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Ausgabe: | 1975 |
Kategorie: | Psychologie, Religionspsychologie |
Titel/Untertitel: | Neuerscheinungen |
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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 11
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wurf, aber es muß festgestellt werden. „Die" Religion ist
damit noch keineswegs in den Blick geraten; vielleicht
kann sie dies auch nicht, vielleicht ist überhaupt „die"
Religion als empirischer Gegenstand nicht faßbar; was
aber über Fabers Entwurf hinaus zu wünschen wäre,
dies wäre mindestens einmal die Anwendung des tiefenpsychologischen
Aspekts für die Haupttypen lebendiger
Hochreligionen, und dies halte ich immerhin für möglich.
Wenn Heije Faber sich aber nun auf den erwähnten jüdisch
-christlichen Religionstyp beschränkt, so muß auch
diese Selbstbegrenzung als fruchtbar und förderlich begrüßt
werden; nur, wie gesagt, sollte dies in Ober- und
Untertiteln deutlicher zum Ausdruck kommen.
Freud hat bekanntlich in der Entwicklungspsychologie
des Individuums die drei Phasen der oralen, analen und
ödipalen Periode unterschieden. In der oralen Phase geht
es darum, daß das kindliche Individuum sich, zur Selbständigkeit
strebend, von der Mutter löst; in der analen
Phase muß das Individuum Zivilisation lernen und sich
damit in Gesetzlichkeiten einfügen; in der ödipalen Phase
geht es um den Übergang zur völligen Reifung. Daß
diese charakteristischen Epochen auch im individuellen
Leben für das religiöse Werden und Reifen von hoher
Bedeutung sind, braucht nicht hervorgehoben zu werden.
Ist es aber nur meiner Jungschen Präokkupation zuzuschreiben
, wenn mich solche Ausdrücke ab und an als komisch
anmuten wollen? Primitive Religion, Hinduismus,
religiöser Humanismus — und dazu der Oberbegriff
„oral"'! Pharisäismus, Puritanismus, Säkularismus —
und dazu der Oberbegriff „anal" ? Nun, wie gesagt, es
handelt sich hier ja um Hilfsbegriffe, und für bestimmte
religionspsychologische Analysen sind sie in der Tat sehr
hilfreich. Dennoch werde ich letztlich den Eindruck der
Unangemessenheit nicht los, wenn diese Begriff e so generalisierend
verwandt werden. Hier scheint mir eben in
der Tat die Grenze des Freudschen religionspsychologischen
Systems zu liegen: Die doch letztlich sehr einseitige
Bindung an das individuell-psychologische Entwick-
lungsschema war es, die schon Jung als unzulänglich und
unangemessen für den Gegenstand, nämlich die Religion,
erschienen ist. Lebendige Religion ist von Grund auf
überindividuell; daher denn auch Jungs Betonung des
„kollektiven" Unbewußten.
Anders ist es, wenn das Freudsche Schema zum mythischen
Begriff übergeht, denn der ist evident überindividuell
. Versucht man eine religiöse Entwicklungsphase
vom Ödipus-Mythos aus zu klassifizieren, so hat man
m. E. einen angemessenen Ausgangsbegriff für das religionspsychologische
Gespräch verwendet. Hier geht es
dann lediglich um die Frage des Rangs und der Gel-
tungsweite. Im übrigen stehe ich, aus grammatischen
Gründen, mit der Adjektivbildung „ödipal" permanent
auf Kriegsfuß.
Diese Bemerkungen möchten nicht als Beanstandungen
gegenüber Heije Fabers interessantem Versuch verstanden
werden: Ich halte es für sehr fruchtbar, daß der
Vf. es hier unternimmt, das religiöse Schema mit Freuds
Grundkategorien insgesamt durchzuspielen. Ich polemisiere
hier lediglich von der anderen tiefenpsychologischen
Position aus, um auch meinerseits einen kleinen
Anstoß für das in Gang zu haltende Gespräch zu geben.
Das Buch bringt eine Fülle von sehr treffenden Einzelbeobachtungen
innerhalb des Rahmens, den der Vf. sich
gesteckt hat. Wenn es dazu beiträgt, endlich die Abwehrhaltung
vor allem von Theologen gegenüber der Reli-
gionspsychologie aufzulockern, so hat es einen wichtigen
Dienst für die künftige Gesprächslage geleistet. Der aufmerksame
Leser wird feststellen, daß hier ein Sachkundiger
über wesentliche Fragen spricht, die sowohl die
Psychologische Wissenschaft wie auch die Theologie und
die Religionswissenschaft in gleichem Maß betreffen.
Suarbrück*n Ulrich Mann
Mann, Ullrich: Einführung in die Religionspsychologie.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1973.
VIII, 171 S. 8°. Kart. DM 26,50.
Ursprung der Religionspsychologie ist für den Verfasser
ein urmenschliches Fragen nach dem Zusammenhang
von Religion und Seele. Die eigentlich wissenschaftliche
Bearbeitung der Frage beginnt schon in den klassischen
Dokumenten der antiken Hochkulturen des Westens
und des Ostens. Seit ihren Anfängen ist die Religionspsychologie
von der Religionskritik begleitet. Feuerbach,
Marx und Freud gehören darum zu den Diskussionspartnern
des Verfassers. Aber sie betreiben „Religionspsychologie
von außen". Diese kann nach U. Mann nie die
Religionspsychologie von innen ersetzen, weil ihr das
Geheimnis des Religiösen verborgen bleibt.
Mann gibt einen Überblick über die Entwicklung der
empirisch-wissenschaftlichen Religionspsychologie seit
James und Hall, erörtert Möglichkeiten und Grenzen
des Experiments auf diesem Gebiet und macht die
Schwierigkeiten der wissenschaftlichen Organisation
des Faches und seiner Einordnung in das System der
theologischen Fächer verständlich. Angesichts der gewaltigen
„S.-Freud-Hausse" bei den Theologen vertritt
U. Mann pointiert die Ansicht, daß für die Religionspsychologie
das Werk von C. G. Jung ungleich bedeutungsvoller
ist als das von Freud, weil es die theoretischen
Voraussetzungen zur Gestalt- und Symbol-Forschung
liefert und mit seinen Kategorien eine differenzierte
Erfassung religiöser Phänomene erlaubt.
Der Vf. fragt auch nach Sinn und Voraussetzungen
seiner Wissenschaft und findet diese in der Überzeugung,
„daß der Zusammenhang von Religion und Psyche eine
nicht nur negative, sondern trotz aller Kritik, im wesentlichen
positive Bedeutung hat" (S. 70). Daß damit auch
die Wahrheitsfrage gestellt ist, weiß U. Mann sehr wohl.
Bei der Beschreibung der Arbeitsweise seiner Wissenschaft
gliedert er in drei Bereiche: praktische, historische
und systematische Religionspsychologie. Von der Beschäftigung
mit diesen drei Bereichen erwartet er einige
Hilfe zum Verständnis der Säkularisation und zur Vertiefung
des Gottesverständnisses. Im Sinne von C. G.
Jung möchte er das mythische Bild, daß der Gottessohn
den zornigen Vater versöhnt hat, durch die Berücksichtigung
des Weiblichen ergänzen. Das Weibliche sieht er besonders
im Glauben. Der Glaube „macht den Vater zum
Vater, und noch mehr: er ist selbst die Empfängnis und
die Mutter in einem" (S. 158). „Der Geistvater und die
mütterliche Psyche, der Logos-Sohn und die Sophia-
Braut stellen erst die Ganzheit der Gottheit her; Gottheit
: das heißt Geschehen, Werden, Ereignis!" (S. 159).
Um dieser Ganzheit der Gottheit näherzukommen, muß
der männliche Nachfolger Jesu sich mit der Anima Jesu
identifizieren und der Animus der Frau mit dem Ani-
mus der Maria.
Das Buch von U. Mann ist ein Beweis dafür, welch
fruchtbare Impulse für die Erforschung der Religion von
der Psychologie Jungs ausgehen. Um sie zu verarbeiten,
bedarf es freilich noch der harten Arbeit zahlreicher
Svstematiker, die sich ohne antipsychologisches Ressentiment
und ohne dogmatische Bindung an die Freud'sche
Religionskritik auf eine solche Fragestellung einlassen.
Reinach Walter Neidhart
Adler, Gerhard: Die „okkulte Welle" als Herausforderung
(StZ 99, 1974 S. 845-854).
Altner, Günter: Das Triebkonzept der Verhaltensforschung
(ZW 45, 1974 S. 145-155).
Ammon, Günter: Konstruktive Aggression (ZW 45, 1974
S. 155-169).
Bach, Helmut: Der Traum als Wunscherfüllung nach Sigmund
Freud (ZW 45, 1974 S. 225-236).