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Ausgabe:

1975

Spalte:

790-791

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Niederstrasser, Heinz

Titel/Untertitel:

Theologie und Oikonomie 1975

Rezensent:

Winter, Friedrich

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78!)

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 10

7(H)

Solche Führer seien selten und melir im Mönchtum als
ini Weltklerus zu finden. Legaut kam mit Gleichgesinnten
in kleinen Kreisen zusammen, nicht immer im Beisein
Portals, der zu religiöser Selbständigkeit führen
wollt c. Ohne sonderliche priesterliche Einwirkung schrieb
die Gruppe Meditationen nieder, die jahrelang je Woche
in 1(100 bis 1500 Exemplaren an Schulräte und Pfarreien
in allen Teilen Frankreichs gingen. Daraus entstand 1932
das Buch „Priores d'un croyant" als Glaubens- und
Mcdit at innshilfe. Es geriet in laizistischen Verdacht,
wurde aber durch ein warmherziges Vorwort des Kardinals
Verdier gerettet. Legaut war der Hauptredaktor
gewesen. Bis 1940 hielt er alle Sonntage mit Studenten
Meditationen und besprach mit ihnen hinterher Werke
katholischer Dichter und Denker. Der Gedanke an den
Priesterberuf war aufgegeben. Kr war auch nicht durch
Portal unterstützt, der Legaut dahin beeinflußte, seine
geistige Begabung wie seine religiöse Berufung zu wahren
. Teilhard de Chardin und andere seien damals gleiche
Wege gegangen. Der Krieg brach die Entwicklung ab.
Nach ihm ging Legaut in die Einsamkeit, in der seine
heute vielgelesenen Bücher reiften. Das Buch „Meine
Erfahrung mit dein Glauben" lag uns 1972 in zweiter
Auflage vor, 1974 mußte schon die achte Auflage erscheinen
. Der Rückgang der Kirchlichkeit sei seit
50 .Jahren vorauszusehen gewesen, nicht aber die rasend
schnelle Entwicklung. „Der tiefe Graben, der zwischen
Jesus und den Ursprüngen der Kirche bestellt'1, sei
von Portal offenbar nicht bemerkt, jedenfalls hätte er
nie darüber gesprochen. Taize wird ein Charisma zuerkannt
, .lugend zur inneren Sammlung und zum Gebet
zu führen; ob Wirkungen von bleibendem Weit von da
her kämen, bliebe abzuwarten. Man denkt an Starzell
und Wüstenväter, wenn man liest : ,,Der Einsiedler, der
150 km von einer £>tadt entfernt lebt, hat im allgemeinen
mit denen, die zu seiner Einsamkeit mitten in der
Natur kommen, viel direktere und tiefere Gespräche, als
wenn er in Marseille oder Paris wohnen würde" (76).
Schulungs- und Freizeitheime für junge Priester -
,,riesige Häuser, die jetzt außer samstags und sonntags
leer stehen : sie sind ohne jede At mosphiire". Sie werden
geradezu „nur anonyme Hotel-Restaurants'' genannt
(7(i). Die herausfordernde Kritik hier und sonst wird
schwerlich ohne Antwort der offiziellen Kirche bleiben.
Erstaunlich ist,das große ftiteresse der deutsehen Katholiken
.

Die Verantwortlichen in evangelischer Theologie und
Kirche sollten mindestens so, wie ihre Partner im katholischen
Lager, durch Legaut beunruhigt werden. Wir
durchleben die größere Entkirchlichung, und wir sollten
•hrlich zugeben, daß unsere weithin überlasteten Pastoren
aar noch wenig Zeit und Gelegenheit zu individueller
Sc elsorge haben, denn nicht nur in Frankreich, sondern
bei uns ebenso fehlt es an Geistlichen, und wie viele
aufgegebene Pfarren machen die Entfremdung zwischen
Bewohnern entlegener Dörfer und Kirche und Pastor
drastisch sichtbar. Unsere Bischöfe werden sich der
Würde der „geistigen Vaterschaft" noch mehr bewußt
Werden müssen, und neben ihnen ersehnt man geistige
Väter aus dem Laienstand mit weitausstrahlcnder Wirkung
. Sollten wir nicht auch nach dem Laienpriestertum
fragen, das in kleinen und kleinsten Gemeinschaften
wirksam würde, auch mit der Vollmacht zur Feier des
Herrenmahls in der Küche des Nachbarn, auch wenn sie
Um zunächst noch so fremd berührt? Ist ein modernes
theologisches Lohrbuch der Seelsorgo, wenn es der
konventionellen Überlieferung nach Kräften treu bleibt.

der Diasporasituation der Kirche nicht wirklichkeitsfremd
, weil von den harten Tatsachen der vollzogenen
oder sich vollziehenden Entwicklung überholt I

Kottock Gottfried Hulti

Milorstrasser, Hein/.: Theologie und Oikonomie. Evangelisohe
Beratung und Lebenshilfe. Grundfragen - Grundlagen.
Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk [19721. 712 S. er. 8°.
Lw. DM 38,—.

Auch wenn Vf. die Seelsorge als Glaubenshilfo, die im
Zuspruch der Vergebung durch den kirchlichen Amtsträger
eine besonders deutliche Gestalt annimmt, nicht
abwerten möchte, will er im Unterschied dazu mit seinem
Buch eine Lehre von der Beratung entfalten, die im
Begriffsspiel des „Oikonomischen" szintillierend immer
wieder zu einer gewissen Mitte strebt, ohne sie überall
in letzter Klarheit zu erreichen. Biblische, philosophische
und anthropologische Meditationen zum „Haushalten"
kreisen um einige Grundtendenzen: 1. Gegen den
Wirkliehkeitsverlust. in der heutigen Theologie will
Vf. die Erkenntnisse des profanen Denkens und der
Wissenschaften vom Menschen für seine Beratungsarbeit
dienstbar inachen, um eine ,,dialogale Disziplin"
zu schaffen (S.17). Dabei möchte er von den „Kindern
dieser Welt" lernen (S.18). 2. Er will nicht so sehr
Theologen beistehen, sondern allen Christen zu einer
„Laikai- und Zivil-Oikonomie" verhelfen. Es geht um
ein „Oikonomentum aller Gläubigen" (S.17). 3. Nur so
kann es zu einer weltnahen Beratung des wirklichen
Menschen kommen, zu einer evangelischen „Haushalterschaft
der Gerechtigkeit jm Bereich des Rationalen und
Empirischen des ,bürgerlichen' Lebens und seiner Gestaltung
, (zu) einer daseins-orientierenden ,Beratung' in
Vermittlung von Entwicklungs-, Entscheiduiigshilfen
zu sinnvollem, eigenverantwortlichem Handeln, .Lebenshilfe
zur Selbsthilfe' des Nächsten..." (S.18). Damit
wird der Oikonom zum Haushalter nicht nur über Gottes
, sondern vor allem über des Menschen Geheimnisse,
wie Vf. gern in Abwandlung von 1 Kor 4,1 ff. sagt.

Nach einem längeren Vorwort (8.11-24), in dem Vf.
die allgemeine Situation in Kirche und Welt breit, seine
persönliche Autorensituation knapp angeleuchtet hat,
folgt eine Einführung (S.25 35), in der die Kompliziertheit
heutiger Welt- und Beraternotwendigkeiten meditiert
wird, wie sie sich in der Bundesrepublik zeigt.
Kapitel I versucht über die Beziehungen, vor allem aber
über die Grenzen von Seelsorge und Beratung nachzudenken
(S. 3(5-80), wobei alle wesentlichen neueren
Seelsorgeverständnisse in den Dialog einbezogen werden.
Das Ergebnis: „Gegenüber der von uns nicht bestrittenen
kerygmatisch-poimenisch-pastoralen ,Heils'-,Seelsorge
' ... und therapeutisch-diakonischen .Fürsorge' ...
wird hier philanthropische .Oikonomie' eines des Mensehen
,Wohl' .besorgenden' consilium et auxilium als
kluge und treue .Haushalterschaft' der christlichen Gemeinde
gegenwärtig, die den ,epochalen' Sinn von evangelischer
Lebenshilfe und Beratung ... zu erfüllen
trachtet" (S.80). Kapitel II baut die Position einer
„Lebenshilfe und Beratung in evangelischer Haushalter-
schaft" aus, und zwar unter dem Aspekt der Weltnähe
(S. 81 -122). Hier tritt besonders deutlich die Abgrenzung
von der kirchlichen Stewardshipbewegung ein. Bei ihr
ging es um „alle Vorgänge tätiger Mitverantwortung
jedes Gemoindogliedos für das (tanze der Gemeinde und
des Gemeindelebens" (S. 119). Im Unterschied dazu will
echte „Oikonomie" das „Mitleben in OÜCOS, Polls,
Kosmos" praktizieren (S.122). Dann geht Vf. zu Meditationen
über „Ökonomie und Beratung" über, indem er
sprachlich, biblisch, theologisch und säkular „die Fahndung
nach der Substanz" (S.194) einer „Oeconomia
Christian«" aufnimmt (Kap.III, 8.123-193). Daran
schließen sich Gedankc-n über „Lobensökonomische Beratungsaspekte
" an (Kap.IV, S. 194-355). Wichtige Bereiche
christlichen Lebens in der Gesellschaft der
Bundesrepublik werden „in Auswahl", z.T. recht ab-