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Ausgabe:

1975

Spalte:

768-770

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Baumert, Norbert

Titel/Untertitel:

Täglich sterben und auferstehen 1975

Rezensent:

Luz, Ulrich

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707

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 10

7Ü8

Thysinan, Raymond: Coniniunautc et directives elliiques. La

catechese de Matthieu. Theologie morale du Nouveau
Testament. Essai de Synthese. Gembloux: Duculot [1974].
110 8. gr. 8° = Recherehes et Syntheses, tSeetion d'Exe-
gese, I.

In einer neuen Schrift enreihe ersclieint als erster Band
die Arbeit von Thysinan. Der Titel gibt das Thema an,
das in der „Introduction" weiter präzisiert wird: Der
Schluß des Matthäus-Evangeliums ( = Mt) besagt , daß die
wesentliche Aufgabe der Kirche in der Überlieferung der
Lehre Jesu besteht; deshalb muß gefragt werden, welcher
Einfluß auf die ethischen Anweisungen dem Kit
chenverständnis zuzuschreiben ist. Denn in der Lehre
(der Ausdruck „didache" ist mit Absicht gewählt, um
an die Verwandtschaft zwischen Mt und der „Lehre der
zwölf Apostel" zu erinnern) machen sich besonders die
Betonung der Kirche und der ethische Nachdruck bemerkbar
. Damit ist das Thema gegeben, das in den vier
Kapiteln entfaltet wird: „L'Eglise de Jesus, Seigneur et
•luge", „Une justice plus abondante", „Direotives
pastorales destinees ä toute la communaute" und
„Directives pour la conduite des ,pasteurs'".

Das Gottesvolk des Mt ist eine Gemeinschaft in
nächster kultureller und religiöser Nähe zum Judentum,
Erbin des als auserwähltes Volk verworfenen Israel, mit
jüdischem Partikularismus (oder vielleicht besser: mit
noch immer partikularistischen jüdischen Christen)
durchsetzt und sich trotzdem ihrer weltweiten Aufgabe
im Auftrage ihres Herrn bewußt; sie versteht sich
eschatologisch als „Vorhof des Himmelreichs" (nicht als
das Gottesreich selbst !); sie steht unter der Leitung der
Gemeindebeamten, der „Hirten" („pasteurs" ist in
diesem Zusammenhang fast unübersetzbar), deren
Prototypen die Zwölf sind, mit Pet rus an der Spitze. Die
Gemeinschaft oder Gemeinde, deren Organisation der
der Synagoge verwandt ist (S.31), ist zugleich die Schule
der Anwärter auf das kommende Gottesreich, in der die
„größere Gerechtigkeit" gelehrt wird, nicht als Ersatz
für das Gesetz, sondern als das Gesetz nach der Auslegung
Christi (S.39). Die grundlegenden Forderungen
Jesu in eine seelsorgerliche, konkrete Sprache zu übersetzen
, ist die Aufgabe der christlichen Schrift gelehrten,
die so die Gemeinde vor äußeren Gefahren schützen and
nach innen hin in Frieden und Eintracht zusammenhalten
. Dadurch bekommt die Lehre einen Anflug von-
Kasuistik (was an Hand eines wohl nicht ganz überzeugenden
, aber interessanten Vergleichs der Antithesen
der Bergpredigt mit den sechs Sedern der Mischna
demonstriert wird, S. 51-01). Mt hat vor allem den Leitern
der Gemeinde, den Dienern des Wortes zuliebe geschrieben
. Diese müssen allen anderen voran in der neuen
Gerechtigkeit leben, von ihnen wird eine sozusagen
„professionelle Ethik" gefordert (S.07), sowohl an
gesiehts ihrer missionarischen Aufgabe als in der Lenkung
und Betreuung der Gemeinde. Die Schlußfolgerungen
(S.91 !)7) sind: Eine enge Verbindung zwischen
Kirchenbegriff und ethischen und seelsorgerlichen Weisungen
, enger als bei .Mk und Lk; Gebundenheit des Mt
an die jüdische Umgebung und Grundlage. Die „Lehn"
des Mt muß in ihrer Eigenart akzeptiert werden, worin
denn auch eine ökumenische Perspektive liegt.

Das Buch von Thysinan fügt sich ein in die Reihe der
Arbeiten zum Mt aus den letzten Jahrzehnten (von u.a.
Stendahl, Bornkamm - Barth Held, Strecker, Trilling,
Hummel, Itademakers, Pesch, Davies, Hare), benutzt
sie und nimmt zu ihnen Stellung (die Anmerkungen mit
vielen Literaturhinweisen machen etwa die Hälfte des
Buches aus). Der Beschreibung der geographischen, kul
turellen und religiösen Lage und l'mgcbung der Gemeinde
des Mt kann man zustimmen. Ob aber das Mt so
stark auf die Leiter der Gemeinde ausgerichtet ist, bleibt

doch unsicher. Daß Mt Leiter der Gemeinde und christliche
Schriflgelehrte voraussetzt und berücksichtigt,
wird niemand bezweifeln, wohl aber, ob zwischen den
Forderungen an das Volk Gottes und die Gemeinde
einerseits und den Ansprüchen an die Leiter andererseits
so verhältnismäßig scharf zu unterscheiden ist. Es
bleibt z.B. bei Thysinan unbeachtet, daß in Mt 18,15-17
zwischen die Gemeindeglieder und die Vollversammlung
der Gemeinde (den „Vielen" und der „Gemeinschaft"
in den Texten von Qumran vergleichbar) keine Amts-
träger eingeschaltet sind. Es scheinen denn auch überhaupt
im Interesse der Autorität des Amtes die Scheidung
zwischen Volk, Gemeinde und Amtsträgern schärfer
gezogen zu sein, als das bei Mt selbst der Fall ist. -
Das Buch ist auch als Beitrag ztir ökumenischen Diskussion
gedacht und ist als solches zu begrüßen. Wie wäre
es, wenn das Ökumenische so weit getrieben würde, daß
wir erkennen, daß das Mt - nicht in seinen einzelnen
Perikopen, seinem Stoff, wohl aber als Ganzes, in seiner
eigenartigen Redaktion nicht unser, der abendländischen
Kirche, Evangelium ist, sondern den fast nicht
mehr existierenden judenchrist liehen Gemeinden gehörte
und von uns wiederum: als ganzes, wohlredigiertes
Evangelium - vor allem als das Evangelium einer kommenden
Kirche der Beschnittenen aufbewahrt und verwaltet
werden müßte?

KoiM-iihuKcn Heut Noark

ItaiiiniTl, Norbert: Täglich Itetheil »nd aiifernlelicn. Der

Literalsinn von 2 Kor 4,12 .5,10. München: Köscl 1973.
402 S. gr. 8° = Studien zum Alten und Neuen Testament,
hrsg. v. V.Hamp u. J.Schmid, XXXIV. Kart. DM 98,—.

Die neutestamentliche Wissenschaft erlebt z.Z. eine
Flut von Büchern, deren Seitenzahl umgekehrt proportional
zur Zahl der exegesierten Verse zu sein seheint.
Hier werden auf 150 Seiten 17 Verse exegesiert. Solche
Literatur strapaziert die Lesefreudigkeit nicht nur des
am NT interessierten Theologen, sondern auch des spezialisierten
Fachwissenschaftlers erheblich. Oft signalisiert
die damit gegebene stupende Akribie in biblischer
Einzelexegese einen bedauerlichen Verlust von theologischen
Gesamt Perspektiven. Lohnte sieh also in diesem
Fall der riesige Aufwand?

Die Arbeit vertritt zu 2Kor 1,12 5,1*) folgende zwei
Hauptthesen:

I. Das „Wir" in diesem Abschnitt ist durchweg das
schriftstellerische Wir des Verfassers und meint au
keiner Stelle jemand anders als Paulus selbst (25 30; in
der großangelegten Exegese S.72 202 pss.). B. sucht so
das von zahlreichen Exegeten festgestellte Schwanken
im ..Wir" dieses Abschnittes zwischen einem mehr
apostolischen und einem mehr gemeinchrist liehen .. Wir "
zu vermeiden und versucht so zugleich, den Brief
konsequent dem Thema des Brieffragmentes 2,14 7,4
einzuordnen: dein Apostolat des Paulus. Allerdings hält
B. diese These auch wieder nicht konsequent durch. Bf
kommt nicht darum herum, zuzugeben, daß in verschiedenen
Sätzen des Abschnittes allgemeine, jeden
Christen betreffende Aussagen gemacht sind, z.B. 5,1 ff„
oder «laß Paulus außer sich selbst auch seine Mitarbeiter
in seine Aussagen einschließen dürfte, z.B. 4,7ff. Als
Fazit schreibt B. selbst, daß Paulus die Grenzen nicht
immer so scharf ziehe wie der Interpret , und daß es sich
bei solchen Theten nur um Nuancen und Schwerpunkte
der paulinischen Aussage handeln könne (30). Als solchen
will er festgehalten haben, daß Paulus zu keinem
Zeitpunkt in 4,12-5,10 von seinen eigenen, persönlichen
Brfal Hungen und Überzeugungen absehe. Sicher, aber
damit sagt doch eigentlich B. grundsätzlich dasselbe wie