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Ausgabe:

1975

Spalte:

913-915

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

The facsimile edition of the Nag Hammadi Codices 1975

Rezensent:

Fischer, Karl Martin

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013

Theologische Liicraturzcituug 100. Jahrgang 1975 Nr. 12

914

[Nag Hammadi]: The Facsimil« Edition of the Nag Hammadi
Codices, puhlished ander the Auspicet of 11 »•* Department
of Anliqiiilies of Arab Republic in Conjunction with the
United Nalions Kducalional, Scientific and Cidlural Organisation
. Codex VII. Leiden: Drill 1972. XIII, 136 S. 4° Lw.
hfl. 195.

Als II. Hand der Kaksimile-Ausgnbe der Nag-HaiWmadi
Codices (vgl. ThLZ 98, 1973, Sp. 106-110) ist von den
Herausgebern Codex VII vorgelegt worden. Das Vorwort
gibt detaillierte lieschrcibngen des Codex vor seiner Vergln-
snng und über die Kinbanddecke, <leren bescliriebene Einlagen
(Briefe. Genesisfragmente,/ in dem abseblicßendcn Ein-
führungsband veröffentlicht werden sollen. Codex VII soll der
neben Codex VI am besten erhaltene sein. Alle Seiten sind
Vorhanden, größere Lücken befinden sieh nur auf den letzten
Seiten. Der Hand enthält 5 Schriften, jede von ganz eigenem
Charakter, so daß unser Rild von der Gnosis weiter bereichert
wird.

1. Die Paraphrase des Sc cm (ParSem p. 1,1 bis
49,9) gehört zu den am schwersten verständlichen Schriften,
zu deren Verständnis es in. E. eines besonderen hermeneu-
tisclien Schlüssels bedarf, weil ihre mythologische Rilder-
sprache von bizarrer Fremd heil ist und alle konkreten Ereignisse
und Personen total verschleiert sind. Dennoch sind die
Grundlinien und die Tendenz erkennbar. Den Rahmen bildet
eine Entrückung des Offenbarungsempfängers Sccm. In der
Begegnung mit dem Offenbarer Dcrdekeas erfährt Seem die
Geheimnisse des Entstehens, Werdens und Vergehens dieser
Welt und den Zuspruch, daü er und wie er mit den Seinen
errettet wird. Die eigentliche Offenbariingsmitteiliing beginnt
mit 1,16. Dcrdekeas kündigt an: „Ich offenbare dir die genaue
Beschaffenheit der Kräfte" (1,30ff.). Er nennt die drei
Urprinzipien: das vollkommene Licht, die Finsternis und den
Ungebeugten Geist in ihrer Mitte. Ursprünglich herrschten sie
alle für sich allein, dann aber kommt es zu einein Zusammenstoß
, der immer neue Kräfte und Gestaltungen hervorbringt,
Teilungen und Vermischungen, Aktionen und Gegenaktionen,
bis schließlich die Finsternis besiegt ist und alle ihre Gestalten
zu einem finsteren Klumpen werden in der Art, wie sie
am Anfang waren (45,17—20). Die Schrift hat denselben Sy-
slcinsntz und bisweilen auch dieselben Bilder wie das von
Hippolyt (Ref V, 19,1—22,1) mitgeteilte System der Scthia-
ncr.

Von der Version Hippolyts unterscheidet sich unsere Schrift
Wesentlich dadurch, daß alle Dinge und Personen bis zur
Unkenntlichkeit verschlüsselt sind. Außer den Namen Sodom
«nd die Sodomiter ist kein einziger Name anderswo belegbar.
Hei manchen Gestalten glaubt man bestimmte Züge identifizieren
zu können {■/.. H. hinter dem Gegenspieler des Offenbare
™, der die Menschen durch die Wassertaufe an das
schmutzige Element Wasser bindet, vermutet man Johannes
den Täufer), aber alsbald finden sieh dann wieder Motive,
die zu der vermuteten Gestalt gar nicht passen wollen. Die
Verschleierung gellt aber noch weiter. In der Schrift gibt es
keinen Gott, weder einen trans/eiidenten jenseitigen Gott
Hoch einen bösen Demiurgen. Ks sind I'rprin/ipien, die miteinander
im Kampf liegen, und aus ihren Zusammenstößen,
Vermischungen und Knimischungen entstehen immer wieder
""r mythologische unfaßbare Gestalten und Kräfte. So bringt
'■■ B. die Physis ein Abbild des Nous in ihre Gewalt, das sie
"i einer Wolke erzeugt. Dieses Abbild stößt an die mittlere
Sphäre, den ,.u ngezeugten Geist". Bei diesem Zusammenstoß
■Paltet sich die Physis in vier Teile, die Wolken genannt
«erden, di<- merkwürdige und nicht so recht zueinander passende
. Namen tragen: Hymen, Chorion, Kraft und Wa-~er.
So entstehen Dinge, von denen man manchmal ahnt, was sie
s,|n sollen. „Das Auge der Rillerkcit der Bosheit", das der
Jotti ist. den die Physis im Schmerz von sich geschleudert
"Ol, dürfte die Sonne sein, aber alle solche Konkretionen sind
»ehon Interpretationen. Weiterhin wird das Verständnis dadurch
erschwert, daß ähnliche Partien sich wiederholen und
*lcli auf der Vorstelliingsebene nicht ausgleichen lassen.

Oft klingen sexuelle Rilder an, aber sie werden nicht deutlich
. Dennoch beeindrucken die sich überstürzenden Rilder,
die beim Lesen das Gefühl des F)kcls über den ganzen Schöpfungsvorgang
erzeugen wollen.

Die Reurteiliing der Schrift wird gewiß in der Forschung
sehr verschieden sein. Mir erscheint die Verschlüsselung aller
Vorgänge mehr und mehr als bewußte, höchst raffinierte Absicht
. Was übrigbleibt, sind Rüder, die je für sieh eine ganz
besondere Daseinserfahrung gnostischen Weltgefühls ausdrücken
. Wirklich klar ist nur der Schrei des besseren Ich,
dessen Verflochten heil an diese Welt durch die der Drci-Ur-
prinzipienlehre entsprechende Irichotoinische Anthropologie
noch gesteigert wird, denn selbst die Seele ist eine „Last der
Finsternis",

Sollte die Verfremdung bewußte Absicht sein, wird auch
die Frage nach dem christlichen Einfluß entsprechend beantwortet
werden müssen. Natürlich fehlt der Name Jesus oder
Christus, aber einige Rildpartien über Dcrdekeas unterliegen
deutlich dem motivgeschichllichen Einfluß des chrisllich-gno-
stischen Christusbildes. Auffallend ist auch, daß die rechte
Haitang zum Heil durchweg nicht Gnosis. sondern Glaube
genannt wird. Das heißt, daß man die Schritt als gnostisches
Spälprodukl ansehen muß. (Ausführlicher habe ich mich zu
dieser Schrift in einem Reitrag zur Festschrift für Pahor Labil
) geäußert. Erscheint demnächst bei Hrill-Leidcn.)

Während die Übersetzung der Paraphrase des Seem wegen
der sachlichen Kompliziertheit und wegen dringender anderer
Verpflichtungen meinerseits noch nicht fertig ist, liegen die
Ubersetzungen der anderen 4 Schriften von Mitarbeitern des
Rerliner Arbeitskreises für koptisch-gnostische Schriften einschließlich
einer Einführung für diese Zeitschrift vor, so daß
ich mich im folgenden kürzer fassen kann.

2. Zweiter Logos des großen Seth (2 LogSeth
p. 49,10—70,12) ist eine eliristlicii-gnostischc Schrift (der griechische
Untertitel hat keinen Anhalt am Text). Die Redesituation
— der wieder erhöhte Christus spricht zu den Seinen —
wird nicht konsequent durchgehalten. Wahrscheinlich hat der
Vf. verschieden geartetes Material (darunter auch Hymnen)
ungenügend überarbeitet, so daß sie den Rahmen sprengen.
Hauptthemcn sind das Kommen des Erlösers in die Welt und
die Aufdeckung der Nichtigkeit der Herrscher dieser Welt.
Besonders bemerkenswert an dieser Schrift sind in. F.: I. Die
schärfste Form einer doketisclien Christologie: Jesus hat nie
gelitten. El selbst steht unter dem Kreuz und lacht (55,9 bis
56,20). 2. Die Verspottung der ganzen alttestamentlichcn
Hcilsgcschichtc einschließlich des nlttrstamcntlichen Gottes:
„Kine Sache zum Lachen war..." (62,27—65,2). 3. Die Reaktion
auf direkte Verfolgungen durch die Kirche (59,22—29).
Vgl. ThLZ 100, 1975 Sp. 97ff.

3. Die Apokalypse des Petrus (ApcPt p. 70,13
bis 84.14) steht in keinerlei Rezichungcn zu der kirchlich-apokryphen
Petrusapokalypse (Hcnncckc-Sehnoomelchcr II.
S. 468—483). Sie ist vielmehr als Selbstzcugnis des Petrus von
einer himmlischen Vision Jesu im Tempel am Griindonncrs-
tagmorgen gestaltet. Ihm wird enthüllt, daß Jesu Verhaftung,
Leiden und Tod eitle Anschlüge von Blinden sind, die nur
einem fleischlichen Abbild gelten. Darüber hinaus wird Petrus
das nichtige und falsche Wesen bestimmter Personen und
Auffassungen der frühen Kirchcngcschichte enthüllt. Die Polemik
wendet sich nach verschiedenen Richtungen. Am klarsten
ist die Polemik gegen Hermas. ganz offensichtlich wegen
seiner Rußlebrc (78,8ff.), aber auch gegen die kirchliche Hierarchie
(79,2lff.), andrerseits werden gnostische Gruppen bekämpft
, nämlich Archontikcr (74,22ff.) und möglicherweise
Simon Magus (74,30ff.) wahrscheinlich wegen libertinistischer
Lehren. In dieser Schrift repräsentiert sich also eine juden-
christlich-gnostischc Gruppe, deren einzige Autorität Petrus
ist, die sich selbst als eine auserwählte Minderheit („die
Kleinen") versteht und eine rigoros asketische Ethik vertritt.
Das ist wahrhaftig eine außerordentlich eigenwillige Position,
hei der man ganz verschiedene Assoziationen haben kann. Das
Selbslverständnis und die Schätzung des Petrus erinnern irgendwie
an das Matthäusevangelium, die Ethik und die Po-