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Ausgabe:

1975

Spalte:

795-796

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Longardt, Wolfgang

Titel/Untertitel:

2 x 12 experimentelle Andachten 1975

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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Seite 1

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"it.")

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 10

Titti

Longardt, Wolfgang: 2 x 12 experimentelle Andachten. Gütersloh
: Giitersloher Verlagshaus Gerd Mohn 11974]. 121 S. m.
10 Fotos, 30 Notenbcispielcn 0. (i Illustrationen. 8°.

Ein sehr praktisches Brevier für jeden, der - allein
oder mit anderen zusammen - „Andachten" gestalten
will, die sich nicb.1 unbedingt am herkömmlichen Sandwich
-Schema (ein Lied - ein Psalm - ein Wort) orientieren
: Hier hat er alles zur Hand, was er braucht;
hier werden nicht nur Ideen feilgeboten, sondern
Materialien ausgebreitet und Erfahrungen mitgeteilt.
Keine frustrierenden Hinweise auf Quellen, die man
einsehen, Texte, Lieder und Bilder, die man siel beschaffen
möge - alles wird ausgedruckt, die Lieder and
Gebetsrefrains sogar mit Noten; das Van-Gogh-Bild,
über das meditiert werden soll, ist dem Buch ebenso
mitgegeben wie das Gedicht von Tucholsky, dessen Zeilen
in einer Art „Büdtitelspiel" Verwendung finden. Gebete
erscheinen selbstverständlich im Wortlaut; für die
Gestaltung etwaiger Kurzansprachen, Regieanweisungen
und „Bündelungen" werden hilfreiche, weil sprachlich
ausformulierte Impulse gegeben. Vorbemerkungen
vor jeder Andacht machen darauf aufmerksam, welche
Hilfsmittel jeweils benötigt werden und welche Vorbereitungen
zu treffen sind; für den Fall, daß bestimmte
Mittel nicht zur Verfügung stehen, werden Alternativvorschläge
unterbreitet. „Ergänzungen und weitere
Alternativen" heißt auch die ständige Rubrik, die sich
an jedes Doppelmodell anschließt; hier werden Erfüll
Hingen wiedergegeben, die bei der Erprobung gemacht
wurden; auf Möglichkeiten, die jeweiligen Modelle zu
variieren und auszubauen, wird hingewiesen (zahlreiche
der hier präsentierten Ideen sind in der Tat „ausbaufähig
", z.B. in Richtung auf einen Familiengottesdienst
). Jedes Modell wird in zwei Varianten geboten
(deshalli .,"2 • 12 Andachten'"); im Anhang finden sich
Hinweise, welche Variante von welcher Altersstufe an
verwendbar ist.

Keiner braucht sich durch die etwas reißerische Bezeichnung
„experimentelle Andachten" abschrecken zu
lassen: Was hier vorgeschlagen wird, läßt sich zum gro-
ßen Teil auch unter einfachsten Verhältnissen verwirklichen
und verlangt weder auf der Seite des Gestalterteams
noch auf selten der Gemeinde irgendwelche ungewöhnlichen
Fähigkeiten und Fertigkeiten. Bei einigen
Modellen freilich werden Gruppen vorausgesetzt, die
schon etwas Übung z.B. in „spontaner Gesprächskommunikation
" (112) oder in spielerischer (mimischer,
gestischer, tänzerischer) Gestaltung haben. Jedes Modell
baut sich aus 4-7 „Andachtsbausteinen" auf: Lieder,
Gebete, Texte, Kurzansprachen, aber auch Meditatious-
hinweise, Spiele aller Art, musikalische Kiemente, Bildbetrachtungen
usw. Ein durchgehende! „Ordinariuni"
gibt es dabei nicht, wohl aber so etwas wie eine kommunikative
Grundstruktur, die sich deutlich erkennen läßt:
Eine „konzentrierende Eingangsphase" (11; der Vf.
beruft sich ausdrücklich auf D.Traut wein, Lernprozeß
Gottesdienst) soll diffuse Assoziationen bündeln und so
ein „gemeinsames Herangehen an das'Evangelium" ermöglichen
; eingebettet in meditatives Spiel, in „kleine
Gesprächsphasen oder .Gesprächsinseln'" sind „theologische
.Statements'", in denen „der Liturg die eine
oder andere Erkenntnis nochmals unterstreicht und das,
biblische Angebot in seiner Ermutigung verdeutlicht"
(12). Oft schließen die Andachten relativ offen, mit einein
Gebetsvorschlag, einem Lied, meditativen Impulsen, die
die Beteiligt en über die Schwelle des Andachtsraums begleiten
; selten nur setzt der übliche Segen den Schluß-
punkt.

In einem Vorwort, in dem sich der Vf. zu den Ziel-
vorstellungen äußert, die den publizierten Modellen zugrunde
liegen, bezieht er vor allein gegen zwei Erscheinungen
im traditionellen Gottesdienst- und Andachtswesen
Stellung: einmal gegen die „Publikumsrolle", die
dort der Gemeinde vorgeschrieben wird und die Vereinzelung
und Vereinsamung unter den Teilnehmern zur
Folge hat; zum andern gegen die „Überbetonung des
rein Verbalen", die zu wenig auf die visuellen und
motorischen „Lern- und Aufnahmetypen" unter den
Teilnehmern Rücksicht nimmt. Der Kirche, die „nur
an der verbalen Verkündigung" klebt, wirft er Unbarm-
herzigkeit vor: „Das Bild, die Szene, die ganze Welt des
Klingendengehören dazu, wenn ,gute Nachricht Gottes'
entfaltet werden soll" (10). Durch Schweigen und Betrachtung
, durch Spiel und Bewegung, durch visuelle,
motorische und musikalisch-akustische Gestaltung
möchte er sowohl die teilnehmende Gemeinde aus ihrer
Publikumsrolle befreien als auch Voraussetzungen
schaffen, um „mit ganzheitlichen Möglichkeiten Evangelium
zu entfalten und zu feiern" (14). Einige wenige
Hinweise darauf, wie dies nun prkatisch geschieht, müssen
genügen: Da wird (Baustein A) zu Beginn einer Andacht
ein Mobile betrachtet, das über dem Altar hängt;
in einem, kleinen „Schreibspiel" werden dann von den
Teilnehmern Assoziationen, die beim Anblick dieses
Gebildes kommen, aufgeschrieben, eingesammelt und
vorgelesen (Baustein B-D; A und C werden von musikalischen
Improvisationen untermalt). Gedanken, die
das Mobile als Gleichnis für die Gemeinschaft der Christen
mit Christus und untereinander deuten, schließen
sich an (E); ein airf das Thema bezogener Gebetsvorschlag
(F) und ein Vater-Unser-Lied (G) runden das
Bild. Geschrieben wird auch bei der Andacht. die mit der
Betrachtung eines Bildes von van Gogh („Zwei Schuhe")
beginnt : hier leit et ein „Tit elspiel" (die Teilnehmer sollen
sich „zwei möglichst gegensätzliche Bildüberschriften"
überlegen und aufschreiben) zu einer Betrachtung zum
Thema „Weg" über. Im Alternativmodell zu dieser
Neujahrsandacht machen sich die Teilnehmer (zum
Ticken eines Metronoms, zu verschiedenen Melodieii-
folgcn. die als „Schrittimpulse" wirken) selber auf den
„Weg" und erfahren so, „wie individuell unsere Schiit t
folgen sind". An anderer Stelle kommt ebenfalls als
..Scn ihilisicrungsctüdc" ein „Sprechspiel "zum Einsatz
(„Ein alltäglicher Antwortsatz auf die Frage, wie
es wohl gehe, ,Ach, jeden Tag immer so das gleiche' soll
auf sehr unterschiedlic he Weise gesprochen werden")-
Im Rahmen einer Bildmeditation über einen Holzschnitt
von Franz Marc („Versöhnung") wird die Aussage des
Bildes pantomimisch oder durch akustische Medien
vergegenwärtigt und interpretiert. „Vergleichsspiele >
auch als „Zuordnungsspiele" (Vergleiche von Melodien,
von Liedtexten usw.), gehören ebenfalls neben Schal'
tenpantomime, Fingermalerei u.a. - zum kommunikativen
Repertoire dieser Atichic Ilten.

Wer sich kritisch mit eleu vorgelegten Modellen auf"
einandersetzen will, wird sie zuvor ausprobieren müssen.
Die Gebetsvorschläge sind nicht ganz frei von unglücklichen
Formulierungen („Laß uns ... zu den eigentliche"
Becleutungsschichten Deines Kommens vorstoßen", 87);
die Lieder, die der Vf. selber beigesteuert hat, lassen dt«
notwendige Tcxtqualität vermissen und wirken SchlioM
banal (,,... doch die Jesu Worten fest vertrau'n, soll P
an seinem Reich schon jetzt mitban'n!", 100); in den
„theologischen Statements" finden sich Beispiele floekjj
hafter, emotional aufgeladener Predigtipfache
hält uns fest mit dem langen Atem einer Liebe", •r,D"
Ärgerlicher als eine Reihe von Druckfehlern („Du
Hilfer", III) ist die Veilauschung der Pberschrifte"
von 3.1. und 3.2.; auch habe ich - entgegen der A'J'
kündigung in der Überschrift - in 2.2 keine Taub*»»
aufnähme entdecken können.
MNl Karl-llxlin i< h Morl'*