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Ausgabe:

1975

Spalte:

777-779

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Iwand, Hans Joachim

Titel/Untertitel:

Luthers Theologie 1975

Rezensent:

Søe, Niels H.

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 10

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SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Iwaml, Maus Joachim: Nachgelassene Werke. Hrsg. v. H.OoIl-
witzer, W.Kreck, K.ü.Steck u. E.Wolf f, 5. Bd.: Luthers
Theologie, hrsg. v. J. Haar. München: Kaiser 1974. 318 S.
8°. DM 25,— ; Lw. DM 28,—.

Mit diesem Band ist die 1962 begonnene Ausgabe der
„Nachgelassenen Werke" des 1960 gestorbenen Professors
Iwand beendet. Band VI, „Briefe an Rudolf
Hermann", ist schon 1964 erschienen, Band II, „Vorträge
und Aufsätze", kam 1966, und der mit diesem
neuen Band sachlich eng zusammengehörige Band IV,
„Gesetz und Evangelium", wurde 1964 veröffentlicht.
Daß Band V so lange auf sich hat warten lassen, hängt
offenbar damit zusammen, daß hier die Zusammenfassung
des nachgelassenen Materials besonders schwierig
gewesen ist. Ein umfangreiches Typoskript mit längeren
und kürzeren Stücken aus Vorlesungen über Luthers
Theologie ist zwar von dem 1971 verstorbenen Professor
D. Ernst, Wolf zusammengestellt, worden. Das dort Gegebene
ist aber mit Tonbandaufnahmen anderer Vorlesungen
Iwands über dasselbe Thema ergänzt worden.
An einer Stelle werden private Nachschriften als die
wahrscheinliche Quelle angegeben. p]s ist daher verständlich
, daß die Ausführungen bisweilen etwas fragmentarisch
wirken. Um so mehr muß man aber dem
Herausgeber Johann Haar für die mühevolle und sorgfältige
Arbeit dankbar sein. Nicht mit Unrecht hat man
gesagt, dieser Band des hervorragenden Lutherkenners
sei der wertvollste der gesamten Ausgabe.

Zunächst bekommen wir eine kurze, aber sehr ergiebige
Studie über den Entwicklungsgang des jungen
Luther. Iiier werden besonders sein Bruch mit der Lehre
vom freien Willen, seine „theologia crucis" und die Formel
„Simnl justus et peccator" unterstrichen. Dann finden
sich einige Bemerkungen über die neueren Luther-
darsfellungen sowohl protestantischer als auch katholischer
Forscher. Man freut sich, daß die einige Zeit nahezu
vergessene Studie von Theodosius Harnack über
Luthers Theologie. 1927 von Georg Merz neu herausgegeben
, als das Beste, was von der lutherisch-konfessionellen
Seite über Luther geschrieben ist, hervorgehoben
wird. Karl Holl aber ist der eigentliche Bahnbrecher
eines neuen und für I. äußerst bedeutungsvollen
Verständnisses des jungen Luther. „Er entdeckt die
echten Wurzeln dieses hochragenden Baumes, den man
dann als Reformation bezeichnet und entdeckt diese in
der Theologie des jungen Luther." Dagegen wird
C. Stange nur am Rande erwähnt und das für viele in der
älteren Generation so bedeutungsvolle Buch von W. von
Loewenich „Luthers Theologia crucis", 1929, gar nicht.
Vor allem bejaht I. die einmal so viel erörterte Lehre von
der Rechtfertigung, die Holl bekanntlich schon in den
Vorlesungen über den Römerbrief 1515-16 findet und
die er so sorgfält ig ausarbeitete. Die Frage bleibt aber.
"Ii die Kritik, die oft, z.B. in Regin Prenters „Spinne
Creator", gegen Holl gerichlel worden ist, daß liier ein
• .pietistisches" Krbe die Auffassung mitbestimmt habe,
herecht igt ist, und falls ja, ob diese Anklage dann auch I.
' 'iff't. Diese letzte Frage muß doch wohl mit einem klaren
Nein beant wortet werden.

Später (S. 176ff.) zeigt es sich alier, daß I. kein kritik-
'°Her Schüler des Lutherforscliers Holl ist. Recht scharf
Rendel er sich gegen Holls Behauptung, daß Luthers
MMologie als „Gewissensreligion" charakterisiert wer-
(]eii könne. Hier spricht, meint I., „der verinnerlichte,
'',;r radikalisierte Gesetzesmensch". Man ist hier noch im
Gebiet, der Philosophie. „Die Philosophie aber weiß
"" hts von Gott", sagt Luther, und I. verdeutlicht das,
*«tt er feststellt, „daß conscientia bei Luther vom
^hiubensbcgriff her zu verstehen ist". „Die Glaubens-

frage steht hier im Mittelpunkt." Daß I. dann auch die
so verbreitete Lehre von der lut herischen Ethik als einer
„Gesinnungsethik" klar zurückweisen muß (S.152),
leuchtet ein.

Die Hauptabschnitte behandeln „Luthers Lehre von
der Rechtfertigung", S. 64-104, „Die Christologie",
S. 105-225, und „Kirche, Staat und Gesellschaft",
S. 226-308. Die Christologie ist somit das alles entscheidende
Zentrum, und so hat es auch I. gewollt. Bekanntlich
ist I. nicht von Barth hergekommen, sondern eher
TOB Rudolf Hermann. Er hat aber die erste der Barmer
Thesen von 1934 freudig bejaht und hat immer mehr die
Nähe zu Barth gespürt. „Christomonist" ist er natürlich
ebensowenig wie Barth. Die ganze Theologie ist aber von
Christus als dem Wort Gottes her orientiert. Natürlich
hält er in seiner Weise an der Reihenfolge Gesetz und
Evangelium fest. Er weiß aber, wie das Gesetz sich als
eine natürlich gegebene Größe verselbständigen könnte.
Wir müssen deshalb das Gesetz von Christus her verstehen
und unterstreichen, daß es als Gottes Gesetz auf
Christus hinführt. Und so klagt er die lutherische
Orthodoxie an, daß bei ihr der zentrale Begriff des
„Wortes" Gottes nicht da ist. Sie beginnt direkt mit
dem Gegensatz von Gesetz und Evangelium. Barth aber
wird gelobt, weil er „in einer wahrhaft genialen Entdeckung
dieses Problem innerhalb der protestantischen
Theologie neu aufgeworfen hat" (S.204).

Übrigens wird Barth sehr selt en direkt erwähnt. Aber
indirekt? Es ist fraglich, ob I. auch an Barths Schrift
„Christengemeinde und Bürgergemeinde", 1946, denkt,
wenn er (S.296) schreibt: „Im Grunde genommen gibt es
keine Gesellschaftslehre, die die Gesellschaft unmittelbar
auf die Kirc he bezieht, wo die Kirche selber ,soeietas',
Gesellschaft, genannt wird". Er kann aber Luther
zitieren, der sagt: „Weltliche Herrschaft, ist ein Bild,
Schatten und Figur der Herrschaft Christi" (S.297).
Und es ist I. wesentlich, daß die Zwei-Reiche-Lehre, die
er bejaht, nicht in einen Dualismus hineinführt. Es gibt
zwar „dualistische Stellen" bei Luther. Das hängt wohl
aber, meint I., damit zusammen, daß „'das Schema von
Gesetz und Evangelium mit hineingekommen ist". Die
grundsätzliche Meinung Luthers bleibt aber, daß Christus
„durch die weltlichen Fürsten regiert" (8.298).
Es gibt aber bei Luther „keine christlichen Stände, keinen
christlichen Staat". Sieht, man das nicht, „ist man
dumm", wie es unmißverständlich heißt.

An einer wichtigen Stelle scheint mir aber die „Chri-
stozentrizität" nicht klar durchgeführt, und zwar in der
Lehre von der „Erwählung", der Prädestination. Wohl
unterstreicht I. mit vollem Recht, daß Luther hier
selbstverständlich als Theologe redet und so einem
philosophischen Determisnismus ferne steht. Die Lehre
Luthers „gehört zu den Geheimnissen der Majestät",
und hier sind Gottes Gerichte unbegreiflich. An uns hegt
es nur, seine Geheimnisse anzubeten (S. 100). Und doch
weiß L, daß gemäß Luther der Vater Jesu Christi derjenige
ist, der in seiner Allmacht „das ganze Weltgeschehen
in seinen Händen hält" (S.104). Es fragt sich
aber, ob Kierkegaard nicht richtiger gesehen hat, wenn
er in seinen „Papieren" 1846 (dän. Ausg. VII.1.A.181, cf.
die deutsche Ubersetzung in meiner „Rehgionsphilo-
sophie", 1967, S.237) sagt, daß das Unbegreifliche ist,
„(laß ... die Allmacht, die mit ihrer gewaltigen Hand so
schwer auf der Welt lasten kann, »ich zugleich so leicht
machen kann, daß das Entstandene Unabhängigkeit
bekommt". L ist es aber ein zentrales Anliegen, festzustellen
, daß ohne die Lehre von der göttlichen Erwäh-
lung, wie sie in „De servo arbitrio", aber auch sonst,
ausgeführt wird, Luthers ganze Lehre von der Rechtfertigung
und Heiligung, der ewigen Seligkeit, hinfällig
werde.