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Ausgabe:

1975

Spalte:

836-838

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Biser, Eugen

Titel/Untertitel:

Der Helfer 1975

Rezensent:

Baumbach, Günther

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Theologisehe Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 11

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merksamkeit zu widmen, soll eine Geschichte der Vergangenheit
als ein sinnvoller Geschehensablaut verständlich
gemacht werden. In einem kausal nicht determinierten
naturwissenschaftlichen Weltbild muß man
die „Offenbarungstatsachen der Geschichte" (26) nicht
leugnen. Auch Wunder, Jungfrauengeburt, Totenauferstehung
, Himmelfahrt usw. haben ihre Logik. „Denn es
ist einfach nicht wahr, daß in der Geschichte keine Erfahrungen
transzendenter Herkunft gemacht werden
könnten und der Vater aller Erkenntnis der prinzipielle
Zweifel sei" (27). Nun, Vater aller Erkenntnis mag ein
zu hohes Prädikat sein. Wenn aber zugleich der „logische
Satz vom zureichenden Grunde" als Auslegungsaxiom
gelten soll (19), ist eben zu dessen Sicherstellung der
Zweifel ein legitimes methodisches Mittel. Daß Buchheim
es viel zuwenig anwendet, hat zur Folge, daß er fast
alle Erkenntnisse der kritischen Bibelwissenschaft verwirft
, aber nicht argumentativ überwindet. Buchheim
arbeitet vor-literarkritisch und vor-formgeschichtlich:
Die Markus-Priorität wird ebenso abgelehnt (12; 175) wie
die Zwei-Quellen-Theorie („dieses Q hat es nie gegeben",
207). Statt dessen wird Levi, dem Zöllner ( = Matthäus),
die älteste „Beweisschrift" für die Auferstehung zugeschrieben
(147ff.), der Quellenwert des Johannes-Evangeliums
dem der Synoptiker übergeordnet (69ff.). Die Pastoralbriefe
sind ebenso echt (140 f.) wie die Petrusbriefe
und der Jakobusbrief (135). Echt ist auch das Nachtragskapitel
des Johannes (58ff.). Der älteste Auferstehungszeuge
ist der Presbyter Johannes (damit „darf mit großer
Wahrscheinlichkeit die bisher umstrittene Johanneische
Frage' als gelöst betrachtet werden", 69). Unerschüttert
ist auch das Vertrauen des Vf.s in die Glaubwürdigkeit
des Papias (z. B. 69). Die Beispiele für einen
geradezu fundamentalistischen Umgang mit den Quellen
ließen sich vermehren. Genug! Vf. bevorzugt trotz gegenteiliger
Behauptung (23 ff.) ein im Grunde naturwissenschaftliches
Erkenntnisprinzip: Ursache und Wirkung,
Wirkung und Ursache stehen in einem sachlichen Kongruenzverhältnis
zueinander. Auch die „Offenbarung"
darf keine Sprünge machen! Typisch dafür sind zwei
Beispiele: S. 17 heißt es: „Ein Jesus, den nur apokalyptische
Erwartungen bewegten, hätte niemals große Geschichte
machen, ja er hätte gar nicht zum ,Erlöser' der
Welt berufen sein können." Woher weiß man das? Das
andere Beispiel steht S. 155: „Es hätte wohl Gottes Weisheit
nicht entsprochen, Jesus vor der Welt mit dem Makel
einer unehelichen Geburt zu belasten." Aber es hat
doch seiner Weisheit entsprochen, ihn als den am Kreuz
Gehängten predigen zu lassen, den Juden ein Ärgernis
und den Griechen eine Torheit!

2. Im Vollzug der Auslegung bedeutet die Handhabung
jenes Axioms nicht selten, daß die Quellenaussagen der
Logik der Tatsachen zum Opfer gebracht werden. Und
hier erhebt sich das ernsthafteste Bedenken: Ist es wirklich
der „historische Christus", den uns das Buch vorführt
, oder ist es die Projektion einer geschichtswissen-
schaftlichen Konstruktion? Die Frage ist aus folgendem
Grunde nicht unberechtigt:

Die Hauptthese des Buches erscheint in einer historischen
Konstruktion von wahrhaft weltgeschichtlicher
Dimension: Die von Jesus gegründete apostolische Kirche
, die den alttestamentlichen Gottesbund abgelöst hat
(9), traf in Gestalt der Res publica Romana auf jene
„weltgeschichtliche Konvergenz", welche „die Sancta
Ecclesia Romana als Fundament der Geschichte Europas
" entstehen ließ (131, 146). Rom mit seiner geistigen
Tradition verband sich mit der Tradition christlicher
Freiheit und wurde so das auserwählte Werkzeug.
„Während die Urkirche in Jerusalem, zum Schmerz des
Herrenbruders Jakobus, eben doch auf unfruchtbarem
Boden stand, wurde die Frühkirche in Rom zu der im
Evangelium gemeinten Senfstaude" (131). „Das war die

,Konstantinische Wende' der Kirchengeschichte, von der
man sich nicht verständnislos moralisierend ein Zerrbild
machen darf" (121). So erfordert es die Logik der
Tatsachen! „Der Zustand der Welt verlangte nach seinem
(sc. Jesu) Neuen Bund. Denn die Welt war nicht
israelitisch geworden, wie die alten Propheten hofften,
sondern griechisch-römisch" (157). Lukas, der „Historiker
" (178), war es, der „den Glauben an die Konvergenz
der Römerherrschaft mit der messianischen Bewegung
durchblicken" ließ (121). Darum ließ er das Christentum
als religio licita erscheinen.

Noch einmal: Ist dieser „historische Christus", der die
Symbiose von Ecclesia und Res publica Romana ermöglichte
, wirklich der biblische geschichtliche Christus?
Die Zweifel verdichten sich, wenn man sieht, wie seine
Botschaft völlig enteschatologisiert wird. Im Zentrum
steht jetzt nicht mehr die Ansage des Reiches und eben
damit das Ende der Geschichte, sondern im Zentrum
steht die Ansage einer „neuen Geschichte" (27), in der
das „israelitische Gottesbund-Privileg" aufgehoben
ist (23) zugunsten des „neuen katholischen Gottesbundes
" (161). Im Pauluskapitel (184ff.) wird entsprechend
gar kein Gewicht auf die Rechtfertigungslehre als Auslegung
der Christologie gelegt und im übrigen die Bedeutung
des Apostels als Theologe völlig verkannt.
Einseitig läßt Buchheim Werk und Ziel des „historischen
Christus" auf die Kirche als „das messianische Gottesvolk
" ausgerichtet sein, „in dem sich Christusliebe und
Bruderliebe zur geschichtlichen Gestalt verdichteten"
(244).

Mit der ekklesiologisch gedeuteten Liebe als einem eindeutigen
Bekenntnis zur Kirche als dem Corpus Christi
endet das Buch. Das verdient Beachtung. Jedoch die Einzelergebnisse
, die zu diesem Ziel geführt haben, werden
sich kritischer Auseinandersetzung stellen müssen. Uberhaupt
liegt m. E. der Wert des Buches weniger in den Ergebnissen
als in der Fragestellung. Der Verfasser,
der „in hohem Alter" schreibt, wünscht, sein Buch „als
ein Vermächtnis zu betrachten, das er hinterlassen will"
(13). Dadurch, daß Buchheim so energisch darauf verweist
, daß „der Ursprung des Christentums ... keineswegs
in ein Zeitalter vorgeschichtlichen Dunkels oder
mythischen Zwielichts (fällt), sondern in eine Epoche, die
genügend erhellt im Lichte der Geschichte liegt" (27), i s t
sein Buch ein Vermächtnis, das angeschnittene Problem
eine bleibende Aufgabe für die Theologie.

Bochum Erich Gräßer

Biser, Eugen: Der Helfer. Eine Vergegenwärtigung Jesu.
München: Kösel-Verlag [1973]. 264 S. 8°. Lw. DM 28,-.

Das aus der Feder des Würzburger katholischen Fundamentaltheologen
stammende Jesus-Buch stellt eine
„Meditationenfolge" dar, die unter dem Kierkegaard-
Wort: „Der Helfer ist die Hilfe" steht und die sich ausdrücklich
an die Menschen wendet, die unter den durch
die „Leistungsgesellschaft und ihre auf exzessive Nutzung
der menschlichen Arbeitskapazität gerichteten
Zwänge" (S. 11) stehen. Bei der „Vergegenwärtigung Jesu
" soll es im Sinne Kierkegaards um die „Gleichzeitigkeit
" mit dem Jesus gehen, „den der heutige Mensch erwartet
" (S. 14), womit die Erfahrung seiner Präsenz, seiner
bis heute wirkenden Ausstrahlungskraft gemeint ist.
Zu diesem Zweck bevorzugt B. „eine im Vergleich zur historisch
-kritischen Deutung einfachere" (S. 26), die darin
besteht, „zwischen den Zeilen des Evangeliums zu lesen
und auf diesem Wege das im Gesagten nur Mitgesagte
...zur Sprache zu bringen" (S. 27). Die Unterscheidung
von primären und sekundären Zeugnissen verliert damit
ihr Gewicht; denn in beiden drücken sich Erfahrungen
der tradierenden Gemeinden mit ihrem Herrn aus. An
der Frage nach dem sog. „historischen Jesus" ist darum