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Ausgabe:

1975

Spalte:

788-789

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Légaut, Marcel

Titel/Untertitel:

Der alte Glaube und die neue Kirche 1975

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 10

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ler Güter und politische Freiheit für .alle Menschen.
Hierbei geht es um die Verantwortung vor Gott, den
Menschen, der Welt. Vf. kritisiert, daß der Begriff
„Verantwortung" häufig unpräzise oder als Slogan verwendet
wird. Deshalb muß die Moraltheologie in Zukunft
mehr über das Problem des sittlichen Urteils
arbeiten.

In den Ausführungen zum Dialog mit der Homophilen
Bewegung führt Vf. drei Beurteilungen der
Homosexualität aus der bisherigen Moraltheologie an.
Nach der ersten Auffassung sind alle homosexuellen
Akte unmoralisch; nach der zweiten sind sie neutral;
nach der dritten, der Vf. zuneigt, sind homosexuelle
Akte schlecht, aber homosexuelles Verhalten fällt für
einige Menschen nicht unter das Verdikt totaler Verdammung
. Diese Lösung geht von einer vom Vf. entwickelten
Theologie des Kompromisses aus, die sich mit
schwierigen menschlichen Entscheidungen befaßt, in
denen die Sünde der Welt präsent ist und uns zwingt, in
einer Weise zu bandeln, die wir nicht wählen würden,
wenn die Sündhaftigkeit nicht in der WVIi präsent wäre.
Diese Kompromißtheorie besagt, daß eine einzelne Handlung
in einem Sinne nicht objektiv schlecht ist, weil sie
unl er der Präsenz der Sünde die einzig mögliche Alternative
ist, während sie in einem anderen Sinne schlecht
ist und die Macht der Sünde offenbart. Auf die Homosexualität
angewendet bedeutet das, daß der Homosexuelle
generell für seine Beschaffenheit nicht verum
wortlich ist. Eine feste Bindung an einen homosexuellen
Partner ist besser als wechselnde Beziehungen zu gleichgeschlechtlichen
Partnern. In der Tatsache der Homosexualität
kommt die Realität der Sünde zum Ausdruck.
In der Entscheidung zu einer gleichgeschlechtlichen
Beziehung vollzieht der einzelne Homosexuelle eine
moralische Entscheidung. Hier ist allerdings an Vf. die
Frage zu stellen, ob er nicht doch die Güterabwägungstheorie
anwendet und sich außerdem auf ungesicherte
Daten der Humanwissenschaften verläßt. Seine Kompromißlösung
ist ein Versuch, die Frage der in der katholischen
Moraltheologie noch zu wenig bedachten Schuldverstrickung
ins Spiel zu bringen, aber dieser Versuch
scheint noch nicht genügend abgeklärt zu sein, jedenfalls
nicht in der kurzen Darstellung, wie sie hier vorliegt.
Interessant sind die Ausführungen zum Dialog mit der
Zukunft, worunter Vf. die Zukunft der Moraltheologie
in den USA in den 70er Jahren versteht. Vf. bekennt,
daß in der Vergangenheit der Beitrag der Amerikaner
zur Entwicklung der katholischen Theologie unbedeutend
war. Die Theologie war auf die Seminare beschränkt
, den Klerikern vorbehalten und hatte keine
Tradition. Die theologischen Lehrer waren mit so vielen
anderen Aufgaben befaßt, daß die eigentliche theologische
Funktion der Seminarprofessoren vernachlässigt
wurde und die theologische Sachkunde darunter leiden
mußte. Da in den USA nur wenige Theologen länger als
10 oder 15 Jahre im Lehrbetrieb stehen, müssen jüngere
Leute zu früh führende Positionen übernehmen, in denen
ihnen keine Zeit mehr für notwendige theologische Forschung
übrig bleibt. Vf. berichtet, daß die theologische
Spekulation in den USA durch das II.Vatikanische
Konzil in große Verlegenheit geriet. Sie war in keiner
Weise auf das neue Verständnis der theologischen Wissenschaft
und ihrer Methode vorbereitet. Ein Ausweg
scheint sich insofern anzubahnen, als in den 70er Jahren
die Theologie aus der Enge des Seminars heraustritt und
an den Universitäten und in ökumenischen Gruppen in
einen Dialog eintritt. Damit entsteht für die amerikanische
Theologie, die bisher ganz von der europäischen
Theologie abhängig war, auch ein Kontakt mit dem
amerikanischen Denken, aus dem sich allmählich eine
eigene amerikanische Theologie entwickeln könnte.

Mit dieser Aufsatzsammlung hat Vf. ein Werk vor-
gelegt, das breitere Beacht uiig verdient. Wenn auch kein
eigener Aufsatz über den Dialog mit der protestantischen
Theologie vorgelegt wird, so zeigen doch clie Ausführungen
an vielen Stellen, daß Vf. in einem dauernden Dialog
mit der protestantischen Theologie steht. Hiervon erhofft
er für die Entwicklung der katholischen Moraltheologie
eine stärkere Betonung der Begrenztheit und
Gebrochenheit des Menschen sowie der Realität der
Sündeverfaßtheit. Mit Recht betont Vf., daß die
katholische Moraltheologie in Zukunft eine allgemeine
Moral entwerfen muß, die von allen Theologen anerkannt
und angenommen werden kann, daß es aber in
speziellen Fragen eine Pluralität der Meinungen gibt
und geben darf. Man darf gespannt darauf sein, ob uns
Vf. am Ende der 70er Jahre ein Werk vorlegen kann,
in dem er berichtet, daß sich seine Wünsche und Pro
gnosen für die Entwicklung der Moraltheologie im allgemeinen
und der amerikanischen Theologie im besonderen
erfüllt haben.

Brflirl Wilhelm Kumt

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Legaut, Marcel: Glaube, der mich trägt. Einsicht und Bekenntnis
, übers, v. E.Kohl u. H.Sehimpf. Freiburg-BaseUWien:
Herder [1974]. II, 154 S. 8°. Kart. DM 14,80.

Legaut, Marcel: Der alte Glaube und die neue Kirche. Erfahrungen
eines Christen. Übers, v. E.Kohl. Freiburg-Basel-
Wien: Herder [1974]. 128 S. kl. 8° = Herderbücherei, 503.
DM 3,90.

Legauts grundlegenden Erfahrungen und Erkenntnissen
, die wir in der Besprechung seines Buches „Meine Erfahrung
mit dem Glauben" in dieser Zeitschrift Jg.99,
1974 Sp.154 vorgeführt haben, begegnen wir in dem
erstgenannten Buch und in dem Aufsatz „Eine neue
Kirche?" des an zweiter Stelle genannten Buches wieder
: einer der Mystik zugewandten christlichen Grundhaltung
und ihrer meditativen Praxis, deren Zentren das
Evangelium - speziell die Seligpreisungen - und das
menschliche Ich sind, dem eindringlichen Ruf zum
Leben aus Glauben, der Kritik an der katholischen Vulgärfrömmigkeit
und dem immer mehr an Bedeutung
verlierenden Meßgottesdienst, dem Ruf nach kleinen
Glaubensgemeinschaften mit einer laizistischen Abend-
mahlsfeier auch um den häuslichen Tisch. Den Ausführungen
, die mit innerem Feuer vorgetragen werden
uud die von neuem das Gewissen wachrütteln, braucht
liier indessen nicht neu nachgegangen werden.

Von dem Bericht Legauts über sein eigenes Werden, ■
das uns und wohl den meisten Lesern bisher unbekannt
war, aber sei Kenntnis gegeben. Er findet sich in einem
langen Interview, das den größeren Teil der zweiten
Schrift ausfüllt. Der 1900 in Paris Geborene las im Alter
von 13 und 14 Jahren die „Nachfolge Christi" und trug
sich unter ihrem Eindruck mit dem Gedanken, Priester
zu werden. Sein Leitbild blieb immer die Nachfolge
Christi, im Sinn einer persönlichen Beziehung zu Jesus,
, ,auch zu einer Angleichung an das, was er gewesen ist".
Ein Lazaristenpater mit Namen M.Portal wurde seit
seinem 20. Lebensjahr sein „geistiger Vater". Das Wort
„geistige Vaterschaft" sei oft mißverstanden. Es ist ein
anspruchsvolles Wort, das nicht auf „geistliche Führung
" zielt, „die man empfängt und ausübt"; gedacht
ist dabei wohl an übliche Seelsorge, die „einfach eine
Funktion" sei. Der geistige Vater ist Jünger Jesu heute
„in unmittelbarer lebendiger Beziehung zu Jesus", der
seine eigenen Probleme verarbeitet haben muß (43ff.).