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Ausgabe:

1975

Spalte:

924-926

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Philipp, Guntram

Titel/Untertitel:

Die Wirksamkeit der Herrnhuter Brüdergemeinde unter den Esten und Letten zur Zeit der Bauernbefreiung 1975

Rezensent:

Obst, Helmut

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zonte um Wittenberg! — voll sichtbar. Büssers Buch macht
trefflich transparent, in welchem Maße Zwingli mit seinem
Reformationswerk eingehen mußte in die sozialen Cegebon-
heiten seiner Zeit und seiner Well. Sicherlich mußte theologisch
argumentiert weiden — die Ergebnisse der Disputationen
in Zürich und an anderen Orlen der Eidgenossenschaft
machen wesentliche Stationen des reformatorischen Werdens
aus —, aber der gesellschaftspolitische Konsequenzenzug gebort
unlöslieh zu den Komponenten des großen Umbruchs.
Büsser stellt das angemessen heraus.

Die Schriftgebundenheit Zwinglis, seine Predigttätigkeit,
seine von Luther und Calvin u. a. auch abweichende Theologie
bekommen in dem vorliegenden Buch ihren gebührenden
Ort. In guler Ausgewogenheit berücksichtigt Büsser die
theologischen Forschungen der letzten Jahre — besonders die
G.W. Lochers — und liebt den Auloritülsbogriff, die Lehre
vom Heiligen Geist, die viel zitierte Gotteserkenntnis der Heiden
, die Themen Religion und Glaube, Frwählung und Heiligung
und die Sakramentenlehre heraus, im letzteren Zusammenhang
vornehmlich das von Luther so folgenträchlig
differente Verständnis des Abendmahls als öffentliche Danksagung
, Erinnerungsfeier und Gcmeinschaflsmahl. Büsser
wendet sich hier allerdings auch gegen eine Banalisierung der
zwinglischen Auffassung in dem Sinne, daß sieh die Abend-
mahlsauffasSUüg des Reformators in ein paar „nackten und
leeren Figuren" erschöpft haben solle (S. 68).

Das drille Kapitel gehl der Verzahnung des Wirkens
Zwingiis in Kirche und Gesellschaft nach. Einer Überschätzung
des direkten politischen Einflusses des Reformators wird
allerdings gewehrt. Die überzeugende Predigt, das besondere
Evangeliumsverstündnis haben für Zürich und große Teile
der Schweiz neue gesellschaftliche Perspektiven eröffnet. Das
,Wie' des adäquaten Evangeliumszeugnisses war aber ganz
offensichtlich damals wie heute eine brennende Frage wie
auch eine umstrittene Größe (S. 71). Dort, wo Zwingiis Überzeugungsgewalt
mit von ihm als selbstverständlich angesehenen
gesellschaftlichen Implikationen verbunden wurde, begegnen
dann auch Widerstand und Ablehnung in Zürich
selbst. Im Gegensatz zu Alfred Farner, der noch vom theo-
kratischen Ellios mit seinen sozial-ethischen Konsequenzen
bei Zwingli geredet und dieses erst als volle Auswirkung seines
prophetischen Charismas bezeichnet hatte, tritt Bttsser
für eine differenziertere Beurteilung ein (S. 71). Hier hat die
Zwingliiuterpretalion ihre aktuelle Brisanz, zu deren sachlicher
Konzentralion der Vf. beiträgt, auch wenn sein Lutherbild
in diesem Zusammenhang nicht ungeteilten Beifall finden
wird. Luther lebte unter ganz anderen gesellschaftlichen
Bedingungen als Zwingli. Er bezog sie sehr wohl in sein theologisches
Denken mit ein. Eine ganz andere Frage wäre es,
ob und in welchem Maße sein ganz sicher vorhandenes So-
zialengagemcnt kritisch angesprochen werden kann.

Den Fortgang der Beformation in Zürich und der Fidgc-
nossenscliafl, ihre Verflechtung mit territorial bedingten Entscheidungen
und Gefährdungen, schildert Büsser in cindrück-
lichcr Weise. Das „Seelenheil des einzelnen" und das „öffentliche
Wohl Zürichs und der Kidgenossenschaft" (S. 70) erkannte
Zwingli als seinen Verantwortungsbereich, In dieser
Vcrantwortungsakkumiil.'ition lagen dann auch die Probleme.
Sie sind uns überkommen.

Das Scheitern der politischen, ja militärischen Pläne des
Zürcher Reformators hat nicht zur Katastrophe seines kirchlichen
Reforinationswerkes geführt. Der Vf. gibt dafür als
Begründung an, daß es Zwingli trotz aller Unterschiedenheit
in der Beurteilung seiner politischen Aktivitäten gelungen
war, in wenigen Jahren einen von vielen in Kirche und Staat
milverantworlcten Grund für die „Reform der Kirche zu legen
" (S. 113).

Dieses alles in der faktisch kompliziert vorhandenen Vrr-
zweigtheit der Entwicklung aufgezeigt zu haben, ist Büssers
Verdienst. Das kleine Taschenbuch kann sehr wohl dazu angetan
sein, dem Hauptanliegen Zwingiis von damals heute
neues V'crständis zu ersehließen.

Berlin .Toarhim Hoftgp

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KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Philipp, Guntram: Die Wirksamkeit der llerrnhulcr Brii-
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(Vom Ausgang des 18. bis über die Mitte
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4 Abb., 1 Karle gr. 8° = Forschungen zur internationalen
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, hrsg. v. [I. Kellenbenz, 5.

Die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Herrnhuter Brft*
dcrgcmcinc im 19. Jahrhundert ist noch nicht geschrieben.
Dazu sind vielfältige Kinzcluntcrsuchungen notwendig. An-

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 12