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Ausgabe:

1975

Spalte:

931-932

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bogdahn, Martin

Titel/Untertitel:

Die Rechtfertigungslehre Luthers im Urteil der neueren katholischen Theologie 1975

Rezensent:

Beintker, Horst

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Naturen- und der Trtnitltslehre zureichend interpretiert worden
und co ipso Krlüsiingsges'liehen für und an uns sind: als

„fröhlicher Wechsel" zwischen Christus und uns, bei welchem

wir (durch den Glauben als einer unio mit Christas) hin eingenommen
werden in die Gerechtigkeit und das Lehen (hrisli.
darin Sünde und Tod überwinden und Hoffnung auf die
künftige Herrlichkeit haben. Die Reehtfertigiingslebrc Luthers
— so unterstreicht Vf. immer wieder — ist von der Chris tu-
logic her entfallet und unterscheidet sieb darin von derjenigen
Melancbtbons und der lutherischen Orthodoxie. Daß Luther
hier der altkirchlichcn Theologie und Liturgie und Bernhard
von Clairvaux näherstand als etwa Thomas von Aquin, ist
eine immerhin diskutable These, die weiteres .Nachdenken
verdient.

Es ist dem Vf. unumwunden zu zu s timmen, daß Luther in
mancher Hinsicht eine Herausforderung für die gegenwärtige
Theologie darstellt: etwa in der Frage an die neueste Jeeu-
logie, ob man den neutestamentlichen Dimensionen und Interpretationen
von Kreuz und Auferstehung nicht doch ein
grundsätzlicheres Gewicht für unser Jcsusverständnis beilegen
muß; oder etwa in der Trage an die Kon/.cptioii der
Universalgeschichte nach dem Ort des Kreuzes- und Hccht-
fertigungsgeschehens; oder in der Frage an Harth nach der
eschalologischen Qualität des Glaubens. Daß die gegenwärtige
Theologie sich solcher Herausforderung nicht verschließt, zeigen
z. B. die neuen Bemühungen um ein theologisches Verstehen
des Kreuzes. Auch andere Fragen, z. B die nach dem
Wellbczug der fulurischen Kschatologic hat die gegenwärtige
Theologie bereits ausführlich erörtert.

Umgekehrt freilich bleiben grundsätzliche Rückfragen an
den Vf.: 1. Ist es für eine evangelische Theologie angängig,
Luther in einer Weise zum Kanon der Theologie zu machen,
daß weder exegetische noch gar hcrmeuculische rberleguiigen
zur Hinterfragung solcher Kanonizilät führen können? Ist
matt von vornherein auch hei Luther damit zu rechnen, daß
er nur eine mögliche und durchaus zeitgebundene Weise von
Theologie verkörpert? 2. Wäre ein Dialog mit modernen
evangelischen Theologen nicht so zu führen, daß beide Seiten
aufeinander hören und nicht, die eine Seile schon alles weiß,
bevor die andere auch nur zu reden angefangen hat? Ist z. I!.
dein neuzeitlichen historischen und philosophischen Bewußtsein
nicht ein größeres sachliches Gewicht auch gegenüber
Luther EU XU erkennen, als der Vf. zugeben möchte (vgl. 351)?
Und könnte es nicht sein, daß sogar auch in der so viel bc-
scholtencn sog. modernen Theologie der Geist Gottes am
Werk ist, der uns zu manchem (z. B. zum synoptischen Jesus)
ganz neuen Zugang eröffnet und manches Alle neu und anders
sagen läßt?

Leider vermag der Bez. es nicht für sehr geschmackvoll zu
halten, daß zu dem abgehaltenen Gericht über die gegenwärtige
evangelische Theologie ein katholischer Theologe ein (applaudierendes
) Geleilwort geschrieben hat. Er vermag nur zu
hoffen, daß die Leser sich durch dieses Gericht nicht abschrek-
ken lassen, die ernsten Anfragen des Vfs. zu vernehmen.

Leipzig Ulrich Külin

Bogdahn, Martin: Bio Bechlfcrtigungslehre Luthers im Urteil
der neueren katholischen Theologie. Möglichkeiten und
Tendenzen der katholischen Lutherdeutung in evangelischer
Sicht. Göllingen: Vandcnhocck & Huprecht [19711-
296 S. gr. 8" = Kirche und Konfession. Veröffentlichungen
des Konfessionskuudl. Insliluls d. Evang. Bundes, hrsg. v.
II. Bornkamm, .1. Lcll, W. v. Locwciiich, M. Schmidt. H.
Stupperich, W. Sucker, 17. Karl. DM 35,—.

Die katholische Lulherdeutung hat mit den fünfziger Jahren
derart reiche literarische Gestalt bekommen, daß auf der
Basis von über 'iOO Titeln eine Krlanger Dissertation (19fi7)
erarbeitet werden konnte. Zur katholischen Literatur, von der
nur weniges vor 1950 liegt (aus 19G7 nur einige Titel), kommen
ca. 100 evangelische, nur sich direkt auf das Thema beziehende
Titel. Der Bedarf für Dokumentation und systematische
Durchdringung von Neuansatz und Wende im knlho-

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tischen Lutherverstfindnia macht diese Spezialuntersuchung
im Druck interessant.

Einteilend nennt B. auf fünf Seilen, die kaum den eigentlichen
kontrovers theo logischen Fakten Bedach) widmen,

„Grundzüge der Becblfertigungslehre Luthers"; er schließt
„Bemerkungen zur Methode und Problematik der Darstellung
'" an, um im lilick auf „katholische Traditionen", die das
katholische Urleil über Luthers Hechlfertigungslehre auch
heule binden, die kontroverslheologischc Problematik aufzurollen
. Drei Tendenzen deckt Vf. auf: die grundsätzlichen Einwinde
(50—102), die differenzierende Beurteilung (103—170)
und die selbstkritische Sichtung von „Luthers Kechlfoi li-
gungslehre als Anfrage an die katholische Theologie" (171 bis
261). Halle schon jedes Kapitel seine „Zusammenfassung", so
resümiert Vf. im „Schluß" die „drei Weisen der katholischen
Begegnung mit Luther", nämlich „1. Luther = häretisch,
2. Luther = katholisch, 3. Luther = reformalorisch" (264).
Unter der weiterführenden Frage nach ..Möglichkeilen" der
katholischen Theologie „zum Versländis und zur Aufnahme
des eigentlichen Anliegens der liechlfiTligiingsIchrc Luthers"
findet er sie „erstaunlich groß" (271).

Freilich ist der Hauptzeugc 0. II. Pesch, dein sich auch in
der gedanklichen Gliederung seiner Dissertation I!. verpflichtet
weiß. Di«! gewiß bekannte Walberberger Studie bzw. Dissertation
Peschs <T967) über „'Theologie der Hechtferligung bei
Marlin Lulhcr und Thomas von Aipiin" uls „Versuch eines
systematisch-theologischen Dialogs" („über 1010 Seiten" kommentiert
B., wohl etwas zu eifrig bewundernd) sei „absoluter
Höhepunkt aller neuesten Arbeiten zur Kech I feil. -
gungslehre Luthers" (269). Ob Peschs „wohltuende Dislnn-
zierlbcit gegenüber Luther" (270) wirklich ganz, unbefangene
Lutherdeutung ist, war an anderer Schrift fraglieh (vgl. ThLZ
97, 1972 Sp. 380-83). Auch scheint mir das für Pesch lohend
verwendete Wort von Peter Manns in Järvcnpää bedenklich
zu sein, nach dem die katholische Theologie „heute Lulhcr
ganz frei" begegne, „während die evangelische Theologie sich
mit dem Ballast einer jahrhundertelangen Lulherforseliung
beschäftigen müsse" (270, zit. nach Herder-Korrespondenz).
Die Forschung deutet m. E. freier, wenn sie auch die Um- und
Irrwege rückliegender Lutherdeutung wirklich aus eigenem
Begriffsgebäude kennt. Gewiß ist — wie B. in „Eigene Stellungnahme
" (271—73) meint — es „an der Zeit, sich mit der
katholischen Theologie gemeinsam über die Entdeckung Luthers
zu freuen"; auch geschieht der „entscheidende Durchbruch
" dort, „wo Luther in seiner Eigenart ernst genommen
wird, ohne daß die sich daraus eventuell ergebenden Differenzen
als kinhentrennend angesehen werden", und richtig
steht ..diese Möglichkeit katholischer Luthcrileulung ... trotz
der erstaunlichen Arbeit von Otto II. Pesch erst am Anfang",
aber ob sie „als einzige wirklich Zukunft" bat und in der
Lage ist, „eine Verständigung über Luther mit der evangelischen
'Theologie herbeizuführen" (272), darf bezweifelt werden
, ganz abgesehen von inzwischen eingetretenen Veränderungen
.

Mit dem Vf. mochte man annehmen, daß die Wendung im
katholischen Urteil über Luther grundsätzlich nicht rückgängig
gemacht werden kann ohne Verlust an Glaubwürdigkeit.
Man möchte zustimmend hoffen, daß die „gemeinsame Aulgabe
einer Ncnbcinniiiig der I' ccli I feit igu ng-prnhleiiial i It von
der Heiligen Schrift her, aber nicht von einer quantitativen
.Fülle', sondern von der qualitativen Mitte der Schrift her"
gelSsl wird, und das auch so. wie vorgesehlagen ist. von der
Christologie her (272f.).

Aus den Problemen sind wir also keinesfalls entlassen. Insofern
i-.t mit diesem Buch eine wichtige, wenn auch nicht in
allen Punkten ausgereifte und objektiv Vermittelnde Dokumentation
vorgelegt. Mau sollte dem f. Mut machen, seinen
Gegenstand in Verbindung mit anderen Korschern über die
seit 1907, also auch im Zuge des VMljährigcn Ueformalions-
gedenkens entstandene Literatur hinaus zu s erfolgen. Solc he
Dokumentationen haben aus sich heraus Anreiz und geben
Ansloü zu Vervollkommnung. Klärung und Widerspruch.

''•im Hont ftVintker

'Theologisehe l.ileralurzeiluug 100. Jahrgang 1975 Nr. 12