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Ausgabe:

1975

Spalte:

51-53

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Wagner, Harald

Titel/Untertitel:

An den Ursprüngen des frühkatholischen Problems 1975

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 1

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rnatoren eine katholische Antwort gegenüberzustellen,
verstand die Offenbarung, besonders das Evangelium,
als Heilsgeschichte, die sich in drei aufeinanderfolgenden
Phasen entwickelt. Versuche, die lineare Reihenfolge von
Glaube-Liebe-Hoffnung als tragbares heilsgeschichtliches
Schema gelten zu lassen, werden jedoch nicht
konsequent durchgeführt, obwohl diese Tugenden als
Begegnungspunkte zwischen Offenbarung und Kirche
erkannt wurden. Auch im Blick auf die zugestandene
Aufgabe einer permanenten lteformation der Kirche
wird das herkömmliche Thema des im Herzen der Gläubigen
aufgeschriebenen und in lebendiger Weitergabe
kommunizierten Evangeliums beibehalten. Die Konzils-
väter setzen bewußt die Priorität der Kirche gegenüber
der Heiligen Schrift voraus, das Problem wurde jedoch
aufgeschoben und meritorisch nicht behandelt. In antiprotestantischer
Ausrichtung wurde der Zusammenhang
zwischen Offenbaruug und ekklesialen Strukturen verteidigt
und definiert. Dieselbe Ausrichtung lenkt das
Augenmerk von der Tradition auf die einzelnen Traditionen
und ihre Inhalte.

Fünf vorläufige Schemata de Scriptura et traditioni-
bus apostolicis, die Ende März 1540 in Trient zur Verfügung
gestanden haben, weiden vom Vf. in einer Beilage
nach Codex Vat. Lat. 489f> ediert. Das ganze Buch
erweist sich somit als eingehender Kommentar zur Textentwicklung
des Trienter Dekrets über die Zuordnung
von Tradition und Heiliger Schrift.

Prag Amedeo Mörati

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Wagner, Harald: An den Ursprüngen des frühkatliolisehen
Problems. Die Ortsbestimmung des Katholizismus im
älteren Luthertum. Frankfurt/M.: Josef Knecht li)7.'f.
XIV, 33Ö S. gr. 8U = Frankfurter Theologische Studien,
hrsg. von H.Bacht, F.Lentzen-Deis, 0. Semmelroth, 14.
Kart. DM 42,—.

Hinsichtlich der Umfangsbestimmung der verhandelten
Materie bedarf es für manchen zunächst einiger
terminologischer Klärung. Der Vf. verhandelt nicht
Texte zur Genesis oder zum Verlauf des frühkatholi-
sohen Phänomens in der Alten Kirche, sondern erörtert
die Beurteilung des frühkatholischen Problems von
der späten Reformationszeit bis zu Albrecht Ritsehl.
Wenn im Untertitel angegeben ist, daß eine Ortsbestimmung
„im älteren Luthertum" vorgenommen werden
soll, so ist auch hier eine Interpretation eingangs angebracht
. Der Vf. nimmt nicht nur Luther oder die
lutherische Orthodoxie in seine Darstellung auf, sondern
führt bis in die zweite Hälfte des 19. Jh.s hinauf.
Diese Ausweitung des Begriffsverständnisses ist in der
bisherigen evangelischen Theologiegeschichte weniger
geläufig.

Man hat eine Dissertation vor sich, die in den Jahren
1969-1972 gearbeitet und an der Päpstlichen Universität
Gregoriana in Rom angenommen worden ist. Wagner
bezieht sich gern auf Anregungen und Hinweise von
II. Kiing, E.Käsemann und W.G.Kümmel.

In vier großen Abschnitten wird die Bewältigung des
umfänglichen Themas exemplarisch vorgenommen. Der
Vf. wendet sich zuerst den Magdeburger Zenturien
(1559-1574) zu, dann der Geschichtsschreibung Gottfried
Arnolds (um 1700), dann Ferdinand Christian Baur
(1792-1860) und schließlich der Frühkatholizismus-
deutung Albrecht Ritschis. Jedes dieser Kapitel ist noch
angereichert durch theologiegcschichtliche Einführungen
bzw. Vorbereitungen zum Verständnis der Spe/.ial

Untersuchung. So wird etwa kurz Luthers Ekklesiologie
behandelt, und es werden grundsätzliche Bemerkungen
zum Thema Pietismus und Ethik gemacht. Durch diese
Ausweitung wird der Leser zwar der Komplexität der
gestellten Aufgabe ansichtig, fühlt sich in den Generalis,
aber aus Gründen sekundär herangeholter Auskünfte
nicht in jedem Falle neu belehrt.

im Grunde legt der Vf. einen beachtenswerten Beitrag
zu einer künftigen Ekklesiologie vor. Das ganze Puch ist
bei aller theologiegeschichtlichen Aufarbeitungstenden/,
heimlich von der heutigen Frage nach dem „Weiden
der Einen Kirche Christi1' getragen (S.321). Wagner
kommt zu dem Ergebnis, daß da.s Werk der Einigung der
Konfessionen wahrscheinlich nur getan werden kann
nach „mühsamer - historischer, theologischer, auch
philosophischer Kleinarbeit".

Innerhalb des oben bezeichneten Viererabschnitts
untersucht der Vf. die Phänomene jeweils nach einem
im wesentlichen gleichen Schema, das sich ihm aus der
Materie in Wiederholung .so darstellt: 1. Allgemeine
Einschätzung der jeweiligen theologischen Strömung
(Reformation, Pietismus, Aufklärung und Idealismus,
die Tübinger Schule), 2. Die Kirche und ihr Verfall,
3. Kritische Sichtung und Auswertung. Die Einteilung
verschiebt sich bei jedem Gegenstand in et wa,, aber die
Grunderörterung der Ekklesiologie in den Untergruppen
2. und 3. kehrt immer wieder.

Es werden viele interessante Einzelbeobaohtungen
vermittelt, so zur lutherisch durchgängigen Theorie, die
die Entwicklung „seit den Zeiten der Apostel unter dem
Zeichen von .Verfall'" (S.79) sieht. In der Darstellung
der der lutherischen Orthodoxie zuzurechnenden Magdeburger
Zenturien ist vom Verfall der Kirche deshalb die
Rede, „weil die Lehre korrumpiert wird". Der Geschichts
Schreiber des Pietismus Arnold terminiert, den Verfall
der Kirche, der für seine Geschichtsdeutung eine große
Rolle spielt, seit Konstantin oder auch schon „bald nach
• lein Tod der Apostel" (S. 133). „Die Reformation hat
sich auf die Gestalt-der Urkirche besonnen und diese neu
darzustellen versucht." Für Arnold ist der Verfall der
Christenheit zu sehen im Glauben und im Tun und der
Tatsache zuzurechnen, „daß die Christen nicht mehr
unter dem Kreuz ... stehen" (S.135). Die kirchliche
Sozialität verfällt, aber da diese „nur eine Entsprechung
gottseligen Lebens in der Gemeinschaftsdimension" ist,
lebt die Kirche unter anderen Erscheinungsformen
weiter.

Bei Baur begegnet alles um einige Grade differenzierter
. Sein von Hegel beeinflußter Idealismus betont die
Entwicklung im „Wesen des Christentums" (S.242) im
Zusammenhang mit der „Sittlichkeit". Person und Lei)
re Jesu werden in Relation zum Katholischen gesehen.
In diesem Sinne, „ist, die Geschichte der katholischen
Kirche allerdings nicht Realisierung des legitim Christlichen
, sondern ( hei Abfall davon" (S.243).

Ritsehl definiert das Christentum unter Kennzeil h
nung zweier Brennpunkte: „die, Erlösung durch
Christus - das Reich Gottes" (S.284). Der abendländische
Katholizismus hat sich sowotil mit dem Reiche
Gottes identifiziert als auch ein Institut der Sakramente
aufgebaut, die „die Kraft der Erlösung Christi fortleiten
". In diesem Zusammenhang sei aber die Rechtfertigung
„ganz und gar auf sittliche Selbsttätigkeit
ausgerichtet", und zwar unter Berücksichtigung des
freien Willens, wiihrend der Protestant als Voraussetzung
für die Sittlichkeit „in der Rechtfertigung die religiöse
Bestimmtheit des Lebens" (S.285) erkennt.

Ähnlich wie in bezug auf die Verfalls- bzw. Deprava-
tionstheorie zieht Wagner noch eine Reihe anderer
Linien aus, die das Gemeinluthcrisclic bei allen aufgezählten
Paradigmen herausstellen. Ob man bisweilen