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Ausgabe:

1975

Spalte:

850-853

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ruf, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Johann Sebastian von Dreys System der Theologie als Begründung der Moraltheologie 1975

Rezensent:

Ernst, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 11

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nung von Luther sind auf seltsame Weise signifikant, so
in dem Rechtfertigungsverständnis durch den Glauben,
aber nicht unter Übernahme des sola fide. In gewisser
Spannung zu Luther „begegnet uns bei Capito eine an
der Schrift orientierte und auf innerer Erfahrung des
Menschen beruhende, asketisch-moralisch ausgerichtete
Geisttheologie" (S. 132). Luther scheint „immer wieder
moralisch mißverstanden". Die „doctrina christiana" kulminiert
für Capito im Liebesgebot, d. h. in „sozialen Forderungen
" (S. 133). Mit all diesen Ergebnissen hat er Anteil
an dem auch sonst im Erasmianismus bekannten humanistischen
(Miß-)Verständnis der Theologie Luthers,
deren antischolastische Implikationen man allerdings
teilt. Luther wurde auch von Capito auf der Seite der
Humanisten gesehen, die sich auf ihre Weise bemühten,
das Evangelium neu ans Licht zu bringen. Capito stieß
durch Erasmus zu Paulus, wurde aber durch Luther dann
weitergedrängt zum Verständnis der ungeteilten Gnade
Gottes ohne verdienstliche Werke.

So distanzierte sich der Münsterprediger immer mehr
von der scholastischen merita-Lehre und damit dann
auch von der mittelalterlichen Meßauffassung. Wenn er
im weiteren Fortschreiten der Römerbriefauslegung zur
evangelischen Rechtfertigungslehre fand, so doch nach
Meinung der Vf.in im Kontext eines unscharfen Glaubensbegriffs
. „Der Glaube ist eng mit den Werken verbunden
und spiritualistisch gefärbt" (S. 195). ..Die betonte
Hervorhebung des extra nos der Heilsveranstaltung
Gottes und ein Glaubensbegriff, der eng mit den
Werken verbunden bleibt, sind Kennzeichen reformierter
Theologie geworden. Die spiritualistischen Akzente
weisen auf Tendenzen hin, die sich später in Capitos
Sympathie mit den oberdeutschen Täufern noch deutlicher
äußerten."

1520 trat der im oberdeutschen Raum sehr bekannte
Prediger in den Dienst Albrechts von Mainz. Er wurde
Prediger am Dom und Rat des Erzbischofs. Seine Vermittlungsrolle
zwischen den Parteien geriet, allmählich
deutlicher werdend, zu einer Stellungnahme für die Reformation
. Sein Ubergang im Frühjahr 1523 nach Straßburg
signalisiert wahrscheinlich seine Erkenntnis, dem
Evangelium jetzt kompromißloser reformatorisch durch
Wort und Tat zu Hilfe zu kommen. Wenn er — so Beate
Stierle — „nicht einfach Bin Lutheraner' nach Straßburg"
gezogen ist (S. 196), dann ist die Frage nach Capitos deutlichen
Kriterien des Reformatorischen besonders brennend
. Es ist zu wünschen, daß sie für die Folgezeit des
Straßburger Reformators eine ebenso gründliche Beantwortung
findet wie die nach den theologischen Ergebnissen
der humanistischen Periode Capitos.

Die Quellenbemühung der Vf.in ist beachtlich. Vielleichtist
jedoch die systematisch-theologische Profllierung
der vielen erörterten Topoi nicht immer übersichtlich genug
. Zwischenüberschriften oder thematische Straffung
hätten die Orientierung im Gewirr des reich ausgebreiteten
Materials sicherlich erleichtert. Immerhin bietet die
Vf.in dankenswerterweise nach jedem Kapitel Zusammenfassungen
, die den bisweilen komplizierten Sachverhalt
und den Gedankenfortschritt gut markieren.

Möglicherweise fragt sich mancher Leser, ob in der
Darstellung selbst für eine Reihe von Termini die Dek-
kung vorhanden ist. In welchem Sinne das Glaubensverständnis
Capitos „spiritualistisch gefärbt" (S. 195) erscheint
, wird kaum überzeugend ausgeführt. Ähnliches
trifft zu für die Kennzeichnung des reformierten Glau-
bensbegriffs. der eng mit den Werken verbunden sei
(a.a.O.). Solche Formulierungen sind zu unbestimmt, als
daß sie unvorbereitet in die letzten Zeilen einer Abschlußzusammenfassung
hineingehören.

Zweifellos hat Beate Stierle der Capito-Forschung ein
wichtiges Stück vorangeholfen. Das sei dankbar quittiert.

Berlin Joachim Rogge

Franz, Gunther: Huberinus — Rhegius — Holbein. Bibliographische
und druckgeschichtliche Untersuchung der
verbreitetsten Trost- und Erbauungsschriften des 16.
Jahrhunderts. Nieuwkoop: B. de Graaf 1973. VIII,
313 S., 39 Taf. gr. 8° = Bibliotheca humanistica & re-
formatorica, VII. Lw. hfl. 95.—.

In der Geschichte der Erbauungsliteratur des Reför-
mationsjahrhunderts nimmt die Stadt Augsburg eine
wichtige Rolle ein. In der Zeit von 1525 bis 1530 bildete
sie den Wohnort zweier Männer, deren fast gleichzeitig
entstandene Trostschriften, häufig sogar in einem Bande
vereint, zahlreiche Auflagen und Nachdrucke erfuhren.

Caspar Huber/Huberinus geht es um die Frage, „wie
man den Sterbenden trösten und ihm zusprechen soll".
In Anlehnung an die mittelalterliche „ars moriendi" entwickelt
Huberinus einen evangelischen Begriff des Trostes
. Aus dem Wort Gottes empfängt der Gläubige die
Vollmacht zu geistlichem Zuspruch, der als Sterbehilfe
die Überwindung der Anfechtungen in der Todesstunde
ermöglicht. Nach Urbanus Rhegius bedrängen den leidenden
und sterbenden Menschen drei Dinge: die Sünde,
der Tod und die Hölle. Wie wir nur durch Christus Vergebung
der Sünden erlangen, so kann uns allein durch
ihn die Gewißheit des ewigen Lebens zuteil werden. Die
„Seelenarznei" des Rhegius erweist sich dabei von den
Gedanken abhängig, die der junge Luther in seinem
„Sermon von der Bereitung zum Sterben" ausgesprochen
hatte.

Gunther Franz hat nunmehr erstmals eine mustergültige
kritische Ausgabe der beiden Trostschriften von
Huberinus und Rhegius aus dem Jahre 1529 vorgelegt.
Beide Werke sind damit jetzt in einem nach den frühesten
Drucken erarbeiteten Text der frömmigkeitsgeschichtlichen
Forschung zugänglich gemacht. Den weitaus
größten Teil des Buches beansprucht allerdings die
ausführliche Darstellung der Überlieferungsgeschichte,
die durch eine sorgfältige Bibliographie der zahlreichen
deutschen und fremdsprachigen Ausgaben beider Traktate
ergänzt wird. Außerdem werden in ihr auch die
übrigen von Huberinus verfaßten Schriften berücksichtigt
. Besondere Beachtung verdient die auch in kunstgeschichtlicher
Hinsicht bedeutsame Tatsache, daß die
Trostbücher von Huberinus und Rhegius mehrfach zusammen
mit den Totentanzbildern Hans Holbeins gedruckt
worden sind.

Das ausgezeichnet erarbeitete und vorzüglich ausgestattete
Buch bildet eine unentbehrliche Hilfe für jeden,
der sich mit der Geschichte der Reformation und ihren
Leistungen auf dem Gebiet der Erbauungsliteratur befaßt
.

Marburg Winfried Zeller

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Ruf, Wolfgang: Johann Sebastian von Dreys System der
Theologie als Begründung der Moraltheologie. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1974. 175 S. gr. 8" = Studien
zur Theologie u. Geistesgeschichte des 19. Jahrh.,
7. Lw. DM 28,-.

Die von B. Casper veröffentlichte Dissertation des 1968
verstorbenen Konstanzer Studentenpfarrers Wolfgang
Ruf stellt den Versuch dar, auf der Grundlage des Begriffs
von Wissenschaft und Theologie bei Johann Sebastian
von Drey die Begründung und Stellung der Moraltheologie
im System der Theologie zu erarbeiten. Die
Arbeit gliedert sich auf in: Vorwort von B. Casper (5f.),
Inhaltsverzeichnis (7f.), Einleitung (9f.), Einführung (11
bis 54), Hauptteil (55-148), Anhang (149-159), Quellen-
und Literaturverzeichnis (160-171), Biographische Notizen
(172) und Personenregister (173-175).