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1975

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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seltener Gegen stund thcologiegcschichll icher Forschung war als
im deutschen Sprachgebiet, dürfte weitgehend auch durin ih-
ren Grund hüben, duL! nur wenig von dem umfangreichen
Werk des Grafen ins Englische übersetzt worden isl. Aus dem
19. und 20. Jahrhundert ist mir keine Übertragung einer
Schrift Zinzendorfs ins Englische bekannt. Daß die fremd -
wortreiche barocke Sprache Zinzendorfs ausländische Übersetzer
nicht gerade anlockte, läßt sich zwar verstehen, doch
mußte der Mangel brauchbarer Textvorlagen bedauerlich
bleiben. Es ist darum überaus verdienstvoll, daß mit der vorliegenden
Arbeit von Forell ein Anfang gemacht wird, dem
angelsächsischen Leser die Gedankenwelt eines der originell
sten „deutschen Theologen zwischen Luther und Schleiermacher
" (VII) zugänglicher zu machen.

Die Wahl des lleruusgebers und übersetzen fiel auf die
„Neun öffentlichen Reden' über wichtige in die Religion einschlagende
Materien'', die Zinzendorf 1740 im Versammlungsraum
der Brttdergemeinc zu London auf Deutsch gehalten
hat. James Hutton, ein englischer Mitarbeiter des Grafen,
gab bereits ein Jahr nach Erscheinen der deutschen Ausgabe
eine englische Fassung heraus (1748). Daran mag man ersehen
, für wie wichtig er gerade diese Schrift hielt.

In der Tat bietet sie einen guten Einblick in die Gedankengange
Zinzendorfs, Sie zeigt den (Jrafen in seiner kreativsten
Phase und enthält in konzentrierter Form die Grundzüge der
brüderischen Theologie jener Zeit. Anschaulich belegt sie die
von Karl Barth herausgestellten \ esensmerkmale zinzendörfischen
Denkens: den Chrislozcntrismus und die ökumenische
Offenheit seiner Gefühl und Versland verbindenden „Hcr-
zcnstheologie". Schon der Eingangssatz der ersten Rede über
das Vaterunser macht deutlich, wie Zin/.endorf sich den zentralen
Fragen seiner Zeit, des Aufklürungsjahrhundcrts,
stellte und sie aus dem Geist christlichen Glaubens zu beantworten
suchte: .,Was die Toleranz der mancherley Religionen
in dem «äußerlichen Staat für einen Einlluß hat, und wie weit
man mich derselben Idee allerlcy Meynungcn erlauben kau,
das isl zu dem, was ich itzt zu sagen habe, eine ganz fremde
Sache, die ich nicht völlig verstehe: wer aber in seinem Herzen
nicht tolerant ist, wer andere Menschen zu seinen Ideen
und Art von Gotles-Dienst gerne nöthigen mag, wer auch nur
facil ist, wenns nicht viel kostet, nndere Menschen zu seiner
Art von Gottes-Dienslcn herübe* zu nehmen; der beweiset
dadurch, daß et kein verstündig Kind Gottes ist, und den
rechten geistlichen Verstand nicht besitzet."

Zinzendorf war sieh übrigens durchaus bewußt, unkonventionell
zu reden. Allen, die sich „über die Neuigkeit der Aus-
drükke und über den freymülhigen Vortrag" seiner „Paradoxen
" wundern könnten, wünschte er, daß der heilige Geist
ihnen das „Gins" gäbe, durch das er seihst die Sachen sähe.
Die l'orellschc I herselzung gibt den deutschen Text ziemlich
originalgetreu wieder. Rei Wendungen, für die keine restlos
adäquate englische Begrifflichkeit verfügbar ist, wird in den
Anmerkungen das ursprüngliche Wort Zinzendorfs abgedruckt
, z. B.: Original Being = Urwesen (13), n feit salvu-
tion = Eine Empfindliche Secligkeit (23), body = Hütte (30),
faith in love = Der verliebte Gluube (35).

Dem englischen Text hat Forell eine ausführliche Einleitung
vorangestellt. Darin skizziert er zunächst die Wirkungs-
geschichle Zinzendorfs, indem er von Goethe über Sclileicr-
macher bis zu Kurl Barth Belege für die Wertschätzung des
Grafen durch Größen der Geistesgeschicbtc anführt. Etwas
zu knapp und ohne Nennung der für sie verantwortlichen
Forscher (wie W. Bellermanu, Reichel und O. Iittendörfer)
weist Forell auf „die Zinzendorf-Renaissance" in diesem Jahrhundert
bin.

Dünn aber — und das macht den Wert dieser Einleitung
aus - stellt Forell die Beziehungen Zinzendorfs zu England
und dem nördlichen Amerika dar. I nier Benutzung der gedruckten
Erinnerungen von James llutlon beschreibt der Verfasser
, wie John Wesley sielt nnfangs den I lerriihutern näherte
, später aber Zin/cndorf und dessen Luthertum entfremdet
wurde und so schließlieh seine eigenen Wege ging. Im
Blick auf Zinzendorfs Aufenthalt in Nordamerika '1741 I is

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1743) konzentriert sich Forell darauf, die ähnlich unglücklich
verlaufene Konfrontation zwischen Zinzendorf und dein Hallenser
Lutheraner Heinrich Mühlenberg zu veranschaulichen.
In beiden Fällen sieht Forell die Bedeutung Zinzendorfs vor
allein darin, daß er katalysatoristh. anregend und Opposition
Weekend, zur Ausformung des Methodismus einerseits und
des amerikanischen Denominalionalismus andererseits beigetragen
bat. Schon deshalb, so argumentiert Forell. sei es wichtig
, sieh mit den Ideen des Grafen zu befassen.

Abgerundet wird der Band durch eine umfangreiche Bibliographie
(105-138). In ihr ist das Wichtigste an deutscher,
englischer und holländischer Literatur über Zinzendorf und

seine Zeit zusammengestellt, liier wären einige Kleinigkeiten

zu berichtigen. Z. 15. müßte es heißen: FJoesser stall Finessen
(115); Schmidt, Martin, and Jnnnasch, ...(131); (iotthelf
statt Crotthelf-Verlag (131, 4. Z.v. unten). Bettermanns Anmerkungen
zu ..Zinzendorfs Lied .Abendinahlsgedanken'" stehen
nicht in der Zeitschrift für Kirchengesehiehte, sondern in
der Zeilschrift für lirüdcrgcschichle, XII (1918), 128-133
(111). Der anonyme Verfasser der „Abbildung des Grafen von
Zinzendorf" ist Johann Michael von Loen (109).

Es wäre erfreulich, wenn diese englische Ausgabe eines
Zinzendorf-Werkes keine Einzelerscheinung bliebe, Mildern
andere folgten. Die faszinierende (leslall Zinzendorfs vermag
nicht nur iheologiegesehicbtlicbes Interesse zu befriedigen.
Ähnlich wie der jüngere Blumhardt erscheint Zinzendorf
merkwürdig zei(gemäß.

Bad Doli Baas-Christoph Hahn

Enger, Trond: Del teologiske Studium i Halle under pelisnicn

(NTT 76, 1975 S. 1-22).
Grossman, Walter: Edelmann und das „öffentliche Schwei*

gen" des Beimurus und Lessing. Toleranz und I'olilik des

Geistes (ZKG 85, 1974 S. 358-368).
Nilsen, K. Anker: En psykodynnmisk analyse av John Wcs-

leys religiöse opplcvclser (NNT 7 6,1975 S. 35-42).
Pud, Philip: Spurgcon and Social Reform (ET 86, 1975 S. 246

bis 247).

Schüfer, Walter: Karneades Konrad Miinkel und seine fort-
schriltsgläiihigc Zeit. Lebensbild des lutherischen Pastors
und Publizisten (1809-1888). Verden 1974. 95 S.

Wangerin, Norman: Frccmnsonry, a Living Expression of ihe
Enlightcment (The Springhelder 38, 1974 S. 22-33).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Asendorf, Ulrich: Gekreuzigt und Auferstanden. Luthers Herausforderung
an die moderne < Jiristologie. Hamburg: l.ulh.
Vcrlagshaus 1971. VI, 402 S. gr. 8° = Arbeiten zur ('. -
schichte und Theologie des Luthertums, hrsg. v. W. Maurer
, K. II. Hengstorf, E. Sommerlnth u. W. Zimmermann''1',
25.

Nach seinem Ruch „Eschalologie bei Luther" (1967; vgl.
ThLZ 94, 1969 Sp. 56ff.) legt Vf. hier den zweiten Rand eines
auf drei Teile angelegten ('icsaintwerkes vor. Es gehl jetzt um
die christnlngisehcn Bezüge der FCschatologic (in ihrer ..llori-
zontverschmelzung der drei esdiutologisehen Zeilen" Vergangenheit
, Gegenwart, Zukunft, 13), insbesondere um die Einheit
von Kreuz und Auferstehung in ihrer „eschalologisiheu
Doppclpoligkcit" (14) und damit um die chrislologisrheii
Grundlagen der Soleriologie. Ist damit das Vorhaben bereits
in systematischer Hinsicht weitgespannt, so tritt eine weitere
Befrachtung dURh die doppelte Absicht ein: 1. einen Beitrag
zur Erhellung der Lhristologie Luthers und ihrer Wurzeln in
der altkirchlirhcn und millelallerlicben Traditio» zu leislen
und dabei insbesondere die These vorn Charakter der Theologie
Luthers als Kreuzestheologie kritisch zu befragen (Kap.
VI und II, vgl. 11 f.); 2. von Luther her einen „kritischen
Dialog über Grundsatzfragen der modernen F.xegese und Sj-
stemnlik" zu fuhren (7). Diese zweite Absieht bestimmt den

Theologische Literatur Zeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 12