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Ausgabe:

1975

Spalte:

854

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bernd, Adam

Titel/Untertitel:

Eigene Lebens-Beschreibung 1975

Rezensent:

Zeller, Winfried

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 11

854

sentliche Aspekte der Theologie des 19. Jh.s ergänzt zu
haben. Dafür gebührt dem Vf. Dank.
Erfurt Wilhelm Ernst

Troeltsch, Ernst: Briefe an Friedrich von Hügel 1901 bis
1923. Mit einer Einleitung hrsg. v. K.-E. Apfelbacher u.
P. Neuner. Paderborn: Verlag der Bonifacius-Drucke-
rei [1947]. 159 S. 8° ■ Konfessionskundl. Schriften des
Johann-Adam-Möhler-Instituts, 11. Kart. DM8,50.
Angeregt von ihrem Doktorvater Heinrich Fries legen
die Hrsg. als Nebenfrucht ihrer Dissertationen über
Troeltsch und von Hügel 24 Briefe Troeltschs und zwei
Briefe seiner Frau Marta, kurze Zeit nach Troeltschs
Tod verfaßt, vor, die im literarischen Nachlaß von Hügels
in der University Library St. Andrews (Schottland),
Archiv-Nr. MS 3075-MS 3100, aufbewahrt werden. Orthographie
und Satzzeichen wurden den heutigen Regeln
angepaßt, sonst sind die Texte wortgetreu abgedruckt.
Auf die Wiedergabe von Randnotizen, Unterstreichungen
u. ä., offenbar in der Hauptsache vom Empfänger, haben
die Hrsg. verzichtet — von bedeutsamen Ausnahmen abgesehen
, die in den Anmerkungen ausgewiesen sind. Die
seinerzeit bereits veröffentlichten Briefstellen in von Hügels
Nachruf auf Troeltsch (vgl. The Times Literary Supplement
v. 29. 3. 1923, 216; CW 37 [1923], Sp. 311-315)
sind kenntlich gemacht, die in den Briefen erwähnten
Persönlichkeiten, Schriften, Ereignisse in den Fußnoten
kurz erläutert, ein Personenregister ist beigegeben.

In der Einleitung zu dieser echten Rarität umreißen die
Hrsg. Leben und Werk der beiden Briefpartner. Von Hügel
, bereits 1896 auf Troeltsch aufmerksam geworden,
nahm direkten Kontakt mit dem jungen Wissenschaftler
, in dessen Arbeiten er zu seinem „freudigen Erstaunen
" in „unerhörter Fülle und Klarheit" eigene Uberzeugungen
wiederfand (36f.), Anfang 1901 auf. Der Antwortbrief
Troeltschs, auf den 13. 4. 1901 datiert, eröffnete
eine Korrespondenz, die den Leser dieses sympathischen
Büchleins unmittelbar anrührt. Der Inhalt der
Briefe Baron von Hügels, teilweise von Troeltsch auf
dessen Verlangen vernichtet, teilweise mit Troeltschs
Nachlaß untergegangen (47), ist indirekt gegenwärtig.
Gesehen haben sich der „Laienbischof der Modernisten",
der in selbstloser Weise Ideen und Werk des großen Kultur
- und Religionsphilosophen in der englischsprachigen
Welt bekanntmachte, nur ein einziges Mal: im Jahre 1902.
Von Hügels Bemühungen vieler Jahre, Troeltsch für Vorträge
in England zu gewinnen, scheiterten aus verschiedenen
Gründen. Wenige Tage vor einer 1923 in greifbare
Nähe gerückten Reise verstarb Troeltsch.

Troeltsch tritt uns in diesen Briefzeugnissen, deren
Herausgabe wärmstens zu begrüßen ist, als ein tiefreligiöser
Mensch entgegen; und dies mag — über alle wissenschaftlichen
Kongruenzen und Divergenzen hinweg —
der Punkt gewesen sein, an dem sich der Protestant und
der Katholik in einer, man möchte sagen, zarten und behutsamen
Freundschaft trafen. Zugleich wird in den
Briefen der Existenzialimpuls des wissenschaftlichen
Ringens von Troeltsch um eine integrative Religionsphilosophie
mit ihren monumentalen religionssoziologischen
und geschichtsphilosophischen Blöcken nacherlebbar
. Die Briefe Nr. 12 bis Nr. 24, die den Zeitraum vom
31. 1. 1920 bis 11. 1. 1923 umfassen und nach fast siebenjähriger
Pause die 1913 unterbrochene Korrespondenz
fortführen, sind für den Zeitgeschichtler von atmosphärischem
Interesse. Die politisch bedingten Spannungen
zwischen Engländern und Deutschen werden hier ebenso
beleuchtet wie die Frage der Kriegsziele des kaiserlichen
Deutschland (Brief Nr. 16, 17). Troeltsch, der sich
gegen Ende des Krieges für einen Verständigungsfrieden
ausgesprochen hatte, wurde auch später nicht müde — wie
besonders Brief Nr. 24 zeigt -, im Ausland Mißtrauen
abzubauen. Als ein eminenter „homme politique", der

sich bekanntlich nach der Novemberrevolution für einen
gemäßigt demokratischen Weg engagierte, beobachtete
Troeltsch mit zunehmender Resignation, wie sich der politische
(und kirchliche) Konservatismus rasch an allen
Fronten erholte. Nach der Ermordung seines Freundes
Rathenau schrieb er im Innersten getroffen (Brief Nr. 18):
„Eine tiefe Trauer wird zwar wohl nie mehr von mir
weichen, solange ich lebe. Soweit ich für irdische Dinge
lebe, habe ich für mein Vaterland gelebt, und ich sehe
nun seinen hoffnungslosen Zerfall." Den Herausgebern,
welche die Wurzel der Resignation Troeltschs „zweifellos
nicht (in) ein(em) angebliche(n) Scheitern seines
wissenschaftlichen Denkens, sondern (in) de(m) verhängnisvollen
Lauf der Ereignisse in Kirche und Politik" sehen
(28), ist nach der Lektüre der Briefe beizupflichten.
Mit welch frischem Optimismus hat Troeltsch auch in
den letzten Jahren immer wieder von seinem großen
wissenschaftlichen Ziel sprechen können (Brief Nr. 12,15,
20).

Seite 25 wird vom „Komitee der Unabhängigen" gesprochen
. Offenbar ist der „Unabhängige Ausschuß für
einen Deutschen Frieden" gemeint.

Leipzig Kurt Nowak

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Nachdruck
der 1738 erschienenen Ausgabe. Mit einem Nachwort,
Anmerkungen, Namen- und Sachregister hrsg. v. V.
Hoffmann. München: Winkler [1973]. 483 S. 8° = Die
Fundgrube. Lw. DM 30,-.

Die „Eigene Lebens-Beschreibung" des aus Schlesien
stammenden Leipziger Pfarrers Adam Bernd spielt in
der Geschichte der pietistischen Autobiographie eine
wichtige Rolle. Nach Werner Mahrholz bildet das 1738
erschienene Buch den „Umschlag von theologisch gedeuteter
und theologisch gewerteter Selbstanalyse in psychologische
Beobachtung um ihrer selbst willen". Die ständige
Erfahrung von Krankheit und Melancholie, das Erlebnis
von Schwermut und Leid als Bedrückung und Erniedrigung
haben in Bernd den Drang zu steter Selbstbetrachtung
und schonungsloser Selbstenthüllung geweckt,
und das in einem solchen Maße, daß Leser verschiedenster
Herkunft durch die peinliche und oft kleinliche Offenlegung
von Gedanken und Gefühlen abgestoßen wurden
.

Volker Hoffmann hat nun darauf hingewiesen, daß die
autobiographischen Züge, die alle Schriften Bernds an
sich tragen, „aus seinen Predigten und seinen moraltheologischen
Kursen herausgewachsen" sind. Selbsterkenntnis
durch rücksichtslose Selbstentblößung vollzieht
sich bei Bernd nicht als mystisches Innenerlebnis
, sondern als psychologische Selbstdarstellung
nach außen. Mit seinem Drang zu ständiger Selbstbeschreibung
will Bernd sowohl seine pathologischen
Hemmugen als auch seine sozialen Beschränkungen
durchbrechen. Nach Hoffmann beruht das „Ärgernis
der Pathologie Bernds" weiterhin aber auch darauf
, „daß sie keine beliebig individuelle ist, sondern daß
sie typisch ist für die latente Krankheitsgeschichte des
aufgeklärten Jahrhunderts". Gerade als charakteristisches
Dokument einer latenten Zeitkrankheit während
Pietismus und Aufklärung verdient Bernds Autobiographie
die Beachtung des Theologen.

Die Neuausgabe, die den ungekürzten Text des Originals
wiedergibt, ist nach modernen wissenschaftlichen
Editionsmethoden gestaltet. Bibelzitate werden stets
nachgewiesen und fremdsprachige Begriffe erläutert.
Ausführliche Namen- und Sachregister bieten wertvolle
Hilfe. Bei letzterem ist der auf S. 354 eingehend behandelte
„Conatismus" übersehen worden. Das Nachwort
des Herausgebers orientiert über die literarhistorischen
und geistesgeschichtlichen Zusammenhänge.

Marburg Winfried Zeller