Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1975

Spalte:

711-712

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kriener, Martin

Titel/Untertitel:

Aporien der politischen Predigt 1975

Rezensent:

Hertzsch, Klaus-Peter

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

709

Theologische Literaturzeitung 100, Jahrgang 1975 Nr. 9

710

auch theologisch findet, diu Gemeinde im Gottesdienst
ihre Identität, indem sie sich „anhand der Bihel auf
den Grund und das Ziel ihrer Existenz besinnt" (103).
— Kap. 7 untersucht die „Kommunikation im Gottesdienst
" in ihren verbalen und nonverbalen Elementen.
Josuttis unterscheidet die verbalen Kommuiiikations-
elemenle hinsichtlich der Konstanz und Variabilität
(Ordinarium und Proprium), wobei er angesichts der
Mobilität, auf den Vorzug der st rukturiorten Wiederholbarkeit
hinweist; ferne)- hinsieht lieh der Art des Spraeh-
vortrags und der Rollenkonstellation im Verhältnis von
Amtsträger und Gemeinde. Die Kommunikationsbe-
djngu Ilgen stehen im Widerspruch zum Kommunika-
lionsziel des Gottesdienstes als Lernprozeß. Josuttis
zieht, daraus die Konsequenz, daß die bestätigende,
Identität vermittelnde und stabilisierende Funktion des
Gottesdienstes zu bejahen ist. „Ich hin ziemlich sicher,
daß diejenigen Gottcsdicnsthcsuchcr, die im Gottesdienst
Trost und Erbauung, Ruhe und inneren Frieden
suchen, mehr von der Wahrheit des Evangeliums begriffen
haben als jene in ihrer Art gesetzlichen Theologen
, die das alles als Flucht aus der Gesellschaft und
vor der Verantwortung denunzieren" (186). Der Kontext
bewahr! diesen guten Satz vor dem Mißverständnis
, es werde der Rückzug in die Innerlichkeit gefordert .

„Der Vollzug der Beerdigung — Ritual oder
Kerygma V ist Thema des 8. Kapitels. Josuttis arbeitet
die Ambivalenz des Rituals heraus: Es wirkt einerseits
entlastend als Hilfe zur „Bewältigung des Außerordentlichen
" (Neidhart), andererseits als Konkurrenz zum
Kerygma. Diese Konkurrenz schließt aber nicht aus,
daß auch im Ritual Kommunikation des Evangeliums
erfolgt. „Der Vollzug des Rituals ist eine Praxis des
Evangeliums im Boreich der religiösen Dimension
menschlicher Existenz, eine Form des Beistands gegenüber
den Trauornden und ein erster Akt der Hilfe zur
Trauorarbeit, die in der seelsorgorlichen Beratung fortgeführt
wird" (204). Praxis des Evangeliums im Ritual
heißt zugleich Kritik an den Scheinlösungen und Illusionen
, die das Ritual nährt.

Grundfragen des Religionsunterrichts in der
B|<|) orörtort Kap. 9. Am Beispiel von Stock, Stoodt
Q&d Otto erklärt Josuttis die Neuaufnahme des Religionsbegriffs
durch die Religionspädagogik als „Bestandteil
einer ausgesprochenen Dofensivstrategie"(226),
die der Legitimation des vorhandenen Religionsunterrichts
an den Schulen dienen soll. Der Religionsbegriff
"ei als eine Art hermeneutischer Brücke zwischen Kirche
und Gesellschaft gedacht, als etwas Allgemeines,
Kif das sich alle einigen können. Dieser Ansatz wird
Zurückgewiesen: „Die evangelische Religionspädagogik
'nuß der Gesellschaft offen eingestehen, was sie zu bieten
hat: einen Unterricht, dor die religiöse und die politische
Dimension menschlicher Existenz durch den Rückgriff
auf die biblische Tradition zu erhellen trachtet"
(235).

„Der Ansatz der Praktischen Theologie" ist Thema
'los Schlußkapitels, das vier Alternativen durchdenkt |
••i'olitik oder Religion T Evangelium oder Funktion ?
Kirche oder Gesellschaft T Wort oder Tat T" Das Ver
UUtnil von Politik und Religion wird definiert im Rahmen
der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium
<243f.). Die Alternative „Kvangelium oder Funktion"
'''skutiert Josuttis in einer sehr polemischen Ausein-
aiulersetzung mit Dahms funktionaler Theorie des
kirchlichen Handelns. Die kirchliche Praxis werde bei
Dthin weitgehend an die Erwartungen dor Gesellschaft
a"gopaßt, das Kvangelium auf seine Integrationsfunk-
'"OH reduziert und damit verloren. Sicher werden hier
,(J"fahren des funktionalen Ansatzes verdeutlicht, aber
10,1 glaube nicht, daß Dahms Intention Gerechtigkeit

widerfahrt. Dagegen halte ich diu an G. Otto geübte
Kritik für sachlich richtig. (Allerdings sind S. 254f.
einige formale Fehler unterlaufen: Marheineke wird bei
Otto S. 14 zitiert ; Otto spricht nicht von programmatischen
, sondern von pragmatischen Entleerungen;
statt E. Drews ist P. [Paul] Drews zu losen). Josuttis
bringt ein Grundanliegen seines Buches zur Geltung,
indem er eine primär politisch orientierte Theologie zurückweist
, die den Ansatz bei der kirchlichen Praxis als
„klerikale Engführung" (G. Otto) beurteilt. „Praktische
Theologie ist, wenn sie Theologie bleiben will, am
biblischen Kvangelium orientierte Theorie der kirchlichen
Praxis . . . Theologie, die sie selbst bleiben will,
muß nicht traditionsverkrustet, kirchenkonform, gesellschaftsblind
, emanzipationsfeindlich arbeiten" (258).

Drei prägnante Thesenreihen über das Verhältnis
von Theorie und Praxis, Praxis des Evangeliums sowie
Wort und Tat fassen einige Grundgedanken des Buches
zusammen. Das Buch ist so lebendig und verständlich
geschrieben, aber auch in der gegenwärtigen theologischen
und kirchlichen Situation der westlichen Welt so
notwendig, daß es ihm nicht an Losern fehlen wird.
Auch unter wesentlich anderen gesellschaftlichen und
kirchlichen Bedingungen ist das Buch hilfreich, wenn
der Sit uat ionsunl erschied im Blick bleibt.

HsJto/Baah Bberhard Winkler

Kiiit;, Martin Luther: 'lYshiiaiMil der Hoffnung. Letzte
Reden, Aufsätze und Predigten. Umgeleitet u. Ubers, v.
ff. W. Orosso. Gütersloh: GUtnrslohcr YWlagshaus Gerd
Mohn [1974]. 125 S. 8" m GUtersloher Taschenbücher,
79. DM 4,80.

Dr. Martin Luther King, Baptistenprediger und Träger
des Friedensnobelpreises, war einer der Großen des
amerikanischen Negervolkes. Im Prozeß der Neuorientierung
in den USA der fünfziger und sechziger Jahre
hat er eine wichtige Rolle gespielt. Er war ein Kämpfer
gegen die Unterdrückung der Farbigen in seinem
Heimatland und ein Streiter gegen den Krieg in Vietnam
: ein Repräsentant des anderen Amerika. Die
Erinnerung an ihn wird nicht nur dort, sondern in
aller Welt lebendig bleiben.

Dazu trägt in seiner Weise auch das „Testament
der Hoffnung" bei, das in der Reihe der „Gütersloher
Taschenbücher 79" erschienen ist. In neun Reden, Aufsätzen
und Predigten tarnen wir dabin" den „späten"
King kennen, den King der Jahre 1966 bis 1968. Liest
man nämlich aufmerksam die Arbeiten jenes „Apostels
der Gewaltlosigkeit" durch und vergleicht sie mit Äußerungen
aus früheren Jahren, so ergeben sich deutliche
Unterschiede.

Generell läßt sich sagen, daß der Autor in der
letzten Phase seines Wirkens frühere optimistische Prognosen
hinsichtlich der Rassenbeziehiingen in den USA
korrigierte. Auch seine Kritik au den ungerechten Zügen
des amerikanischen Gesellschaftssystems wurde präziser
und schärfer. So erkannte er z. B. 1965, als er sine
kritische Bilanz des ersten Jahrzehntes eh r Bürger
rechtsbewegiiug zog, deutlicher als zuvor den institutionellen
Charakter des Rassismus. Kbeuso verlagerte
sich in den letzten Jahren seines Lebens das Schweige
wicht seiner Arbeit vom Rassismusproblem auf den
Vietnamkrieg und auf das Problem der Armut in seinem
Land. Allein drei Ansprachen — in der Riverside
□hmcl) in New York City 1967, in der National Labor
Leadoiship Conference In the University of Chicago
1967 und auf der Jahreskonfercnz der Vereinigung
„Geistliche und Laien in Sorge um Vietnam" 1968 —
gelten dem Vietnamkrieg und seinen Auswirkungen im
In- und Ausland.