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Ausgabe:

1975

Spalte:

706-710

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Josuttis, Manfred

Titel/Untertitel:

Praxis des Evangeliums zwischen Politik und Religion 1975

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 9

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fünf Aporien schürzen den Knoten des Problems:
1. Wie kann .zwischen den Zeiten' verbindlich von Gott
geredet werden ? Der Thoologe spricht von einer dofi-
nitiven Offenbarung, „dio alles für den Menschen und
seine Geschichte Bedeutsame einschließt, ohno doch
schon mit dem Verlauf der Geschichte zur Dockung
gekommen zu sein. In der Sprache der theologischen
Dogmatik gesagt, besteht eine Spannung zwischen
Christologie und Eschatologie" (233).

2. Diese Schwierigkeit verdichtet sich in der ,,Aporie:
angemessenes Reden von Gott" (238) zu der Frage,
welche Sachvorhalte denn mit Worton wie .Sünde',
,Heil', .ewiges Leben' und eben .Gott' gemeint sind.
„Vergegenständlichung der Theologie ist geboten, um
nicht im magischen Kreise der Beschwörung von Worten
zu verharren" (238).

3. Gott begegnet uns in der Geschichte — aber
welche theoretisierenden und goneralisioronden Konsequenzen
können daraus gezogen werden, wenn andererseits
nicht Gott und geschichtliche Wirklichkeit gleichgesetzt
werden dürfen ? (241f).

4. Eine weitere Aporie ist in der biblischon Entgegensetzung
von ,alt' und ,neu' angezeigt. Das vorweist
auf die erhellende Wahrheit dos Heiligen Geistes
— in irdenen Gefäßen.

5. Rede von Gott bleibt nicht ohne Tragwoite für
Rede über die Welt und den Menschen. Wie aber kann
und muß dieses Reden anders sein als das der unmittelbar
auf die Welt und den Menschen bezogenen Wissenschaften
? Keine .Ideologisierung' dor Predigt — aber
doch allen Themen und Bereichen verpflichtet bleiben!

Es liegt nahe, daß Sauters Ansatz beim angemesso-
non Reden von Gott und ,von Gott her' über dio Welt
und den Menschen in große Nähe dor Bemühungen
gerät, der Thoologio von sprachtheoretischen Überlegungen
her neue Impulse zu geben. Indem Sautor aber
in den letzten Kapiteln seiner „Grundzüge einer Wissenschaftstheorie
der Thoologio" den Schwerpunkt auf
das Problem der Begründung und Bowahrheitung legt,
sind es logische Erfordernisse, nicht ,nur' sprachtheoretische
, die sich anmelden — und ein Programm sichtbar
machen: Mehr Regulierung dor Definitionen, begriffliche
Normierungen, Klärung der Strukturmerk-
malo theologischen Rodens, die Regulierung kirchlichen
Redens durch Dialogrogeln. Es sprengt freilich alles
Methodologische, wenn es darum geht, den biblischon
großen Worten wieder mehr .Nennkraft dos Sagons'
einzuhauchen. In diesem Sinne bejaht Sauter das
Charismatische (und Subjektivo überhaupt) in der
Theologie (313) und bezioht er sich hierfür auf die
wissenschaftstheoretische Unterscheidung von Entdeckungszusammenhang
und Begründungszusammon-
hang (308ff.). Um des Woitersagens willon und um
Konsequenzen ableiten zu können, liegt aber doch alles
an der logischen Regulierung. „Es sind ja gerade nicht
die traditionsbolasteten, sondern dio Allerweltsworte
wie Hoffnung, Friodon, Gerechtigkeit, über dio man sich
nicht mehr verständigen kann . . . (weil) sich verschiedene
Orientierungen und Handlungsweisen aus ihnen
ableiton lassen. Die Worte selber worden dann in ihrer
Bedeutung indifferent, sie .sagen' nichts mehr" (250).

Wenn aber Sauter logische Rogulierungon fordert,
dio einen Satz von seinem Zusammenhang und seiner
Intontion her (statt nur objektiv vom Sachverhalt
her) definieren (von seinem Handlung«- und
Existenzsinn her, 251, vgl. 280, 287ff., 305,
330), dann sollte noch offener ausgesprochen werden,
daß dio positivistisch-mathematisierende Logik hierfür
keine Hilfe sein kann; deiui sie abstrahiert eben von

dem, worauf alles ankommt: von Tendenz, Kontext
und Existenz (bleibend vom Subjekt her aufgogebonen
Problemen). Fast kurios muten bspw. dio Anstrengungen
dor Logistiker seit Russoll am Sophisma des Lügners
an (der Behauptung eines Kreters, daß allo Kreter
Lügnor sind, 64). Daß aus diesem Sophisma ein logischer
Widerspruch folgt, ist unrichtig. Denn erstens
impliziert der Bogriff des Lügners nicht, daß allo Aussagen
des Botreffenden, sondern nur, daß einige soinor
Aussagen oder allo nur möglicherweise falsch sind
(,wer oinmal lügt ...'), und zweitens meint der Ausdruck
,alle Kreter' das ,allo' im charakteristischen oder typischen
Fall, nicht einmal im durchschnittlichen Fall,
geschweige denn im numerisch vollzähligen Sinn (wie
dio formale Logik bspw. Pfänders, S. 129ff., längst
unterschied und eine Logik des Tendenzsinnos, die auch
nach dem fragt, was gemeint ist und nur gemoint sein
kann, sofort unkompliziert aufdecken würde). Da an
dor Thoologie manches von dor älteren (ihr im Ursprung
zeitgenössischen aristotelischen) Wissenschafts-
thoorio als Sophisma zu klassifizieren sein dürfte (wie
es auch Bacon in seiner Idolen-Lohre gotan hat), mag
dieses Beispiel Iiier aufgegriffen sein IlUftTDUlfr mil
der Anfrage, ob es unbedingt dio neueste Wisson-
schaftslehre sein muß, bei dor dio Thoologio bei ihrem
Alter und ihrer Herkunft in die Schule zu gehen hat.
Darüber hinaus sprengt es jode bloße Methodonlehre,
wenn man konstatieren muß, daß der Thoologo aus
rhetorischen Gründon das Wortspiel (dio Begriffsvor-
schiobung) gerade sucht. Boispiel: Dogmatik zeige
die Menschwerdung Gottes, die Ethik die Menschwerdung
des Menschen.

Dio Theologie braucht eine Wissenschafts- und
Mothodenlehre, die aus ihron eigenon sachspezifischen
Erfordernissen erwächst. Das hat Sautor einerseits
durchaus im Sinn, wenn er seinen Ausgangspunkt an
den gezeigten fünf Aporien eines theologisch relevanten
Rodens von Gott und ,von Gott her" nimmt. Andererseits
möchte man hoffen, daß, vielleicht in einem zweiten
Schritt, auch vom theologischen Alltag und den
mehr äußorlichon und technischen Problemen her (in
der ganzen Fülle des Bereiches theologischer Wissen-
schaftslehrc) das „Problemlösungsvorhalten" (früher
sog. Wissenschaftlichkeit) des Theologen kritisch unter
die Lupe (und nicht zu schnell unter das Raster allgemeiner
bzw. neuester Wissenschaftstheorie und ihrer
schnell wechselnden Terminologie) genommen wird.
Dieser Ausblick bezeichnet, aber schmälert nicht den
großen Wert dieses programmatischen, stimulierenden
und im besten Sinne auch provozierenden Entwurfs.

Berlin Hans-Georg Fritzscho

VprROtf, Antoine: Interpretation du luimuire relifdrux. Paris:
fiditionB du Seuil [1974]. 221 S. 8"

Das neue Buch des bekannten Verfassers von „Psychologie
roligieuse" (Brüssel 19fiß) ist im wesentlichen
eine Umarbeitung von Beiträgen, die schon in Sammel-
büchorn veröffentlicht worden sind. Die Verteilung der
neun Aufsätze unter zwei Rubriken: ,,1'ordro de la
manifostation" und „la veritö en acte", erscheint etwas
gezwungen und wird in der Einleitung kaum beleuchtet.
Es ist natürlich schwer, aus oinor Sammlung von Beiträgen
, dio zwar immer um die zentralo Frage der religiösen
Sprache kreisen, aber ihre Existenz verschiedenen
Umständen verdanken, eine Totalinterpretation
systematisch zu erarbeiten.

Wenn wir also in diesem Buche manche Wiederholungen
finden, so sind wir doch dem Vf. dankbar, daü
or seine äußerst interessanten Ausführungen einem brel-