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Ausgabe:

1975

Spalte:

44-46

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Philon d'Alexandrie, Les Oeuvres de Philon d'Alexandrie 1975

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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LS

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 1

II

Laxheit degenerierten Glauben, auch gegenüber einem
verkrusteten oder hybriden Protestantismus, der sich die
Werke schenken zu können meint, behält die Stimme des
Jak. eine heilsame Korrektivfunktion, die niemand
leichthin abtun sollte" (12), wobei er darüber hinaus
noch bemerkt, daß Jak. wohl gar nicht grundsätzlich
zum Thema Glaube Werke Stellung nehmen wollte
(s. S.13 und S.29). Im Exkurs aber Glaube und Werke
fällt außerdem auf, daß Schräge; Jakobus trotz allem
Bestreben, ihm gerecht zu werden, doch allzu pointiert
auf einen sachlichen Gegensatz zum Glaubensbegriff
des Paulue festzunageln versucht (vgl. auch die „Antithesen
" S.36). - Anzumerken wäre noch, daß Schräge
trotz aller Differenzierung bei der Deutung der „Insti-
I nl ion" der Krankensalbung im Namen des Herrn durch
Presbyter feststellt, hier handle es sich nicht um ein
Sakrament, weil ,,dem Ol oder auch dem Gebet (keine)
magisch-automatische Wirkung" zukommt, denn es
werde „ausdrücklich erwähnt ..., der Herr selbst werde
den Kranken wieder aufrichten" (56). Diese aufklärerische
Mißdeutung des Sakramentalen zeigt, daß auch
ein so besonnener und kenntnisreicher Exeget wie
Schräge manche protestantischen Einseitigkeiten noch
nicht überwunden hat.

Auch der 1. Petrusbrief wird an Paulus gemessen, und
dabei wird festgestellt, daß ihm „die theologische
Schärfe, Tiefe und Originalität der paulinischen Gedankenführung
" mangelt (64), der Brief vermöge aber
„mit seltener Eindringlichkeit sein Hauptanliegen überzeugend
darzustellen und die Christen zu Gehorsam im
Leben und Leiden zu ermutigen" (05).

Demgegenüber fehle es dein 2. Petrusbrief „an theologischer
Tiefe und geistlicher Kraft", ja er provoziere
„von anderen Aussagen des NT her zum Widerspruch"
(123); er sei „die fragwürdigste Schrift des NT" als das
..klassische Dokument des sog. Frühkatholizismus und
seiner theologischen Probleme, Prämissen und Konsequenzen
". „In der Tat bildet seine Stellung und sein
Stellenwert im ntl. Kanon für die evang. Theologie und
Kirche ein weithin ungelöstes Problem", denn das
Schreiben enthält „theologische Anschauungen die
... sowohl mit anderen ntl. Aussagen als auch mit evan-
gelischen Grundpositionen unübersehbar konkurrieren"
(118). Dazu rechnet Schräge den Anspruch, das apostolische
Überlieferungsgut zu vertreten, obwohl er aber
nur eine „einseitige Auswahl" desselben vertrete und
Paulus inhaltlich nicht verstanden habe; er lehre eine
„doketische" Christologie (eine These, die exegetisch
keineswegs eindeutig zu belegen ist!), schweige von
Kreuz und Auferstehung und verkürze die Eschatologie
zu einer Art Vergeltungslehre; als Ziel der Heilsgeschichte
sei die Teilhabe „an der göttlichen Natur" herausgestellt
(119).

Auch hier hat man wie bei der Beurteilung des Jak
den Eindruck, daß der Vf. überspitzt, schärfer akzentuiert
, als er das wohl bei Paulus täte; daß er alles an
Paulus und der Rechtfertigungslehre mißt, obwohl es
vom NT her keineswegs ausgemacht ist, daß diese allein
die Mitte des NT bildet - daß sie zur Mitte gehört, ist
katholischerseits nicht bestritten - und daß er die geistige
Situation der Kirche am Übergang vom 1. zum
2. christl. Jh. nicht genügend berücksichtigt. Trotz seiner
Vorbehalte und Einwände aber vermag Schräge
festzustellen: „Niemand sollte sich die notwendige Auseinandersetzung
zu einfach machen. ... Trotz der von
der Mitte des Neuen Testaments her nötigen Distanz zu
den frühkatholischen und hellenistischen Anschauungen
des Briefes wird man ... sicher auch manches lernen und
beherzigen können ... Letzten Endes bleibt man jedoch
in Aporien stecken, wenn man den Brief nicht von
der Mitte des NT her mißt und kritisiert" (123).

Das ist jedoch eigentlich eine Binsenwahrheit, die man
auf alle „nachapostolischen" Schriften anwenden muß.
Die Grundfrage bleibt aber gestellt, inwiefern eine Entfaltung
und Akzentuierung der urclnistliohen Glauben
Überlieferung in die Situationen der aaohapostolisohen
Kirche hinein durch Lehrer dieser Kirche für die später
folgenden Generationen verbindliche Auslegung sein
kann und wer darüber zu urteilen hat, was Entfaltung
des apostolischen Überlieferungsgutes und was Verkürzung
oder Verfälschung desselben ist. Ohne Ernst-
nähme des Fortwirken! Christi in der nachapostolischen
Kirche (s. die Konzeption des Lukas) ist eine solche
Entwicklung nicht Legitim bzw. christlich verbindlich.
B!s gilt auch zu beachten, daß nicht allein Paulus Maßstab
für die nachapostolische Entwicklung der Kirche
sein kann - die rastoralbriefe beschäftigen sieb j;i
gerade mit Schwierigkeiten, die aus dem Paulinismus
hervorgehen -; entscheidend sind auch die Maßstäbe,
die von den „großkirchlichen" Evangelien des Matthäus
und Lukas gesetzt werden. Daß deren Kcrygina ebenfalls
ein legitimes christliches ist, kann wohl kaum in
Frage gestellt werden. Im Bereich des „Frühkatholischen
" bleiben also gewichtige Fragen offen.

Erfreulich an diesen Neubearbeitungen ist jedoch
nicht nur ihr Niveau und ihre pastorale Brauchbarkeit,
sondern daß sie bereit sind, sich der Frage zu stellen, ob
nicht auch die „frühkatholischen" Schriften der Kirche
ihrer und aller Zeit einen notwendigen und hilfreichen
Dienst tun und inwiefern auch das „Frühkatholische"
berechtigterweise zur Kirche Christi gehört. Damit wird
zugleich ein wertvoller Beitrag zur Verständigung über
das geleistet, was heute unaufgebbar zur Kirche Christi
gehört. Eine Frage sei noch gestellt: Sollte nicht auch
ein solch breit gestreutes, ökumenisches Werk wie NTD
künftig das ökumenische Verzeichnis der biblischen
Eigennamen (Stuttgart 1972) seinen Abkürzungen
zugrunde legen?

Passet! Otto Knorli

KIRCH EN GESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Philon d'Alexandrie: Lcs Oeuvres de Philon d'Alcxaiidrir.

Publiees sous lo patronagc de l'Univcrsitc de Lyon par
R.Arnaldez, J.Pouilloux, C.Mondescrt. 6: De PnMrriiair
Caini. Introduclion, Traduetion et Notes par R.Arnaldez.
Paris: Editions du Cerf 1972. 100 S. 8°. ffr. 45,—.

Drei Traktate hat Philo der Auslegung von Gen. 1
gewidmet - ein eindrucksvolles Zeichen für das Übergewicht
, das die ersten Kapitel der Genesis in der
Schriftauslegung des Alexandriners haben. Während die.
beiden früheren Stücke de sacrifieiis Abelis et Caini und
quod deterius potiori insidiari soleat schon seit längerem
vorliegen, wird die an Gen 4,16-25 anknüpfende Schrift
de posteritate Caini in der französischen Philoausgabc
(vgl. zuletzt ThLZ 99, 1974 Sp.261ff.) erst jetzt dargeboten
, ediert und kommentiert von einem der Herausgeber
, Roger Arnaldez, Professor an der Sorbonne.

Zugegeben, es handelt sich bei diesem Traktat um
einen besonders spröden Stoff. Wer Zugang sucht, wird
ihn am ehesten über den Themagedanken gewinnen, den
beiden Linien der Menschheitsgeschichte, von denen die
eine durch die Kainsnachkommenschaft, die andere
durch die Genealogie Adam-Seth-Noah bestimmt wird
Dabei geht es jedoch nicht um eine dualistische Geschichtstheologie
, es verbirgt sich dahinter vielmehr das
ontologisch-ethische Problem des Bösen im Menschen,
die Frage, wie es kommt, daß der Mensch das Gute w ill
und das Böse tut. Für Philo ist es nicht das Werk des