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Ausgabe:

1975

Spalte:

782-784

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schupp, Franz

Titel/Untertitel:

Auf dem Weg zu einer kritischen Theologie 1975

Rezensent:

Beintker, Michael

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 10

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Daß „nur der Gekreuzigte jene Freiheit, die die Welt
verändert" (7), verschafft, versucht Vf. in den beiden
Schlußkapiteln (VII und VIII) im Blick auf die psychische
und die gesellschaftlich-politische Befreiung des
Menschen zu konkretisieren. Dabei setzt er sich sowohl
mit der Psychoanalyse S. Freuds wie mit überkommenen
.Modellen des Gesellschaft.sbezugs des Glaubens (Zwei-
Ueiche-Lehre; Barths Entsprechungs-Modell; Phänomen
der Staatsreligion) auseinander. Demgegenüber
zieht des Vf.s theologia crucis ,,Gotl in die Welt, das
Jenseitige ins Diesseits" und möchte zu einem „synek-
dochischen Verstehen der .explosiven', befreienden
(regenwarten Gottes in den Teufelskreisen unmenschlichen
Elends" kommen (297 f.) - nicht ohne daß Vf.
dieses mit seinen bekannten politischen Thesen verendet
.

Möllmanns Knt wurf einer Kreuzest heologie wirft eine
Fülle von Problemen auf. An dieser Stelle kann lediglich
auf drei Punkte hingewiesen werden, an denen das Gespräch
aufzunehmen wäre.

1. M. bemüht sich zu Recht, bei der Auslegung des
Kreuzes Jesu die falsche Alternative zwischen einer
Interpretation im Lichte von Leben und Verkündigung
des Vorösterlichen und einer Interpretation im Lichte
der Auferstehung Jesu zu überwinden. Von dieser Alternative
her hatte z.B. noch der EKU-Ausschuß einseitig
für die 2. Möglichkeit plädiert. Jedoch wird man fragen
müssen, ob der „geschichtliche Prozeß" Jesu (vgl.
Kap.IV) die theologische Sinngebung des Kreuzes bei
M. in ausreichendem Maße mitbestimmt. Ist dieser
„geschieht liehe Prozeß" nicht zu schmal angesetzt, wenn
er letztendlich lediglich den Gesichtspunkt der „Gottverlassenheit
" Jesu einbringt? Wäre es nicht nötig, den
Gesamtkomplex der Verkündigung und des Verhaltens
Jesu wesentlich intensiver zur Interpretation des Kreuzes
heranzuziehen; Man müßte also wohl überlegen, ob
nicht von Anfang an der besondere Charakter dieses
Opfers, üher das seine Henker triumphieren,' den Ver-
stchensversui Ii noch stärker leiten müßte, ob also die
allgemeine Theodizeefrage, von der M. ausgeht (1<>2),
als Ausgangspunkt ausreicht. Daß Jesus als vermeintlicher
„Aufrührer" gekreuzigt wurde, kann ja nicht
verdunkeln, daß er in Wahrheit ein solcher gerade nicht
war, daß die Freiheit und die Gerechtigkeit, die er nur
er brachte, zunächst einmal von anderer (wenn man so
will: personaler) Qualität war als alles, was gesellschaftlich
politisch als Freiheit denkbar ist, und daß elien
diese, auch in Leiden und Unterdrückung, in Tod und
Gott Verlassenheit sich durchhaltende, einzigartige Freiheit
durch die Auferweckung von Gott bestätigt und als
Lebenswirklichkeit allen Menschen eröffnet wurde.

Vielleicht bekäme man von einem umfassender angesetzten
„geschichtlichen Prozeß" Jesu her auch neuen
Zugang zur Auslegung des Kreuzes Jesu als Opfer im
Sinne einer Selbsthingabe für die von ihm in die Welt
gebrachte „Sache Gottes", speziell der Gnade für die
Sünder. M. scheint bei seiner Kritik am Gedanken des
Sidinopfers (170f.) zu sehr von der Anselinschen Theorie
und zu wenig vom alt testamentl. Hintergrund (Jes.53!)
'bjf biblischen Aussagen auszugehen, wonach die stell
Nrtretende Übernahme des Gerichts durch den Gottes-
Unecht als solche seine Opferhingab« und in diesem
Ninnc dann das Mittel des göttlichen Vergebungswillens
ist.

, 2. Neben diesen christologischen Überlegungen wären
1,1 der Diskussion mit Möllmann natürlich vor allem die
V(»n ihm vorgelegten theologischen (i.e.S.) Gedanken
•Hfmgreifen, M. spricht von einer „fälligen Revolution
■ni Gottesbegriff" (9) und versucht, vom Kreuz Jesu her
Gott als t r init arisches Prozeßgescheben zu begreifen. Im
A"«< hlul.ian in der in Diskussion bereits aufgebrochene

Fragen - z.B. nach dein genaueren Verständnis der Aussage
, daß Gott selbst in Jesus in den Tod geht; oder nach
dem Recht, in einem rein ökonomischen Sinne von Trirn-
tät zu reden und dabei zumal die Personalität lies Geistes
nur ungenügend zu artikulieren (vgl. bes. EvTh 33, 1973,
338ff.) - wäre etwa zu fragen, ob das berechtigte Anliegen
M.s, die Präsenz Gottes in Jesus und seinem Leiden
und in der daraus entspringenden Kraft der Erneuerung
durch den Geist, wirklich nur durch trini-
tarisches Reden (das ja ex definitione ein personales
Gegenüber in Gott statuiert) zum Ausdruck zu bringen
ist, oder ob man nicht versuchen sollte, das klassische
Symbol der Trinität durch andere theologische Figuren
zu ersetzen.

3. Ein dritter Fragenkomplex betrifft die soterio-
logischen Implikationen und Explikationen der Kreuzestheologie
M.s, die offensichtlich als erkenntnisleitendes
Interesse des ganzen Versuches anzusehen sind. Heutige
Kreuzestheologie hat „über die Sorge um persönliches
Heil hinauszugehen und nach der Befreiung des Menschen
und seinem neuen Verhältnis zur Realität der
Teufelskreise in seiner Gesellschaft zu fragen" (9). M.
kritisiert Luther, der es unterlassen habe, seine theologia
crucis zu einer „philosophia crucis" auszubauen
und eine „sozialkritischeKreuzestheologie zusammen mit
einer die Elenden und ihre Beherrscher befreienden
Praxis zu entwickeln" (74 f.). Er hält das Zwei-Reiche-
Modell für in der Einzelentscheidung wenig hilfreich
(wobei es freilic h ohne eine gewisse Verzerrung dieses
Modells nicht abgeht, 295), das Entsprechungsniodell
K.Barths ist „häufig zu hierarchisch gedacht" (296),
M. will vielmehr die vom Kreuz kommende befreiende
Gegenwart Gottes unmittelbar in den gesellschaftlichpolitischen
„Teufelskreisen" wirksam sehen. Hier zahlt
sich aus, was ehristologisch (zu wenig) investiert wurde.
Daß Kreuz und Auferstehung eleu Menschen zu polit isch-
gesellschaftlicher Verantwortung befreien, darüber wird
mit Moltmann kein Streit sein. Aber die Diskussion wird
darüber zu führen sein, ob Luther mit jenem Verzicht
auf eine „sozialkritische Kreuzestheologie" und mit
seiner mit „schlafwandlerischer Sicherheit" (U.Duch-
row, Christenheit und Weltverantwortung, 1970, 522)
vorgenommenen Unterscheidung der Relationen coram
deo und coram mundo nicht doch dem neutestament-
[ichen Christuszeugnis bemerkenswert nahesteht, und
ol) das „Befreiungsgeschehen" von Kreuz und Auferstehung
nicht doch nur wesentlich mittelbarer mit
gesellschaftlich-politischer Freiheit zu tun hat, als das
Moltmann zugeben möchte.

Leipzig VltkU Külm

Schupp, haut! Auf dem Weg zu einer kritischen Theologie.

Freiburg Basel-Wien: Herder [1974]. 159 S. 8° = Quae-
stioncs disputatac, hrsg. v. K.Rahner u. H.Schlier, <>4.
Kart. DM 22,—.

Theologie, die faktisch im Einzugsgebiet der Aufklärung
existiert und eben darum unsicher ist „in der
Bestimmung ihres eigenen Ortes innerhalb des Denkens
der Gegenwart" (6), darf sich der Forderung nach Aufklärung
- der Forderung kritischen Denkens statt unkontrollierbarer
dogmatischer Totalaussagen - nicht
verweigern. Dieser Grundtenor schwingt durch alle Beiträge
der vorliegenden Arbeit von Franz Schupp, die
mau mit großer Aufmerksamkeit wird registrieren
müssen. Die Beiträge - teilweise schon in einigen Perio-
,|H publiziert <m< nun in einem Ruch greifbar, welches
dem Leser kaum fertige Lösungen offeriert, wohl aber
Impulse, Denkanstöße und den Blick für fruchtbare