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Ausgabe:

1975

Spalte:

693-696

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Um eine deutsche Reichskirche 1933 1975

Rezensent:

Meier, Kurt

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001

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1075 Nr. 9

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worden die auf diese Weise schwor zuzuordnenden Arbeiten
über die Evangelienzitate Justins des Märtyrers,
die Textkritischen Stadien zum NT, den Jüdisch-
Christlichen Schulbetrieb in Alexandria und Rom und
dio Apophthegmata Patrum (S. 237—261), während
„Das Wesen der Religion" im biographischen Abschnitt
(S. 34) als Zeugnis für eine der Triebkräfte in
der ganzen Arbeit Boussets etwas zu kurz zu Wort
kommt. Besonders wertvoll ist der Bericht über den
unveröffentlichten schriftlichen Nachlaß (S. 183f: 8.184
lies „peripatetisch" statt „patetisch"; S. 223 Anm. 4;
S. 263—268 und 408; S. 263 lies „Georg-August-" statt,
„Gustav-August-Universität"; S. 263 und 408lies„ Sroä
Ahray" statt „Srost Haray" und „Sabuhragän" Statt
„Saburahan"). Es handelt sich um Studien zum Mani-
ohäismus. zu Hermes Trismegitos, zum Gott Aion,
zur Eucharistie und am eine Ivollcgnachschrift.

Referiert wird nüchtern, liebevoll, genau, oft mit
Konfrontation zu gründlich belegten Meinungen von
Boussets wissenschaftlichen Gegnern. Dazu erscheint
nicht nur eine Fülle aufschlußreichsten bibliographischen
Beiwerks über Anreger, Fortsotzor, Rezipienten
des Bousset'schen Werkes, sondern überdies auch noch
zu nahezu jedem der- vielen -«> zitierten Autoren eine
knappe biographische Information, mindestens auf
Grund einer der drei RGG-Auflagen, daneben aber mit
vielen anderen Referenzen (S. 80f. geht es in den Anmerkungen
weit über das im Text Oosagte hinaus). Nur
wenn in dieser Weise über die Philosophien tiegeh
(S. 272 Anm. 2) und Nietzsches (g, 320 Anm. 5) das
Nötigste mitgeteilt wird, als handele es sich um vergossene
Privatdozonten der letzten Jahrhundortwende,
erscheint dies Vorfahren nicht ganz angemessen. Ansonsten
ist so eine Fundgrube von Material über die
Zusammensetzung von Fakultäten, Herausgeber kreisen,
Zirkeln, Redaktionen, politischen und kirchlichen Gremien
entstanden, die jedem, der sich darüber zu unterrichten
wünscht, von nun an eine Fülle von Arbeit
abnehmen wird.

Noch mehr gilt dies für den Abschnitt „Hintergründe
" (S. 271—392). Im Stil der Dateninformation
wird über die Ritschrsche Schule berichtet, welche die
Reaktion der Religionsgeschichtliehen Schule herausforderte
, sodann über niohtthoologiseho Wissenschaften,
die zur Herausbildung dieser Reaktion mit beitrugen
(Naturwissenschaften, Religionspsychologie, Soziologie,
klassische Philologie, vergleichende Religionswissenschaft
, Assyriologie). Einem gerafften tTberblick über
die Verarbeitung dieser Wissenschaften durch die
Religionsgesehichtliche Schule und ihre „Vorläufer"
(Harnaek. Wellhausen, Duhm, Lagarde) folgt dann ein
wieder Sehr fleißig gearbeiteter Überblick über die Bio-
und Bibliographien ihrer „Mitglieder": A. Eichhorn,
W. Wrede, H. Gunkel, ,1. Weiß, E. Trodtsch, W. Heit-
müller, H. Greßmann, P. Wernle und H. Weine] (die
nicht eigentlich dazugehörten), R. Reitzenstein und
P. Wondland, sowie derer, die sich ihnen irgendwie
anschlössen: R. Otto, O Pfleiderer, O. Baumgartner,
W. Staerk, M. Brückner, K. Lake. Es folgen, hier ohne
Biographien, die Stellungnahmen der Kritiker: J. Wellhausen
, A. Harnaek, A. Hegler, A. Jülicher, C. dornen,
E. v. Dobschütz, P. Feine, C. F. O. Heinrici, P. Biest«'r-
veld, F. E. Daubanton, J. van Dijk (die drei lotzlen,
Niederländer, in Deutschland zu wenig bekannt). Eine
„geistige Orientierung" am Schluß umreißt die Positionen
des Liberalismus, des IdoalismuR, Thomas Car-
lyles und dos Noufriesianisrnus von Leonard Nelson —
dies ist das Wesentliche, was für Boussei aul.ter (einer
philologischen und historischen Schulung und der
Reaktion gegen den Ritschlianismus bedeutend winde.

Tn der Bousset-Bibliographie (S. 397—408) fehlt
unter 1917 Boussets Bearbeitung dor synoptischon
Evangelien in der 3. Auflage der „Schriften des Neuen
Testaments neu übersetzt und für die Gegenwart erklärt
" von Johannes Weiß (s. jedoch S. 351, wo sie
summarisch erwähnt wird). Sonst scheint dio Bibliographie
vollständig zu sein. Sio enthält auch die vielen
kleinen Stücke, die in den Referaten des Buches nicht,
erwähnt oder nur kurz gestreift worden konnten. Mati
hätte sich nur, da der Vf. schon offenbar alles eingesehen
hat, statt „ff" dio gohlufiseiten und bei den Rezensionen
dio Soitenangabon überhaupt gewünscht,
damit man sieht, um wie umfangreiche (und das beißt
bei einem Mann wie Bousset: um wie gewichtige) Beiträge
es sich handelt. Es folgt noch ein Verzeichnis der
wichtigsten besprochenen und der darüber außerdem
noch handelnden neueren Literatur, schließlich ein hier
besonders wichtiges Namenregister (S. 427—434), das
die Gattin des Autors angefertigt hat.

„Diese Arbeit, will Boussets Bedeutung innerhalb
dieses geschichtlichen Rahmens erörtern, sein Leben
und Wirken geschichtlich würdigen, nicht aber die Zoit-
gemäßlieit, seiner Ideen erweisen, oder aus seinem Lebenswerk
ein Lehrstück für dio Gegenwart machen"
(S.2).Dcr Vf. hat di >se Absicht, hinter der mehr Selbst-
boscheidung steht, als durch Fremdspraehigkeit erzwungen
wurde, von der ersten bis zur letzten Seite
durchgehalten. Gorade dadurch aber bilden sieh in dem
durch nichts auf pragmatische I?'fragung der Biographie
eines großen Gelehrten programmierten Leser
Meinungen heraus, in dio er dio Erfahrungen seit 192<>
(Boussets Todesjahr), die er gemacht, oder vermittelt,
bekommen hat, unschematisiert und analogielos eingehen
lassen kann. Nur durch einige ganz knappe
Bemerkungen hilft, ihm Vorhoulc dabei: eine kritische
Auseinandersetzung Boussets mit der deutschen Kriegspolitik
war noch nicht zu erwarten (S. 44); die Schwäche
der Religionsgeschichtlichen Sehlde war ihr Mangel an
Interesse für das Begriffliche in der Religion (S. 229,
356, 390) und ihre ungenügende Wertung der Religionen
außerhalb dos biblischen Umkreises (S. 390); die
Wahl der Quellen war nicht immer b-hutsam (S. 369;
S. 94—99 zum rabbinischen Judentum und seiner entgegengesetzten
Bevorzugung durch konservative Theologen
); die Gefahren, die in der Übernahme von Oar-
lylo's Helden Verehrung liegen, wurden nicht erkannt,
(S. 375). Man könnte weiter (abgesehen von der Einfluß
-Kategorie, s. gleich) kritisch vermerken, daß das
— von Verheule neutral berichtete — Verhältnis zwischen
Religion und Geschichte (S. 382, S. 389) an einer
Symbolbestimmung leidet, derzufolge sich Symbole
aus der Geschichte als Träger ewiger Wahrheiten entwickeln
, denen gegenüber das Historische schließlieh
nur noch die Funktion der Illustration behält (S. 389,
391). So kommt die Einbeziehung auch profaner Daten
in die religionsgeschichtliche Forschung, die grundsätzlich
durchaus im Konzept dieser Schule lag (vgl.
S. 55: neutestamentliche Theologie als „Religionsgeschichte
der Kaiserzeit"; S. 68 und 75: Kenntnis des
Nächstliegenden, Konkreten, Individuellen wichtiger
als die von Mythos und Tradition; S. 82: Oomilians
Agrarpolitik und Apk 6; 8. 97 und 2H7 zur Soziologie,
die freilich noch kaum diesen Namen verdient, und zu
einem „demokratischen Zug" in der theologischen Arbeit
), letztlich doch viel zu kurz — die Bevorzugung
des Kultus vor der Lehre, das großen' Interesse an
Volks- als an Literaten- und Thoologenfrömmigkeit
«reisen zwar, wie im Buch mehrfach angedeutet, bereits
einen wissenschaftlichen Korl.sohritt aus, aber eben nur
einen vorläufigen. Das könnte damit zusammenhängen,
daß die liberale Theologie eine bürgerliche Bewegung