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Ausgabe:

1975

Spalte:

63-65

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Korff, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Norm und Sittlichkeit 1975

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 1

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auch die evangelische Entfaltung von der Richtung des
katholischen Marienverständnisses nicht abweicht, sondern
zur Übereinstimmung im Glauben führt. Während
der evangelische Partner, ohne die katholischen Mariendogmen
explizit anzunehmen, diese nicht ausdrücklich
verwerfen müsse, sondern als mögliches katholisches
Selbstverständnis annehmen könne.

Es ist dem Vf. zu danken, daß er in einer Situation, in
der die Mariologie in der theologischen Diskussion in den
Hintergrund getreten ist, die diesbezüglichen Aussagen
zweier prominenter Systematiker sammelt und vergleicht
. Der daraus gefolgerte Konsensus freilieh dürfte
faktisch sehr viel geringer sein, als der Vf. den Anschein
erweckt, nicht zuletzt deswegen, weil er die Relevanz des
formulierten Dogmas ziemlich unverbindlich sieht und
den spirituellen Aspekt seines Themas nicht nach seinen
jeweils recht unterschiedlichen Ausprägungen in den
beiden Konfessionen veranschlagt.

Ntenbug Wolfgwij DletifclbtDger

ETHIK

Korff, Wilhelm: Nonn und Sittlichkeit. Untersuchungen zur
Jxigik der normativen Vernunft. Mainz: Matthias-Grünc-
wald-Verlag [1973]. 215 S. S : Tübinger Theologische
Studien, hrsg. von A.Auer. W. Kas|>er. H.K fing. .M.Keekler,
I. Kurt. DM 20,50.

Der Verfasser, seit, 1972 Professor für theologische
Ethik an ein- Katholisch-Theologischen Fakultät der
Universität Tübingen, will sich in dieser Habilitations
schrift der Frage nach der Möglichkeit von normativer
Moral als Wissenschaft stellen, um im Kontext: heutiger
Wissenschaft eine normative Ethik verantworten zu
können. ..Aufgabe und Ziel einer so verstandenen Ethik
wird es dann sein, jene menschliches Handeln durchwaltenden
Gesetzlichkeiten ans Lieht zu heben, die als
unabdingbare Dispositionsfaktoren dieses Handeln erst
zu einem humanen Handeln machen, es unbeliebig gestalten
, der Willkür entziehen und darin zugleich auf die
Vielfalt seiner tatsächlichen konstruktiven Verwirklichungen
hin entwurfsoffen halten" (10).

Das Buch enthält in seinein größeren eisten Teil eine
„Grundlagenanalyse des Normproblems" und in einem
kleineren /.weifen Teil „Aktualisierungen und Konkretionen
"; Letztere sind zum Teil schon als Einzelbeiträge
in der Zeitschrift „Concilium" veröffentlicht worden.
So gilt das besondere Interesse dem ersten Teil, in dein
der Vf. das Konzept einer normativen Ethik in Auseinandersetzung
mit Positivismus, Fundamentalhermeneutik
und Sozialontologie zu begründen und zu
verteidigen sucht. Im Mittelpunkt steht dabei der Begriff
der „Unbeliebigkeit", den der Vf. aus der Naturrechtsdiskussion
von Max Müller übernommen hat und
der die wesenhafte Verbindlichkeit des Normenanspruch
umschreibt. Im Gegensatz dazu steht eine Moral, die
ihre Entscheidungen und Zwecksetzungen der Beliebigkeit
freigibt, da sie auf Grund eines Mißtrauens in die
rationale Möglichkeit des Normativen überhaupt, das
sieh aus der „heterogenen Vielfalt der Nonnenwelt"

ableitet, Werturteile abzugeben sieh nicht in der Lage
sieht. Der Vf. vertritt dagegen die These, „daß sich die
normative Vernunft aus der Kraft der sie gründend
durchwaltenden anthropologischen Gesetzlichkeiten das
Vertrauen in die Möglichkeif ihrer eigenen Rationalität
und Sinnlogik bewahrt" (38f.).

Nachdem der „naturale und theologale Gründungs-
zusammenhang des Normativen nach Thomas von
Aquin" vom Vf. mit Hilfe des Gesetzesbegriffs dargelegt

worden ist, wendet er sich in den beiden zentralen Kapiteln
seiner Analyse der geschichtlichen und der naturalen
Unbeliebigkeitslogik menschlicher Normativität zu. Die
Vernunftnatur liegt der geschichtlichen Vernunft voraus
; in einem elementaren Sinne weiß der Mensch z.B.
in der Situation des Bedrohtseins, was Tapferkeit heil.it.
auch wenn die Formen der Bedrohung und das ge-
schichtsspezifische Tapferkeitsethos sieh wandeln. „Die
Vernunft als Bestandteil und Funktion der menschlichen
Natur ist es, die den Menschen bleibend und nnauf-
hebbar geschichtliches Wesen sein läßt" (72), so dal.l sie
auch im Prozeß ihrer geschichtliehen Aktualisierungen
von der Natur disponiert bleibt.

Die in der bio-psychischen Natur fundierten Antriebsgesetze
des Menschen, auf denen sein Sozialverhalfen
beruht, werden vom Vf. nach einer Diskussion der
neueren Verhaltens- und Konflikt forschung in einer dreifachen
Beziehungsdimension gesehen: ..der Mensch ist
dem Menschen Bedürfniswesen. Aggressor und Für-
Sorger zugleich" (91). Diesen drei Dimensionen entspricht
jeweils ein sachliaft-gebrauchender, ein konkurrierender
und ein solidarist h-zuwendender Umgang
von Mensch zu Mensch. In jeder Interaktionsforin dominiert
jeweils eine dieser Bezugsdimensioneii, ohne daß
die beiden anderen deswegen ausfielen. Es ist sogar notwendig
, daß alle, drei stets gegenwärtig sind, denn keine
dieser drei Komponenten ist entbehrlich. „Daß es also
im jeweiligen sozialen I la nd lungsgefiige ein jeweiliges
intentionales Forniganzes bildet, dies eigentlich ist erst
die Leistung der menschlichen Vernunft" (97). So können
auch die vom Menschen selbst geschaffenen Normen
und Institutionen ..nur in dem Maße zu seinem humanen
Seinkönnen bin befreien, wie sie sich selbst als Funktion
und Produkt der integrativen Vernunft jener naturalen

Antriebsstrukturert erweisen" (101). Normen sind des

Menschen wegen da null nicht der Mensch der Nonnen
wegen, und die Vernunft der Normen erweist sich an der
ihnen gründend vorausliegenden naturalen Vernunft,
deren Produkt ilie moralischen Normen letztlich sind.
Ihre sittliche Einheit empfangen sie aus dem mit der
Offenbarung eröffneten Bezug Gottes zum Menschen,
der im transzendierenden Glauben gewonnen w ird. Den

noch bleibt die I heologische Ethik ,,auf die Reflexion der
immanent strukturellen Bedingungen menschlichen
Seinkönnens und menschlicher Daseinsvollzüge verwiesen
, will sie nicht den schöpfungsinäßig gegründeten
naturalen Sinnexus jeglichen Handelns verfehlen" (III)-
Auch hierin bleibt der Vf. dem thomistisohen Ansatz des
Denkens treu. Die Normen der Sittlichkeit gründen in
der Natur und zielen auf den Glauben, der die Vernunft
..wesenhaft aus der Affirmation Gottes zum Menschen
und damit selbst als affirmative, d.h. inchoativ auf
absolute Vollendung hin offengehaltene begreifen läßt"

Von den Aufsätzen des zweiten Teiles beschäftigt sich
der erste mit dem Thema „Empirische Sozialforsch ung
und Moral" (131-143). Für die ethische Diskussion ergiebig
ist dabei die Klärung der Formel „normative
Kraft des Faktischen". Dem bloßen Faktum eines
normabweichenden Verhaltens kann noch keine normative
Kraft zugesprochen werden, solange nicht das Urteil
der Betrenenden über ihr Verhalfen in Rechnung
gestellt worden ist. Es kann „immer nur die einem tatsächlichen
Verhalten innewohnende Überzeugung sein,
die .auf soziale Anerkennung drängt und als solche normative
Kraft entwickelt. Um Mißverständnisse auszuschließen
, sollte man künftig deshalb wohl besser von
der .normativen Kraft faktisch gelebter Überzeugungen
' sprechen" (138f.). Daß sich auf diesem Wege neue
Normen durchsetzen können; ist auch im Sinne dd
klassischen ethischen Tradition nicht zu bestreiten.