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Ausgabe:

1975

Spalte:

155-159

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Mohr, Hans

Titel/Untertitel:

Predigt in der Zeit 1975

Rezensent:

Theurich, Henning

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155

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 2

156

Koschorke, Martin: Die rechtliche Neuregelung der Abtreibung
(JK 35, 1974 S. 255-268).

Kozäk, J. B.: Nature and Ethics (ComViat 15, 1972 S. 223
bis 139).

McMahon, Thomas: Verpflichtung zur Macht und Machtkontrolle
(Concilium 9, 1973, S. 699-707).

Marhold, Wolfgang: Die Gesellschaft im kirchlichen Bewußtsein
(ZEE 17, 1973 S. 359-368).

Maron, Gottfried: Bemerkungen zum Thema „Toleranz"
(ZdZ 27, 1973 S. 456-462).

Marsch, Wolf-Dieter: Die Folgen der Freiheit. Christliche
Ethik in der technischen Welt, hrsg. v. M. Schibilsky u.
H. Przybylski. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn [1974]. 128 S. 8° = Gütersloher Taschenbücher
, 89. DM 8,80.

Martin, Gerhard M.: „Provozierte Religion". Zehn Abschnitte
über bewußtseinserweiternde Drogen (ZEE
18,1974 S. 164-180).

Meurer, Siegfried: Das Problem der Homosexualität in
theologischer Sicht (ZEE 18, 1974 S. 38-48).

Müller, Gotthold: Die „Krisis" der Ethik und die Nachfolge
Christi (StTh 28, 1974 S. 57-67).

PRAKTISCHE THEOLOGIE:

Mohr, Hans: Predigt in der Zeit. Dargestellt an der Geschichte
der evangelischen Predigt über Lukas 5,1-11.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1973]. XXXII.
416 S. gr. 8° = Arbeiten zur Pastoraltheologie, hrsg.
v. M. Fischer u. R. Frick, 11. Kart. DM 50,—.

Die jetzt im Druck vorliegende material- und kenntnisreiche
Tübinger Dissertation von 1968, die von Werner
Jetter betreut wurde, möchte dem interessierten Leser
auf einem begrenzten Gebiet der Predigtgeschichte das
Vergnügen des Vf.s mitteilen, „die hermeneutische Odyssee
eines gewichtigen evangelischen Texts durch nahezu
zweitausend Jahre der Auslegungs- und Theologiegeschichte
zu beobachten" (VI). M. übernimmt G. Ebelings
hermeneutisches Programm für die Predigtgeschichte
(179), indem ihn die .Neugier' bewegt: „Was wird aus
einem Text, wenn er durch spätere Generationen interpretiert
wird? . .. Wo ist die Grenze, an der festzustellen
ist: Von hier ab kann man nicht von Auslegung jenes
Texts reden; hier überwiegt das Aktuelle, das Neue,
das Eigene der Interpretation?" (191).

Mit der Frage nach dieser Grenze verfolgt M. das
„heimliche Ziel", aus der Predigtgeschichte „Gesichtspunkte
und Kriterien für die gegenwärtige kirchliche
Predigt zu gewinnen" (IX), die ja nicht allein Textauslegung
ist, deren Aufgabe M. vielmehr umfassend definiert
: „Predigt, das heißt: Vollmächtige Vergegenwärtigung
einer einst mit dem Anspruch prophetischer Inspiration
Menschen jener Zeit zugesprochenen Botschaft
durch einen von dieser Botschaft überführten Zeugen der
Gegenwart für eine konkrete Gemeinde zu bestimmter
Zeit an unaustauschbarem Ort" (191 f.). Um es vorwegzunehmen
: für die im homiletischen Feld von Text und Situation
, von Tradition und Inspiration lokalisierte Predigtaufgabe
ergibt sich für M. lediglich ein negatives Resultat
: „Falsche Exegese läßt sich mit Argumenten widerlegen
, aber im gegenwärtigen Zusprechen des Evangeliums
gibt es keine erlernbare oder nachprüfbare Regel
" (337). Sollte dies das Fazit der Predigtgeschichte für
gegenwärtige Homiletik sein, daß eben rational nicht
nachprüfbar ist, was doch mit Gründen gelernt und angefertigt
werden soll?

Für die Wahl der altkirchlichen Perikope des 5. Sonntags
n. Tr. zum heuristischen Prinzip eines predigtgeschichtlichen
Längsschnitts sprach einmal die große Zahl
der zu ihr angefertigten Predigten (insgesamt 240 wurden
von M. untersucht), sodann die Vielzahl ihrer zu verschiedenen
Predigtgegenständen verlockenden inhaltlichen
Komponenten und schließlich die Vermutung, daß
die jeweilige homiletische Behandlung des in ihr berichteten
Naturwunders besonderen Einblick in den geistesgeschichtlichen
Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit
gibt.

Die auch von M. angewandte herkömmliche Gliederung
in einen historischen und einen systematischen Teil
bringt manche Wiederholung mit sich, was jedoch angesichts
der Fülle des von M. erarbeiteten Stoffs nicht nur
nachteilig ist. Im ersten Hauptteil seiner Untersuchung
gibt M. einen „historischen Überblick" von der Predigt
der Reformationszeit bis zur Predigt der Zeitgenossen
seit K. Barth (1-120). Den Einsatz bei der Reformation,
mit dem die gesamte, freilich nur exemplarisch angeführte
altkirchliche und mittelalterliche Auslegung in
den Anmerkungsteil der Arbeit (357—416) verwiesen wird,
begründet M. mit der u. a. von K. Holl und G. Ebeling
nachgewiesenen „grundstürzenden Wandlung" (4), die
Luthers Abkehr vom vierfachen Schriftsinn und von der
Herrschaft der Allegorese in der traditionellen Auslegung
für die Predigt der Folgezeit herbeigeführt hat. Indem
Luther sich auf den buchstäblichen als den eigentlich
.geistlichen' Schriftsinn konzentrierte, wurde „der Allegorese
in der abendländischen Schriftauslegung das
Rückgrat gebrochen. Nur noch ganz vereinzelt stoßen wir
auf allegorische Gedankengänge, und die Allgemeinverbindlichkeit
der allegorischen Topoi ist endgültig dahin"
(7).

Über M. hinaus ist an dieser Stelle für die Predigtarbeit
heute zu fragen, ob nicht die von der vorreformato-
rischen Allegorese bereitgehaltenen allgemeinverbindlichen
Topoi einem homiletischen Erfordernis entgegenkamen
, das von der buchstäblichen Auslegung — später
von der historisch-kritischen Exegese — allein nicht mehr
erfüllt werden konnte (183ff.). Luther selbst hat ja, indem
er auch das ,äußere' Geschehen des wunderbaren
Fischfangs in Lk 5 von allegorischer Deutung freihielt,
den in seiner Wirkung kaum zu überschätzenden tropo-
logischen Beruf-Segen-Topos geschaffen (351 f.): „Seither
haben ungezählte, die überwiegende Mehrzahl der
lutherisch beeinflußten Prediger anhand von Lk 5 teilweise
oder ausschließlich über den irdischen Beruf des
Christen, über Treue, Glauben und Gehorsam im Beruf
gepredigt; am 5. post Trin wurde der evangelischen Christenheit
die lutherische Berufsethik jahrhundertelang au f
nahezu allen Kanzeln nahegebracht" (6).

Was M. in den Kapiteln über die „Zeit der lutherischen
Orthodoxie", die „Predigt im Pietismus", die „Neuorientierung
der Predigt" in „Neologie, Rationalismus und
Supranaturalismus", das „neunzehnte Jahrhundert" sowie
über die Zeit „von der Jahrhundertwende bis zum
Ende des Ersten Weltkriegs" ausführt, bedeutet eine
wertvolle Bereicherung und Vertiefung bisheriger predigtgeschichtlicher
Kenntnisse im Detail, bringt im wesentlichen
aber keine neuen Erkenntnisse. Schließlich
führt M. den Nachweis, daß auch K. Barth und R. Bultmann
nicht der Gefahr entgangen sind, den Hauptnachdruck
ihrer Predigten über Lk 5 außerhalb des Textsko-
pus zu legen. Bei Barth zeige sich, „daß gerade das scheinbare
Nachbuchstabieren des Texts in der Homilie sich
dem Textwillen entziehen" und statt dessen der eigenen
Dogmatik das Wort erteilen kann (93). Hier ist allerdings
anzumerken, daß für M. selbst die dogmatische Reflexion
auf dem Weg vom Text zur Predigt keine klar erkennbare
Bedeutung hat.

Dieser Mangel fällt besonders in der „systematischen
Untersuchung" (121—350) auf, die M. im zweiten Hauptteil
seiner Arbeit unter den Fragen nach der „Rolle der
Texterläuterung in der Predigt" und nach der „Vergegenwärtigung
des exegetischen Ertrags" in der Predigt durch-