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Ausgabe:

1975

Spalte:

120-122

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gräßer, Erich

Titel/Untertitel:

Text und Situation 1975

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 2

120

wählt. Jeder Psalm wird mit mehreren Methoden erarbeitet
und erschließt sich daher von verschiedenen Sichtweisen
für den Schüler.

Als Beispiel sei hier Psalm 100 vorgeführt: zuerst wird
Luthers Übersetzung am hebräischen Urtext überprüft
und korrigiert. Dann stellt Vf.in in den Satzfiguren von
E. Essen den Aufbau der 4 Strophen graphisch dar (106).
Es ergeben sich zwei dreizeilige Strophen als Rahmen,
zwei vierzeilige stehen in der Mitte, Strophe 1 und 2 sowie
3 und 4 gehören eng zusammen. Dieses Ergebnis läßt
sich in einem 2. Schritt wiederum durch besonderen Druck
veranschaulichen. Weiter führt 3. die Betrachtung des
Satzbaus der einzelnen Zeilen nach Glinz/Graucob (erneute
graphische Darstellung mit geometrischen Figuren
und Pfeilen für den 2.-4. Fall). Anschaulich wird dadurch,
ob die Aussage des Psalms sich auf Gott (Schwarzdruck)
oder den Menschen bezieht (Weißdruck). Diese Zeichen
können zusätzlich in den Psalmtext an der Tafel eingetragen
werden (vgl. S. 129). Deutlich läßt sich durch diese
Arbeitsweise das Zueinander von Gott und Mensch erkennen
. Strophe 4 ist gänzlich schwarz: ..Der Psalm
klingt aus im beschreibenden Lob des Herrn" (111). 4.
wird die rhythmische Bewegung des Psalms .eingesprochen
'. Der Wechsel zwischen tanzendem Daktylus und getragenem
Trochäus wird ,erfühlt'. In der 4. Strophe
herrscht der Trochäus vor, die schweren ,Taktteile' nehmen
in jeder Zeile um einen zu. Summa: „Die Strophen
2—4 zeigen Israel als das Volk, das vom Herrn her seine
Existenz hat und auf ihn hin lebt. Inder 1. Strophe ergeht
die Aufforderung an alle Welt, in diese Bewegung vom
Herrn her und auf ihn hin mit einzutreten" (113).

Wenn Kinder dieses Ergebnis selbst finden und aussprechen
, ist der historische Text verstanden und teilweise
selbst erlebt.

Im ganzen wird man urteilen müssen: der Vf.in ist
es durch Übernahme von Methoden der Gedichtinterpretation
gelungen, einen Weg zur Erschließung der Psalmen
zu zeigen.

Der Katechet der DDR wird allerdings nicht ohne weiteres
zu dem vorliegenden Buch als ..Unterrichtshilfe"
greifen können, weil zum Teil Dinge vorausgesetzt werden
(Kenntnis des Hebräischen und moderner Deutschdidaktik
!), die er von seiner Ausbildung nicht mitbringt.
Für den Methodiker bietet das Buch vielfältige Anregung
und Hilfen; aber er wird fragen müssen, wie er von der
Gedichtinterpretation in unserer Schule Hilfen für den
kirchlichen Unterricht erhält.

Berlin Wolfgang Schulze

Airoldi, N.: La cosidetta „deeima" israelitica antica (Bibl

55,1974 S. 179-210).
-lbd mmkrjw'l-h'bwt (Dtn 18, 8b) (BZ 18, 1974 S. 96 bis

101).

Bader, Günter: Das Gebet Jonas. Eine Meditation (ZThK

70, 1973 S. 162-205).
Barrick, W. B.: On the ..Removal of the ,High-Places"' in

1-2 Kings (Bibl 55, 1974 S. 257-259).
Brueggemann, Walter: On Coping with Curse: A Study of

2 Sam 16:4-14 (CBQ XXXVI, 1974 S. 175-192).
Coote, Robert B.: Hos 14:8: ..They Who Are Filled with

Grain Shall Live" (JBL93, 1974 S. 161-173).
Funk, Robert W.: The Looking-Glass Tree Is for the

Birds. Ezekiel 17, 22-24; Mk 4,30-32 (Interpretation 27,

1973 S. 3-9).

Globe, A.: The Text and Literary Structure of Judges 5,

4-5 (Bibl 55, 1974 S. 168-178).
Golka, Friedemann: Die Ätiologien im Alten Testament

(Theol. Dissertation, Heidelberg 1973).
Gordis, Robert: The Conclusion of the Book of Lamen-

tations (JBL 93, 1974 S. 289-293).
Heller, Jan: Socialer Hintergrund der israelitischen

Landnahme (ComViat 15, 1972 S. 211-222).

Howard, G.: The Quinta of the Minor Prophets: A First
Century Septuagint Text? (Bibl 55, 1974 S. 15-21).

NEUES TESTAMENT

Gräßer, Erich: Text und Situation. Gesammelte Aufsätze
zum Neuen Testament. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn [1973]. 330 S. gr. 8". Lw.
DM 68,-.

Der bekannte Bochumer Neutestamentier legt einen
Sammelband mit Arbeiten aus den Jahren 1964—1972 vor,
für deren Zusammenstellung ihm der Dank aller exegetisch
und hermeneutisch arbeitenden Theologen sicher
sein wird. Mit der doppelten Widmung der Sammlung
bekennt sich Gräßer zu seinen Marburger Lehrern R.
Bultmann und W. G. Kümmel, deren prägender Einfluß
einerseits in der sorgsamen, sich von allzu „großzügigen"
Hypothesen frei haltenden exegetischen Einzelarbeit des
ersten, umfangreicheren Teils (S. 11—223), andererseits
im kritischen Engagement für eine existenzbezogene
Theologie des Wortes Gottes in den Beiträgen des zweiten
Teils (S. 229-330) unverkennbar ist. Gegenüber den
jeweiligen Erstfassungen ist bei den exegetischen Aufsätzen
in den Anmerkungen vielfach neuere Literatur
nachgetragen; gelegentlich — vor allem in den mehr debattierenden
Beiträgen des zweiten Teils — repliziert der
Autor auf kritische Äußerungen zu den von ihm vorgetragenen
Thesen.

Auch die exegetischen Aufsätze sind fast durchweg an
aktuellen Themen der jeweiligen theologischen Debatte
orientiert bzw. werden auf sie bezogen. Gräßers Arbeit
am Hebräerbrief dokumentiert sich im vorliegenden
Band in zwei Arbeiten, seiner bekannten Antrittsvorlesung
von 1964 („Der historische Jesus im Hebräerbrief")
und dem Spezimen eines künftigen Kommentars (im Ev.-
Kath. Kommentar zum NT): „Hebräer 1,1-4. Ein exegetischer
Versuch".1 Mit dem erstgenannten Aufsatz griff G.
— über die exegetische Arbeit im engeren Sinne hinaus —
in die Debatte um die theologische Relevanz des irdischen
Jesus ein; er zeigte, daß der Hebr trotz seiner geringen
Kenntnis konkreter Jcsusüberlieferung sich nicht, scheut,
historische Daten des Lebens Jesu „zur Verifizierung von
Glaubenssätzen" zu benutzen (S. 178), d. h. nicht, um mit
ihnen das Kerygma zu begründen, aber um es „im nachhinein
" (S. 165) als legitim zu erweisen. Der Glaube muß
sich vergewissern, ob das nachösterliche Kerygma von
Jesus dem Christus wirklich Anhalt im Wirken Jesu, den
zu verkündigen es beansprucht, hat (vgl. S. 154 f.). — Irre
ich mich, wenn ich empfinde, daß Gräßer im letzten Aufsatz
des Bandes (von 1971) gegenüber dieser m. E. richtigen
Einsicht etwas zurückhaltend geworden und wieder
mehr auf die Bahnen Bultmanns eingeschwenkt ist?
Die dort mehrfach angedeutete Reserve gegenüber de''
Möglichkeit, über den „historischen Jesus" historisch
Zuverlässiges zu wissen und — vor allem! — es zur Basis
theologischer Aussagen zu machen, hat freilich ihren berechtigten
Grund in der Abwehr des Versuchs, die Begründung
christlicher Verkündigung „unter Umgehun«
des urchristlichen Kerygmas durch Rückfrage nach dem
historischen Jesus" direkt zu gewinnen, so daß etwa das
im politischen Zeithorizont gedeutete Kreuz Jesu unmH'
telbar die Basis „christlichen Engagements in der Welt
hergeben könnte (S. 309, vgl. 315). Die Diskussionslagc hat
sich also verschoben.

Der „Versuch" zu Hebr 1,1-4 - mit einem Umfang von
47 Seiten hoffentlich kein Muster des künftigen Kommentars
! — zeigt an dem komprimierten Text vorbildü1'1
sowohl die Methode exegetischer Bearbeitung (nur daß
man die Textkritik im voraus „erledigt", scheint m"'
nicht gut: wo Varianten unerheblich sind, genügt eine