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Ausgabe:

1975

Spalte:

137-139

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

1521 [Fuenfzehnhunderteinundzwanzig] Luther in Worms 1971 1975

Rezensent:

Rogge, Joachim

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137

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 2

138

Miyatani, Yoshichika: Spiritus und Littera bei Augustin.
Eine historisch-hermeneutische Untersuchung zu 2 Kor
3,6b (Theol. Dissertation, Heidelberg 1973).

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Reuter, Fritz: Luther in Worms 1521—1971. Ansprachen,
Vorträge, Predigten und Berichte zum 450-Jahrgeden-
ken im Auftrag des „Kuratorium Wormser Reichstag
1521-1971" hrsg. Worms: Stadtarchiv (Marktplatz 10)
1973. 235 S., 2 Taf. gr. 8°.

Jetzt liegt ein zweiter wohlausgestatteter Band in Zusammenhang
mit der Luthersache vor 450 Jahren auf
dem Reichstag zu Worms vor, und zwar von demselben
Herausgeber. Man wird die Stadt Worms und das ..Kuratorium
Wormser Reichstag 1521—1971" beglückwünschen
dürfen, daf3 sich beide Institutionen auch zu einem — und
zu solchem — literarischen Niederschlag des 450-Jahrge-
denkens entschlossen haben. Der erste Band, der in Gestalt
einer Aufsatzsammlung mit 22 Beiträgen im Jubiläumsjahr
selbst erschienen ist, wurde bereits angezeigt
(ThLZ 98, 1973 Sp. 53-56).

Das Vorliegende enthält eine Dokumentation bzw. Berichte
über die Festwoche und über weitere „Veranstaltungen
im Laufe des Jahres 1971" (S. 226) in Verbindung
mit Luthers Anwesenheit auf der so folgenträchtigen
Reichsversammlung. Der Band ist deutlich unterteilt.
Eingangs sind die Ansprachen des Wormser Oberbürgermeisters
Kuhfuß und des Bundespräsidenten Heinemann
abgedruckt. Es folgt die Wiedergabe von fünf Vorträgen,
die während der Veranstaltungswoche zwischen dem 17.
und 25. April 1971 oder sonst im Verlaufe des Jubiläumsjahres
gehalten worden sind.

Danach finden sich die Predigt von Landesbischof Dietz-
felbinger und die Ansprachen der römisch-katholischen
Bischöfe Volk und Wetter sowie die des Kirchenpräsidenten
Hild, gehalten aus Anlaß ökumenischer Gottesdienste
am 18. April — Luthers zweitem Erscheinungsdatum vor
Kaiser und Reich im Jahre 1521 — im römisch-katholischen
Dom und in der evangelischen Dreifaltigkeitskirche
. Das ökumenische Gepräge des Veranstaltungskalenders
wird fortgesetzt durch ein „Theologengespräch", an
dem unter Leitung von Joachim Lell der damalige Dominikanerpater
Otto Hermann Pesch und der evangelische
Theologe Gerhard Steck beteiligt waren, gegen Ende
des Gesprächs unter Einbeziehung auch von Zuhörerfragen
. Dieses dankenswerterweise aufgezeichnete Gespräch
ist zur Ortsbestimmung heutiger Ekklesiologie
von erstaunlichem Niveau. Man kann viel daraus lernen,
vornehmlich das, wie nahe sich heute die Standpunkte
von Theologen beider Kirchen in entscheidenden Fragen
sein können.

Besondere Beachtung verdient der bilinguale Abdruck
des „Wormser Memorandums", das, von einer Reihe
Wormser römisch-katholischer Theologen und ,Laien1
verfaßt und an den Papst adressiert, „ein von katholischer
Seite erhofftes, die Spannungen lösendes Zeichen"
(S. 189) erbittet, welches als „ein klärendes Wort zur
Person und Lehre Martin Luthers aus heutiger katholischer
Sicht im Interesse der Vertiefung ökumenischer Arbeit
" (S. 177) geboten sei. Die Fragen um „die Aufhebung
der Bannbullen erstens gegen die ökumenischen Patriarchen
Photius und Cerularius und zweitens gegen Martin
Luther" (S. 192) spielen bekanntlich in der interkonfessionellen
Diskussion ohnehin eine gewisse Rolle. Das Memorandum
will hier neue Argumentationsanstöße — vornehmlich
was Luther angeht — geben. Richard Wisser
erörtert relativ ausführlich (S. 190-216) die Vor-, Entste-
hungs- und Wirkungsgeschichte des „Wormser Memorandums
", dessen Datum — der 6. März 1971 — bedeutsam
absichtsvoll mit dem des kaiserlichen Einladungsschreibens
vor viereinhalb Jahrhunderten zusammenstimmt
(s. S. 197). Er untersucht die mit dem wichtigen
Schritt katholischer Christen zusammenhängenden ökumenischen
Initiativen und qualifiziert das bisherige
Schweigen des Adressaten mit seiner Aufsatzüberschrift:
„Warten auf den Papst" (S. 190). Die Korrespondenz zwischen
dem Präsidenten des Einheitssekretariats, Kardinal
Willebrands, und dem Mitunterzeichner des Memorandums
Rudolf Knecht schließt den ausführlichen ökumenischen
Teil des Buches ab.

Zum Schluß gibt der Herausgeber einen Gesamtbericht
des Kuratoriums, der Programm, Veranstaltungsfolge,
Ausstellungen und literarische Aktivitäten in Zusammenhang
mit dem Reichstagsgedenken noch einmal anspricht
. Erwähnung verdient sicherlich auch der Versuch
eines Verfremdungseffekts, den der Galerist E. Worteikamp
(s. S. 226 u. 235) durch die zeitweilige zellenartige
Einkleidung des nach Anlage und Wirkung umstrittenen
Wormser Lutherdenkmals (s. ThLZ 98, 1973 Sp. 53,
u. Joachim Rogge: 1521—1971 Luther in Worms. Ein Quellenbuch
. Berlin 1971, S. 7) unternommen hat. Reuter gibt
in seinen Schlußsätzen bekannt, mit welchen Voraussetzungen
und Zielen man 1971 in Worms beieinander sein
wollte: „Die Form des 450-Jahrgedenkens war eine von
verschiedenen möglichen Formen, dem Thema und der
Zeit angemessen. Hinter die erlebten ökumenischen Hoffnungen
und Gemeinsamkeiten wird man nicht zurück
können. Kein Alibi für irgend jemanden, sondern Positionsbestimmung
, Zwischenstation der Wege aus Worms,
das bot Worms 1971" (S. 234).

Welcher Art die hier gesetzten ökumenischen, auch in-
nerreformatorischen und enger auf wissenschaftliche
Neusicht bezogenen Impulse sind, das zu untersuchen, ist
in diesem Rahmen nicht zu leisten. Es kann nur aufmerksam
gemacht werden auf einzelnes:

1. Gustav Heinemann wies auf die sozialethischen Implikationen
einer zu starr verstandenen Zwei-Reiche-
Lehre hin, die zur Entfremdung großer Teile der Arbeiterschaft
im 19. Jahrhundert beigetragen habe (S. 19).
Seine Kritik nach mehreren Seiten bezieht „Hilflosigkeit
und Versagen auch des Luthertums in Fragen dieser
Welt" mit ein. Inzwischen ist diese Rede in Zustimmung
und Ablehnung viel zitiert worden.

2. Heinrich Lutz (Luther und fünfhundert Jahre deutscher
Geschichte) schreitet als „wohldenkender Katholik
" (S. 21) die seit Worms 1521 vergangene und doch
vielfältig präsent gebliebene Geschichte ab. Er zeichnet
das vielschichtige Bild verständiger und unverständiger
Lutherrezeption, die als res disputanda unter uns von
faktisch verschiedenen Voraussetzungen aus thematisch
zu bleiben hat.

3. Das gleiche gilt für Rainer Wohlfeil (Reformation als
Frühbürgerliche Revolution?), der eine kritische Analyse
der im Aufsatztitel enthaltenen Begrifflichkeit in ihrer
Ausprägung im Rahmen marxistisch-leninistischer Geschichtswissenschaft
versucht. Immerhin will er einer
„Fortsetzung der Forschung in alten Bahnen" (S. 59) widerraten
, auch wenn ihm die „Reduktion" des Wesens
und Charakters der Reformation „auf einen revolutionären
politisch-sozialen Prozeß" als unzureichend erscheint
. Die Reformation sei „nicht nur religiös zu begreifen
, sondern muß in ihren Verflechtungen mit dem
gesellschaftlichen Leben Deutschlands in jenem Zeitalter
gesehen werden". Das wird immerhin fortgesetzt betont.
Wohlfeil empfiehlt deshalb „Auseinandersetzung und
Diskussion mit der DDR-Geschichtswissenschaft".

4. Der durch ein umfängliches Lutherbuch (1967) bekannt
gewordene Richard Friedenthal wendet sich der
vielerörterten Schlußformel Luthers auf dem Reichstag zu
(Hier stehe ich . .. Luther und das Lutherverständnis). Er