Es soll nicht
verkannt werden, dal.i diese Formulare dazu dienten, eine in

den 60er Jahren ausgebrochene Krise der Ordination soweit
aufzufangen, daß eine drohende Aushöhlung ihres Gehaltes
verhindert werden konnte. Insbesondere dürften liturgische
Gestaltungselemente von A auch für lutherische Kirchen von
Bedeutung sein. Bekanntlich hat A bereits auf E einen nicht
geringen Einfluß ausgeübt. Andererseits sind diese „Auf-
rangsformulare" begreiflicherweise in mancher Hinsicht auch
,.Anpassungsformularc''. Dadurch rufen sie die kritische
Frage hervor, ob sie der Sache, um die es in der Ordination
gehl, wirklich gerecht werden. Dabei muß auch geprüft
werden, welche liturgische Gestalt dem geistlichen Wesen der
Ordination am besten angemessen ist.

Die Arbeit an einem zukünftigen Ordiiiationsforinular
wird nicht, gelingen, wenn sie die Tradition nicht berücksichtigt
, die das bisher geltende Formular geprägt hat. Daß
die Tradition als solche nicht entscheidender Maßstab sein