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Ausgabe:

1975

Spalte:

779-782

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Moltmann, Jürgen

Titel/Untertitel:

Der gekreuzigte Gott 1975

Rezensent:

Kühn, Ulrich

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77!)

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 10

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Kierkegaard ist beiläufig erwähnt worden. So ist es
natürlich, darauf zu verweisen, daß I. (S.130f.), ohne
Kierkegaards Namen zu erwähnen, sich gegen die bekannte
Auffassung wendet, daß die Menschwerdung
Gottes ein Paradox wäre. Ich wage hinzuzufügen, daß
ich hier [. dankbar zustimmen kann. Kierkegaard war
hier leider von der traditionellen griechischen Auffassung
von Zeitlichkeit und Ewigkeit bestimmt.

Obwohl der letzte Hauptabschnitt sehr fragmentarisch
geblieben ist, werden Abendmahl und Taufe ziemlich
ausführlich behandelt. Hinsichtlich des Abendmahles
wird unterstrichen, wie schon früh bei Luther der
mittelalterliche Begriff der sacra res hinfällt und wie die
göttliche promissio an dessen Stelle tritt (S.260L). Nur
vermißt man eine Erörterung der Frage hinsichtlich der
„tnanducatio indignorum", doch wohl der wichtigste
Anstoß für die Reformierten. Dies ist um so rnerkwttrdi
ger, weil diese Frage recht ausführlich behandelt wird
in Gollwitzers ,,Coena Domini", 1937, dem einzigen
Buch, auf das zwar nur vom Herausgeber hier
(S.264) hingewiesen wird.

Das Buch ist ziemlich fragmentarisch. Die hier gegebene
Besprechung ist es noch viel mehr. Hoffentlich
wird man aber verstehen, wie überaus wertvoll dieser
letzte Band von I.s „Nachgelassenen Werken" ist.

Qentoftc N.H.S«!

Möllmann, Jürgen: Der gekreuzigle Göll. Das Kien/. Christi
als Grund und Kritik christlicher Theologie. München:
Kaiser [1972]. 320 S. 8°. Lw. DM 32,—.

Das Kreuz Jesu Christi ist seit einigen' Jahren in
einein erstaunlichen Maße in den Mittelpunkt theologischer
Bemühungen gerückt, nachdem nach dem
Abklingen des bestimmenden theologischen Einflusses
von K.Barth und R.Bultmann Verkündigung und Verhalten
des vorösterlichen Jesus sowie Auferstehung und
Zukunft Jesu Christi im Vordergrund christologischer
Bemühungen gestanden hatten. Den Auftakt bildeten
der berühmte Vortrag E. Käsemanns von 1967 „Die
Gegenwart des Gekreuzigten" und die Stellungnahme
des Theologischen Ausschusses der EKU von 1908
„Zum Verständnis des Todes Jesu" mitsamt den dazu
gehörenden Vorarbeiten. Moltmanns Buch von 1972 -
seit seinem Erscheinen bereits vielfältig diskutiert - will,
wie seinerzeit schon Käse mann, den Gekreuzigten als
„inneres Kriterium jeder Theologie und Kirche" (8)
zur Sprache bringen, dabei aber den traditionellen
Interpretationsrahmen des nur persönlichen Elends
und Heils des Menschen (wie ihn M. von Paulus über
Luther und Zinzendorf bis in unser Jahrhundert hinein
konstatiert, 9) überwinden. Bf. versteht die Kreuzestheologie
als die „Kehrseite christlicher Hoffnungs-
theologie" (10), sein Buch will deshalb als eine Konkretion
und Weiterführung der „Theologie der Hoffnung"
(1964) verstanden werden.

Die Kapitel I bis III haben vorbereitenden Charakter.
Vf. setzt ein mit Überlegungen zur Relevanzkrise (einer
Folge des Rückzugs ins Ghetto) und zur Identitätskrise
(eine Folge verfehlter Assimilation) des christlichen
Glaubens und Lebens (I), durch welche die Frage nach
dem Wort vom Kreuz dringlich wird. Sodann resümiert
er uußer- und innerehristliehe Deutungen, die dem Anstößigen
und Einmaligen des Kreuzes Christi nach seiner
.Meinung nicht gerecht werden (II): das Verständnis als
religiöse Utopie im Sinne Keiierbachscher und Freud
scher Religionskritik; die Verkultung des Kreuzes (den
hierin enthaltenen Vorwurf hat eine katholische llczcn
sion als in dieser Pauschalität nicht sachgerecht zurückgewiesen
); die Kreuzesinystik; die Kreuzesnachfolge

(62ff. eine Auseinandersetzung mit R. Bult mann und
D. Solle). Eine Theologie des Kreuzes als „kritische
Theorie Gottes" (71) attackiert in einem die Selbstrechtfertigung
und Selbstvergottung des Menschen und
die daraus resultierenden Herrschaftsverhältnisse (den
letzteren Bezug vermißt der Vf. bei Luther. 731'.).

Schließlich ist über das Kreuz im Lichte der „Fragen
nach Jesus" überhaupt nachzudenken (III): Vf. verweist
auf die Frage nach der wahren Gottheit Jesu in
der Alten Kirche, nach der sittlichen Praxis des Menschen
Jesus im Neuprotestantismus, nach dem kommenden
Erlöser als Streitfrage mit dem Judentum.
Gegenüber allem Vergleichbaren ist Jesus immer wieder
eine „offene Frage, die bekenntnishafte Antworten
verlangt" (102).

Die eigentliche theologische Entfaltung erfolgt in den
Kap.IV bis VI. Kap. IV beginnt mit einer wichtigen
Besinnung auf die christologische Methode. „Historische
" und „eschatologische" Methode stehen in Wechselbeziehung
, wobei auf „der Linie der eschatologischen
Vorwegnahme ... das Letzte das Erste" sein muß, „Geschichte
als Erinnerung" und „Geschichte als Hoffnung
" sich ergänzen zur „Hoffnung im Modus der Erinnerung
" (106f.). Kriterium des Christuskerygmas ist
„Jesu Geschichte, die mit seinem Tod in Gottverlassenheit
irdisch endete" (113). Andererseits wäre ohne den
Auferstehungsglauben der „Kreuzestod das Ende jeder
Christologie" (117). Entsprechend handelt Vf. zunächst
von Jesu Weg zum Kreuz als vom „geschichtlichen
Prozeß Jesu" (119 ff.): Jesus stirbt als Gotteslästerer,
Aufrührer und Gottverlassener. In dem letzteren, das
sich im Kreuzesschrei Mk 15,34 (Ps 22,2) artikuliert,
zeigt sich die tiefste Dimension des Todes Jesu. Iiier
ereignet sich nämlich ein entscheidendes Stück der
Geschichte zwischen Jesus und seinem Gott, die der
eigentliche Ursprung der Christologie ist (142). „Der
eschatologische Prozeß Jesu Christi" (Kap. V) meint
sodann das Licht, das von Ostern her auf das Kretll lallt.
Im hermeneut ischen Horizont der Krage nach Gerechtigkeit
„in einer Welt, wo Tote und Lebendige nach Gerechtigkeit
sc hreien" (165), wird im Gekreuzigten eine
neue Gerechtigkeit offenbar: er ist der „Christus für uns"
(im Sinne des stellvertretenden Leidens), damit der
„Gott vor uns" (der Christus uns voran auferweckte)
zum „Gott für uns" werde (172). Der Kreuzestod legt die
Auferstehung aus (in Umkehrung der entsprechenden
Bult mannschen Bestimmung, 170); Gott selbst identifiziert
sich mit dem Gekreuzigten (179).

Mit dem letzten ist das Thema des bei weitem um
langten listen Kapitels des Buches genannt (VI. Der
..gekreuzigte Gott"), in dem Vf. darlegt, was das Kreuz
Jesu für christliches Reden von Gott bedeutet. Die
Geschichte zwischen Jesus und seinem Vater im Geist
der Verlassenheit (192) und die Identifikation Gottes
mit dieser Geschichte eröffnet eine neue Form trini-
tarischen Redens von Gott (die Zwei-Naturen-Christolo-
gie reicht für die Auslegung des Kreuzes nicht zu). Aus
der „Hingabe des Sohnes durch den Vater für die gottlosen
und gottverlassenen Menschen" (229) geht der
Geil( hei vor, „der Gottlose rechtfertigt, Verlassene mit
Liebe erfüllt und selbst die Toten lebendig machen
wird" (231). Dieses t Militärische Gottesgeschehen ist
eine „zukunftsoffene und zukunftscrüffncnde Gottesgeschichte
" (241), in der der liebende (rot t selbst mit den
.Menschen leidet, und schreit wie am Kreuz so auch UI
Auschwitz (267). Damit will der Vf. allen naiven Theismus
(nicht freilich die Metaphysik als legitime Aufgabe
der Theologie, .204!), ebenso alle „apathetische" Tic"
logic (nach der Gott nicht leidensfähig ist) überwinden
und die berechtigten Anfragen des Atheismus an den
christlichen (Hauben aufnehmen.