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Ausgabe:

1975

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 11

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ren Worten: in Luther kamen die Ockhamschen Anschauungen
und die eigenen Erfahrungen zu einer Kongruenz
, die uns verständlich macht, wie selbstverständlich
einige Vorstellungen über Ursprung, Verfassung und
Aufgaben der weltlichen Gewalt für Luther waren, so
daß er es unterließ, ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
Wenn das aber so ist, müssen sie auch nicht als wesenhafter
Bestandteil seiner Theologie angesehen werden.

Leipzig Helmar Junghans

Aichele, Klaus: Das Antichristdrama des Mittelalters,
der Reformation und Gegenreformation. Den Haag:
Nijhoff 1974. IX, 239 S. gr. 8°. DM 37,50.

Die volkstümlichen Antichristdramen, die Vf. in seiner
erweiterten Dissertation zusammenträgt, haben in der
Literaturgeschichtsforschung und -Schreibung sowie in
theologischen Untersuchungen stets im Schatten des ge-
schichtstheologisch vertieften und zeitgeschichtlich-politisch
orientierten ,Ludus de Antichristo' gestanden. Die
vorliegende Studie kann und will diesem ,Tegernseer
Antichrist' den Rang nicht streitig machen, zeigt aber
u. a. durch seine Einbeziehung in den Kreis der überlieferten
bzw. nur erwähnten europäischen Antichristdramen
, daß er kein absolutes Sonderdasein führt und daß
sich durchaus Verbindungslinien zwischen ihm und anderen
Antichristspielen (Vf. setzt Drama gleich Spiel)
ziehen lassen.

In seinem Einleitungskapitel gibt Vf. einen Einblick
in das Werden und Wachsen der Antichristlegende bis
hin zu Adso (10. Jh.), der sie in eine Form brachte, in der
sie weite Verbreitung fand und verschiedentlich dichterisch
zum Zweck der Aufführung bearbeitet wurde. Ausführlich
stellt Vf. dar, wie diese Legende entstanden ist
aus der biblischen Vorstellungswelt und aus außerbiblischen
endzeitlichen Literaturen, in denen widergöttliche
Mächte und Kräfte ihre Existenz führen, und wie sie sich
insbesondere in Krisenzeiten entfaltet, in denen das Volk
an eschatologische Hoffnungen auch politische Erwartungen
knüpft. In nachbiblischer Zeit z. B. geben die
Martyrien der frühen Christen Anlaß zur Identifikation
des Antichrist mit den Initiatoren dieser Verfolgungen
und Peinigungen. Vom 3. Jh. an nimmt die Antichristgestalt
Einzelzüge an, und in der Folgezeit wird auf sie die
Lebens-, Leidens- und Auferstehungsgeschichte Jesu
kontrastierend übertragen.

Vierzig Antichristdramen deutscher, schweizerischer,
italienischer, französischer und englischer Provenienz
hat A. erfaßt. Nicht uninteressant wäre es gewesen, zu
erfahren, ob er sich bei seiner Untersuchung bewußt auf
diesen west- und südeuropäischen Raum beschränkt hat
oder ob es anderwärts überhaupt keine Uberlieferungen
bzw. Nachrichten von Antichristspielen gibt. Gern hätte
man begreiflicherweise auch etwas gewußt über die Situation
, aus der heraus insbesondere die außerdeutschen
Spiele entstanden sind.

Im ersten Hauptteil seiner Arbeit stellt Vf. die Dramen
einzeln vor, ohne jedoch eine Einschätzung vorzunehmen
, nennt, soweit sein Material es zuläßt, den Namen
des Dichters und die Entstehungszeit, setzt die Dichtungen
in Beziehung zu ihren möglichen Vorlagen, charakterisiert
ihre Form und ihren Inhalt, gibt Szenenaufrisse
und weist hin auf den Gang ihrer Entwicklung vom
Mittelalter zur Reformations- und Gegenreformationszeit
. Leider unterläßt er es, die Dichter als Künstlerpersönlichkeiten
zu würdigen und ihren gesellschaftlichen,
geistigen und politischen Standort zu bestimmen; auch
erfährt der Leser wenig über ihr Verhältnis zum Publikum
und kaum etwas über die von ihnen beabsichtigte
und beim Publikum erzielte Wirkung.

Im zweiten Hauptteil verfolgt Vf. im einzelnen die
Entwicklung von Motiv- und Szenengruppen, die nach

seiner Darstellung grundsätzlich auf dem Prinzip der
typologischen Übertragung basiert. Dabei beobachtet er
eine entscheidende Zäsur beim Übergang vom mittelalterlich
-katholischen Antichristdrama, das sich an das
„biographische Schema" hält, zum reformatorischen, das
die Anschauung Luthers von der Identität des Antichrist
mit dem Papst bzw. dem Papsttum popularisiert. Die
neue Konzeption der Spiele mit der Konzentration auf
das polare Paar Christus — Papst hat eine Reihe von
Um- bzw. Neubildungen zur Folge. Insbesondere ist die
Prophetenszene davon betroffen; sie wird in reformatorischem
Sinne umfunktioniert, dramatisch gesteigert und
durch neue Darstellungsmittel zeitgemäß gestaltet. Darüber
hinaus gewinnt das Antichristdrama der Reformationszeit
gegenüber dem mittelalterlichen an „historischer
Aktualität". Vf. versäumt aber, die Dramen im Zusammenhang
zu sehen mit dem großen historischen Umwandlungsprozeß
jener Zeit. Er nutzt in keiner Weise
die sich bietenden Möglichkeiten, die künstlerische Widerspiegelung
der damaligen Volksbewegungen aufzuzeigen
, wie er überhaupt dazu neigt, politisch-soziale Züge
, wo immer sie in den Dichtungen erscheinen, zu relativieren
.

Die weitere Entwicklung der Antichristdramen bis zur
Mitte des 17. Jh.s verläuft zweisträngig. Nach Vf.s Ausführungen
wird einerseits die protestantische Tradition
fortgesetzt, wobei allerdings ein „Rückfall in die vorlutherische
Antichristologie" nicht zu verkennen ist, andererseits
wird an die mittelalterlich-katholische angeknüpft
. Abgesehen davon, daß ich es für fraglich halte,
wenn Vf. diesen Zeitraum von etwa 1550—1650 mit dem
Begriff ,Gegenreformation' meint erfassen zu können,
sollte sich eine Epocheneinteilung nicht ausschließlich an
literarischen Kriterien orientieren, und sie sollte auch
nicht dazu führen, daß die Zusammenschau von Dramen
aus der Feder ein und desselben Dichters verhindert wird.
Vf. reiht z. B. Pamphilius Gengenbachs .Nollhart' (1517)
in die Spiele des Mittelalters ein — durchaus zu Recht —,
und dessen ,Totenfresser' (1521) zählt er — ebenso zu
Recht — zu denen der Reformation, ohne jedoch eine Verbindung
vor dem gemeinsamen Hintergrund der einen
Dichterpersönlichkeit herzustellen. Verkettungen dieser
Art vermißt man des öfteren.

Schließlich sei positiv vermerkt, daß Vf. durch die
nahezu vollständige Erfassung der Antichristdramen in
dem oben angegebenen geographischen Raum die vielfach
noch lückenhaften Kenntnisse vom geistlichen
Schauspiel des Mittelalters und der frühen Neuzeit auffüllt
und den Antichristdramen in allen ihren Entwicklungsstadien
den ihnen gebührenden Platz neben den
Oster-, Passions- und anderen liturgischen Spielen zuweist
; zudem öffnet er den Blick für eine Antichristologie
, wie sie sich angesichts endzeitlicher Vorahnungen in
weiten Kreisen des Volkes bildet und wandelt. Er zeigt,
wie sie in die europäische Literatur Eingang findet, dichterisch
ausgeformt und ins Spiel umgesetzt wird und nun
ihrerseits auf das Denken, Fühlen und Wollen des Zuschauers
Einfluß nehmen kann.

Halle/Saale Brigitta Schreyer-Koehmann

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