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Ausgabe:

1975

Spalte:

770-772

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Pellens, Karl

Titel/Untertitel:

Das Kirchendenken des normannischen Anonymus 1975

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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7(1!)

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 10

771)

die bisherige Interpretation auch, der er auch das
Schwanken im „Wir"-Begriff („verschiedene Umstellungen
des Objektivs" S.32) konzedieren muß. Verschoben
hat sich gegenüber manchen Interpretationen
lediglich die Akzentsetzung.

2. Die zweite Grundthese des Buclies führt, weiter:
B. will alle Aussagen über das Leben in unserm Abschnitt
als solche über die gegenwärtige Wirklichkeit des
Menschen und nicht als solche über die eschatologische
Zukunft, verstanden wissen (36-40). Zunächst versucht
et in einem allgemeinen Abschnitt dem Unterschied des
orientalischen metaphorischen Denkens und des griechischen
begrifflichen Denkens nachzugehen (60-72). In
einigen Tabellen stellt er dar, daß Paulus „die ganze
Nomenklatur um Tod und Anferst ehung bewußt auf das
Geschehen im christlichen Leben anwendet" (60).
Natürlich weiß auch B., daß solche allgemeinen Erwägungen
für die Exegese konkreter «Stellen noch nicht
beweiskräftig sind und legt deshalb das Hauptgewicht
seiner Ausführungen auf die Textexegese (72-262). Und
liier scheitert die These m.E. trotz aller Bemühungen:
Für 5,1 kommt auch B. nicht darum herum, den Abbruch
des Zeltes auf den physischen Tod des Menschen zu deuten
(gegen L.Brun) (142ff.). Allerdings liegt nun auf 5,1
nicht mehr das Gewicht, sondern der Vers markiert
lediglich das Knde, von dem hier die Qualität der neuen
(regenwart, von der in 4,17ff. und 5,2ff. die Rede ist,
erscheint. Vor allem die Interpretation von 5,2ff. wird
schwierig: Auch wenn zuzugeben ist, daß x«i yÜQ in
5,2 keine Begründung zu 5,1 einführt, so fällt es doch
schwer, zu glauben, daß das Überkleidetwerden mit dein
iiixt)n'if)tuv tt oiftwot 15,7) die „Koexistenz" von irdischer
und himmlischer Seinsweise in diesem Lehen,
„so daß wir zugleich ein Untergewand und Obergewand
tragen" (173), bezeichnen soll, während sich
V. 1 eindeutig auf die Zeit nach dem Tod bezieht. Die
alternativen Formulierungen MtMtt» fV rm mkfimtt -
iriq/ttüi ruf ttfttp (V.6-8) muß B. von seiner Deutung
her relativieren: „wir sind entschlossen, (noch)
mehr auszuwandern aus dem Leib" (239), und die Offenbarung
vor den llichtstuhl Christi (V.10) wird zum
innern Gerichtshof, wo Christus ständig Richter ist über
unsere Gewissen (244 f.), mit dem Hinweis auf den Scnii
ten, „der auch abstrakte Einsichten gern direkt durch
Bilder ausdrückt" (244). Dieser Deutung vermag allerdings
selbst der Vf. nur die „kleine Chance" einer Denkmöglichkeit
zu geben (247) und der Rezensent nicht « in
mal d:is . Im viert cn Ka pil el ist nat ii rlich d ic konsequent c
Deutung der Lebens-Aussagen auf das gegenwärtige
Lehen leichter durchzuführen: immerhin scheinen mir
die Schwierigkeiten in V. 14, wo iytit>uv zunächst (bei
dei Aussage über Jesus) auf die Auferweckung aus dem
physischen Tod und sodann (bei der Aussage über uns)
gemäß „orientalischer Denkweise" auf eine andere Stufe
der Auferstehung und des Todes, nämlich auf das Leben
aus dem Tod im zeitlichen, innergcschichtlichen Sinn
gedeutet wird (88ff.), für die These des Autors unüberwindlich
. Die Konsequenzen der Interpretation Baumerts
für die l'aulusexegese im ganzen wären beträchtlich
, wenn er recht hätte - das Gewicht würde sich von
der Kreuzestheologie und der Kschatologie auf das
innergeschichtliche Aufleuchten des neuen Lebens verschieben
, aber eben wenn er rei ht hätte.

Für die beiden Hauptthesen des Buches hat sich der
Aufwand also m.K. nicht gelohnt. Der Leser wird aber
durch viele einzelne interessante Beobachtungen und
Fragen entschädigt, die dem Buch trotzdem seinen
Wert geben: Baumert zieht zur Kommentierung aus-
«iebig griechische Väter herbei und erweist sich oft als
Mehr sorgfältiger Handwerker mit Wörterbuch IBM
Grammatik. Zum Wertvollsten des Buches gelmten

m.E. zahlreiche der am Schluß sich befindenden Exkurse
vor allem zum Gebrauch einzelner Partikeln und
Verben, die für eine künftige Lexikographie des NT
unentbehrlich sein werden: ich weise nur hin auf die
Exkurse zu naQlorrjftt (284ff.), xal yd</ (350ff.), fi yi
(380ff.) und >V«? (386ff.), ebenso auf eine Reihe beherzigenswerter
Vorschlage zur Exegese des Textes:
passives iviayiinti in 4,12 (267ff.), transitives nitpfdStt*
in 4,15 (105ff.), die Deutung von yiiurJt (5,3) vom AT
her (175ff.) usw.

Leider ist noch eine recht schulmeisterliche Bemerkung
zum Literaturverzeichnis am Platze: Es fehlt nicht
nur praktisch die gesamte Literatur über mV xoiaru von
Lohmeyer über Dupont bis zu Tannehill und Siber, die
wichtigen Ausführungen von Güttgemanns (Der leidende
Apostel und sein Herr) zu 2Kor 4, sondern z.B. auch
fundamentale französische Literatur, wie der Kommentar
von Hering oder der wichtige Aufsatz von Feuillet
über 2Kor 5l. In einer so spezialisierten Arbeit ist das
betrüblich.

Göttlnges, Ulrich Uu

1 A. Feulllpt: Im drmrurf relpnt<* et In destince de» ChretlPiM, R*ch Sit 44
(1(150) lfll-l»2.Sfl(>-4<>2.

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

IVMens. Kurl: Das Kircliendenken des Normannischen Anonymus
. Wiesbaden: Steiner 1973. XIX, 333 S. gr. 8° = Veröffentlichungen
des Instituts für europäische Geschichte
Mainz, Abt. für abendländische Religionsgesehichtc, hrsg.
v. J. Lortz, 09. Lw. DM 50,—.

Karl Pellens, seit 1961 Mitarbeiter von Joseph Lortz
im Mainzer Institut für Europäische Geschichte, Abt.
für Abendländische Heligionsgeschichte, und seit 1972
Nachfolger Hellmut Kämpfs in Weingarten/Württ., gab
bereits 1966 im gleichen Verlag als Bd.42 dieser Reihe
die Texte des Normannischen Anonymus heraus. Diese
Edition hatte vorwiegend Zustimmung geerntet, war
abtl auf die scharfe Kritik Walter rilmanns gestoßen,
worauf Pellens im vorliegenden Buch in einer sehr
sympathisch berührenden sachlich-vornehmen Art antwortet
. In dieser Monographie unternimmt Pellens nun
den erfolgreichen Versuch, die zuvor edierten Texte
sorgfältig zu analysieren, ohne noch bestehende Unklarheiten
im Detail kurzschlüssig zu tiberspringen. Er kann
sich dabei auf wertvolle Vorarbeiten stützen, doch ist
trotzdem diese eindringende Interpretation und Einordnung
der Texte in das Gesamt der großen Auseinandersetzung
zwischen gregorianischen und Königstheologen
, die freilich eine gewisse Straffung vertragen
hätte, sehr zu begrüßen. Der Unkundige mag zwar fragen
, ob dem schmalen Band des Codex 415 des Corpus
Christi College in Cambridge, dessen Vf. noch dazu
unbekannt ist, mit dieser weitgespannten Untersuchung
nicht zu viel Ehre angetan wird. Der Kundige aber
weiß, daß in diesen Texten die schroffste überbau])! bekannte
Antithese zur Kirchen- und Gesellschaftsreform
Gregors VIT. vorliegt, wenn die Texte auch den Persönlichkeiten
der Gegenseite gegenüber vornehme Zurückhaltung
üben. Diese Antithese ist im Zusammenhang
mit der Sakralisierung des Königstums in der frühmittelalterlichen
Welt besonders der fränkischen und karo-
lingischen Landeskirche zu sehen, radikalisierte diese
abei im Gegenzug gegen die kurialen Bestrebungen einer
„Entmythologisierung" der Königsmacht und einer
kirchlichen Zentralisierung unter dem Papsttum in einer
bisher unbekannten Weise. Pelleus weist verschiedeilt-