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Ausgabe:

1975

Spalte:

680-682

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Farmer, William R.

Titel/Untertitel:

The last twelve verses of Mark 1975

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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Theologische Literaturzoitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 9

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werden die einzelnen Argumente abgewogen, klar dio
Ergebnisse formuliert; R. kennt die gesamte internationale
exegetische Literatur, verarbeitet sie souverän und
erweist sich dabei als ein Exeget, der die Veröffentlichungen
anderer tatsächlich zur Kenntnis nimmt und
nicht allein in den eigenen Einfällen den Fortschritt
der Wissenschaft sieht. Ähnliches trifft auch für den
letzten, theologischen Teil des Buches zu, obwohl R.
hier gelegentlich so etwas wie einen konfessionellen Vorbehalt
zu machen scheint: das kommt z. B. heraus,
wenn R. von der „Auspeitschung" (fustigation) spricht,
die einem katholischen Exegeten nicht erspart blieb,
der, was für R. unorklärbar ist, die Thesen des Protestanton
Marxsen übernommen hat (S. 350f.).

R. gliedert den exegetischen Teil seines Buches
(I. A Taube de la foi, S. 1—169; II. Face aux christo-
phanies, S. 172—307) chronologisch, den theologischen
Teil (III. Dans la mouvance du Ressuscite, S. 311—416)
systematisch. Daraus ergibt sich im einzelnen der fol-
gende Aufbau:

Zunächst fragt R. in zwei Kapiteln nach der Bedeu-
tung der Auferstehung der Toten im Judentum zur
Zeit Jesu (S. 1—22) und in der Predigt Jesu (S. 23—52),
also nach den möglichen vorösterlichen Voraussetzungen
für den nachösterlichen Glaubon an die Auferstehung
Jesu (und der Toten). Dem frühesten Stadium dieses
Glaubens in der Urkirche will R. in drei weiteren Kapiteln
auf die Spur kommen, indem er die kergygmati-
schen Formeln in den Reden der Apostelgeschichte
(S. 53—105), die urchristlichen Bekenntnisse (S.
106—146) und die christologischen Hymnen (S. 147—
169) untersucht. Der Behandlung des zweiten Stadiums
des Auferstehungsglaubens in den Erscheinungsberichten
der vier Evangelien schickt R. ein die Problemstellung
verdeutlichendes Kapitel voraus (S. 173—183),
ehe er sieh dein morgendlichen Besuch am leeren Qrab
(S. 184—222) und, eine Unterscheidung von M. Albertz
und A. Deseamps aufgreifend, den persönlichen (S.
223—252) und den apostolischen Christophanien (S.
253—277) zuwendet. Beschlossen wird der exegetische
Teil durch ein Kapitel über ,,Tradition und Geschichte"
(S. 278 307). Die Ergebnisse des exegetischen Teils
nind: Im Spät judent um gab es wohl die Hoffnung auf
die Auferstehung der Toten, aber die unterschiedlichen
und keineswegs allgemein anerkannten Formen dieser
Hoffnung beweisen, daß sie nicht zum Zentrum jüdischen
Denkens zur Zeit Jesu gehörte. Auch in Verkündigung
und Wirken Jesu spielt die Auforstehungshoff-
nung keine zentrale Rolle, obwohl Jesus die Auferstehungshoffnung
der Pharisäer in veränderter Gestalt
übernommen hat. Nach Ostern hat sich die Situation
total gewandelt: Tn den kergygmatischen Formeln der
Urkirche — R. glaubt die urchristliche Verkündigung
mit Dilielius, Dodd u. a. gegen Wilckens aus den Missionsreden
der Apostelgeschichte erschließen zu können
—, ihren Bekenntnissen und ehristologisehen Hymnen
bilden die Auferstehung Jesu und die Auferstehung der
Toten die Grundlage der neuen göttlichen Offenbarung.
Die Kirche beginnt nicht mit einer Erzählung über die
Auferstehung oder einem Beweis der Historizität dieses
Faktums, sondern Ausgangspunkt und Grundlage ihres
OlauheiiH ist. daß <iotl Jesus von den Toten auf r-
*<Wkt hat (vgl. den Titel des Buches). Auch der Bericht
vom leeren Grab und die Erscheinungsberichte dienen
nif,hts anderem als der Sicherung der Gewißheit des
Ereignisses der Auferstehung, dieser Tat Gottes; von
Apologetik sollte man nach R.s Meinung hier nicht
NkUn, Wohl aber scheut R. sich nicht, im Blick auf
das Auferstehungszeugnis des Neuen Testaments den
Ausdruck „th6occntrismo" zu verwenden (vgl. S. 173,
287).

Den Ergebnissen dos exegetischen Teils entsprechend
setzt R. im theologischen Teil seines Buches ein bei der
Beschreibung der Auferstehung als Tat Gottes (S. 311—
339) und behandelt dann, wie sich der auferstandene
Jesus der Gemeinde darstellt (S. 340—368) und wie
Kirche, Mensch und Welt im Lichte des Auferstohungs-
glaubens interpretiert werden (S. 369—402). Die wesentlichen
Gesichtspunkte in diesem Teil sind: Über den
exegetischen Teil hinaus wird die Auferweckung Jesu
und damit die Auferstehung als eschatologischo Tat
Gottes gesehen, in der Gottes schöpferisches Heilshandeln
am Menschen und an der Welt seinen endgültigen
Ausdruck findet. Diese eschatologischo Tat und dieses
schöpferische Handeln fordern Glauben und sie erschließen
sich nur dem Glauben, dem die Augen über Gott,
seine Schrift und über sich selbst geöffnet werden. Auch
die Erscheinungen des auferstandenen Jesus sind Gabe
Gottes, und wenn Pilatus oder Horodes inmitten der
Jünger gewesen wären, sie hätten nichts gesehen
(S. 364). Dem Glauben aber wird dio eschatologischo
Tat Gottes greifbar im auferstandenen Jesus; dieser
ist mit dorn irdischen, gekreuzigten Jesus identisch und
doch von ihm verschieden: Er ist das Wort, aber ein
lebendiges und inkarniertes Wort. So begründet die
Auferstehung Jesu die Kirche, das neue Gottesvolk.
Geist, Taufe und Abendmahl rufen in ihr die Einheit
zwischen dem Auferstandenen und dem Glaubenden
hervor; durch sie partizipiert der Christ an Gottes
eschatologischer Tat in Jesus Christus.

Ehe R. in einem Schlußtoil (S. 417—424) noch einmal
die wesentlichen Ergebnisse des ganzen Buches
zusammenfaßt, schiebt er noch ein kurzes Kapitel über
die „Toten in Christus" (S. 403—416) ein. Stellenregister
(S. 425—445), Abkürzungsverzoichnis (S. 446—•
448), Bibliographie (S. 449—457) und Autorenregister
(S. 458—469) erleichtern dem Loser dio Benutzung des
Buches und unterstreichen dessen Verwendbarkeit, als
Nachschlage wi ■ rk.

Daß es ein Nachschlagewerk über den gegenwärtigen
Stand der Auslegung aller die Auferstehung betreffenden
Texte des Neuen Testaments ist, macht den besonderen
Wert von R.s Buch aus. An das eindrucksvoll'1
Gesamtbild mag man manche Fragen haben. Solche
Fragen sind vor allem an den von R. hervorgehobenen
Theozentrismus der Auferstehungsaussagen und die
damit verbundene Betonung der theologia gloriae zu
richten. Für R. ist ausgemacht: „La perspective du
triomphe et de la gloire" bestimmt das Leben der Gemeinde
und des Christen (S. 423). Wie aber steht es
mit dieser Atissage, wenn man nicht wie R. in den
kerygmatischen Formeln der Missionsreden der Apostelgeschichte
die urchristliche Verkündigung der Jeru-
salemer Gemeinde entdeckt, sondern spezifisch Iukani-
sche Theologumena, und wenn man den Thoozentris-
mus in den Bekenntnisformeln und Hymnen des Corpus
Paulinum und der übrigen Briefliteratur des Neuen
Testaments nicht so eindeutig bezeugt findet wie R. ?
Taucht dann nicht das Problem auf, daß die theologia
gloriae nur eine Aussage der christlichen Überlieferung
ist, der sich die durch die theologia crucis best immten
Auferstehungsaussagen des Paulus nicht einfach einordnen
lassen? Und zwingt dieser Sachverhalt nicht
dazu, im Zusammenhang mit der Frage der Auferstehung
das Verhältnis von theologia crucis und theologia
gloriae intensiv zu bedenken TDoch soll mit diesen Fragen
die Bedeu tung von R.sBuch nicht gemindert werden.

Anmerkungsweise sei noch vermerkt, daß sich leider
in den deutschen Zitaten des Buches zahlreiche Fehler
finden, die bei einer zu wünschenden Neuauflage hoffent -
lieh korrigiert werden können.

Nienberge Martin Reso