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1975

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 2

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Die Einleitung referiert zunächst die Diskussion um die
Authentizität des Werkes, in der sich die Herausgeberin
— P. Wendland und E. Brehier folgend — positiv entscheidet
. Das oft beobachtete und als Gegeninstanz angesehene
Fehlen der für den Schriftausleger Philo charakteristischen
Züge glaubt sie durch die Einordnung als Jugendschrift
(entstanden zwischen 9 p. und 19 p. Chr.) erklären
zu können (S. 15—28). Wie andere Vertreter der
Echtheit hält sich die Bearbeiterin jedoch für die Annahme
einer von der heutigen Gestalt abweichenden Abfolge
bestimmter Abschnitte offen (S. 34—39). Die sorgfältig
nachgezeichnete Gliederung des Traktates, der sich
als theoretische und praktische Demonstration der Freiheit
des Weisen versteht, verdeutlicht, daß die berühmten
Darlegungen über die Essener das am weitesten ausgeführte
Beispiel für die Grundthese der Schrift ist, dem
andere Exempel zur Seite stehen. Bei der Bestimmung
der Gattung wird das Werk einem eigenständigen, zuerst
bei Cicero und Musonius begegnenden literarischen Typ
zugeordnet, der Züge des Diskurses und der Diatribe in
sich vereint (S. 39—43). Ein wenig modernisierend wird
die den Gedankengehalt bestimmende paradoxale Struktur
herausgestellt: die griechische Idee vom Reichtum des
Weisen verbindet sich mit der im Bewußtsein des Philo
lebendigen Paradoxie des Judentums und ermöglicht die
für den Traktat kennzeichnende Fassung des Freiheitsbegriffs
(S. 44-57).

Ausführlich wird die Reihe der Schulen und Gestalten
der griechischen Philosophie vorgeführt, die Philo beeinflußt
oder als Beispiel gedient haben, von den vorsokra-
tischen „7 Weisen" über Pythagoras, Plato und Aristoteles
bis zu den Kynikern und Stoikern (S. 58—79). Wie
sehr Philo dem Bildungsideal und dem Bildungsinhalt
der hellenistischen Zeit verpflichtet war, hatte Monique
Alexandre in dem von ihr betreuten Bande der Werkausgabe
gezeigt2. Hier erfährt ihre Arbeit eine Weiterführung
, wenn gezeigt wird, welche literarischen Topoi
des Hellenismus und Zitate klassischer Autoren begegnen
, welche Vorstellungen über Idealgemeinschaften
(Gymnosophisten, Mager) aufgenommen werden (S. 80
bis 101).

Das Schlußkapitel behandelt den Bericht über die Essener
. Sie stehen als Exempel für die Freiheit des Weisen
, ihre Gemeinschaft ist aber auch — die Autorin nimmt
hier die Sicht des polnischen Qumranforschers W. Tyloch1
auf — mit deutlichen sozialkritischen Akzenten als ideale
civitas gezeichnet, die dem heidnischen Alexandrien
gegenübersteht. Daß es sich bei Philos Essenern und der
Gemeinschaft von Qumran um die gleiche Gruppe handelt
, ist für die Schülerin Duponl-Sommers selbstverständlich
. Anders als W. Bauer, dessen kritische Analyse
der Philo-Berichte sie offenbar nicht zur Kenntnis genommen
hat1, ist sie vom hohen Quellenwert der Darstellung
überzeugt. Dennoch konstatiert sie gewissenhaft
die Unterschiede: den Pazifismus der Essener, dem
Zeugnisse wie die Kriegsrolle von Qumran entgegenstehen
, die von Philo behauptete einvernehmliche Koexistenz
mit der Umwelt, zu der die Zeugnisse über Verfolgungen
(wie IQ Hab) nicht stimmen wollen; das Fehlen
entscheidender Züge qumranischer Dogmatik und Lebensform
in Philos Schilderung. Sie erklärt es damit, daß
die Kunde von Qumran und seiner Gedankenwelt Philo
in einer Brechung über die alexandrinischen Sympathisanten
erreicht hat, vielleicht über die eigene, levitischer
Tradition verpflichtete Familie, daneben auch über die
der Wurzel nach dem gleichen Herkunftsbereich zugehörigen
Therapeuten'-. Die Annahme, daß in diesem Milieu
auch die Sapientia Salomonis entstanden sein soll, wird
weiterer kritischer Nachfrage bedürfen.

Lang ist die Reihe der Anmerkungen, in denen wichtiges
Belegmaterial zur Begriffs- und Motivgeschichte und
zur historischen Einordnung des Alexandriners vorgelegt

wurde. Die Aufzählung kann nur weniges herausgreifen,
wie die Bemerkungen über den thiasos der Pythagoreer
(137,4), stoisches Material zum Vergleich der Krankheiten
des Körpers und der Leidenschaften der Seele (144,4),
die autopragia von Cicero bis Origenes (152,1) den orthos
logos (154,1), die etwas knapp gehaltenen (im wesentlichen
auf M. Friedländer fußenden) Ausführungen
über die Synagoge (203,2), Notizen über die philanthro-
pia (205,8) und die vita communis (206,1).

Zu den beeindruckendsten Ergebnissen der vertieften
Beschäftigung mit der Umwelt des Urchristentums im
letzten Jahrzehnt gehört die Erkenntnis, daß das Verhältnis
von Judentum und Hellenismus neu zu definieren
ist. Vorbei sind die Zeiten, wo man die eine Seite ausschließlich
durch Mysterienfrömmigkeit und Gnosis, die
andere durch den Pharisäismus bestimmt sah. Indessen
ist die Randzone, in der sich (heterodoxes) Judentum
und Hellenismus berühren und überschneiden, rasch in
den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Für den durch
die hier besprochene Philoschrift bezeichneten Ausschnitt
hat die Herausgeberin mit ihrer Edition ein wertvolles
Arbeitsinstrument bereitgestellt, mit ihren Forschungen
, die sich in der Einleitung und Anmerkungen
niedergeschlagen haben, die Diskussion eine wichtige
Strecke vorangebracht.

Halle/Saale Wolfgang Wiefel

' Los Ecrits esseniens decouverts pres de la mer Morte. Paris
1!;G0' (24-2»).

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' Schade, daß ein Hinweis auf die Untersuchungen von G.
Vermes über das Verhältnis von Essenern und Therapeuten fehlt,
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