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Ausgabe: | 1975 |
Spalte: | 622-625 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Allgemeines |
Titel/Untertitel: | Christologie im Präsens 1975 |
Rezensent: | Gerber, Uwe |
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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 8
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Introduction gleich genauer ein. Zuvor kurz der Hinweis
auf das 7. Kapitel (1965). Es könnte gleichsam eine
Keimzelle des ganzen Anliegens sein. Hier ist jedenfalls
auch Barths Einfluß besonders deutlich. Das Ringen um
die Frage, wie Gott selbst es möglich macht, daß wir
etwas von ihm wissen, indem er mittels des Hl. Geistes
schöpferisch die Offenbarung in Christus bewirkt, führt
zu sehr grundsätzlichen, trinitarisch bezogenen Aussagen
von der Schöpfung, von der unauflöslichen Beziehung
von Wort und Geist und vom Geist als aktive, lebendige
, aber verborgene — man muß wohl sagen: indirekte
— Gegenwart Gottes. „He incarnated the Son
and did not incarnate Himself, He Utters the Word but
does not utter Himself" (167).
An der im Grunde unübersetzbaren Begrifflichkeit
..Rationality" hängt die Hauptthese des Buches. Der Begriff
ist vom Autor zur Darlegung der Beziehung von
Denken und Sein spezifiziert. Nüchterne, selbstkritische
Aktivität, sorgfältige kontrollierte Urteile, rationales
Wissen gehören für ihn zur theologischen Arbeit. Der Hl.
Geist bewirke schöpferisch die Offenbarung, gleichzeitig
sei er der, der uns die Offenbarung aufnehmen und verstehen
läßt. Irrationale Sprünge werden dabei nicht abverlangt
, aber er gibt der Rationalität, die sachgemäße
Sachzuwendung meint, die mit dem gesunden Menschenverstand
denkt, die Richtung auf Gott. Er stellte das richtige
Verhältnis her von dem, was wir wissen, zu dem, was
ist, von den Gedanken- und Sprachformen, in denen wir
sind, zu der hinter allem liegenden Realität: Gott. Schon
im kreatürlichen Bereich könnten Denken und Sprache
das Sein nicht eingrenzen und fassen, wieviel weniger sei
Gott, die Quelle allen Seins, zu fassen. Gott transzendiere
zwar alles, was wir von ihm sagen oder denken können,
dennoch gibt es keine Gotteserfahrung ohne begriffliche
Form des Verstehens. Dies sei die Domäne des Hl. Geistes
(168ff.). Eine Rationalität, wie sie in Erkenntnisbe-
m.ühung um Gottes Offenbarung zur Anwendung gelange
, müsse in Ubereinstimmung mit der Natur des Geistes
stehen. Er werde aber nicht der Art von Kontrolle
unterworfen wie kreatürliche Objekte, eher geraten wir
bei Richtung unseres Denkens auf Gott als sachgemäßes
Objekt der Theologie unter Kontrolle des Geistes (176).
Das arbeitet Torrance in verschiedenen Lehrkreisen heraus
und schärft öfter ein, wie göttliches Sein als ein sprechendes
Sein (179) unserem Sein Eindruck und Erkenntnis
gibt. „Theologische Erkenntnis, die im Wirken des
Geistes gegründet ist, der von Gott ausgeht und zu Gott
zurückkehrt, hat teil an der einen Bewegung, die den
Menschen über sich selbst hinausheben kann zu wahrer
Erkenntnis des göttlichen Seins, das ist an der Bewegung
von Gottes Selbstoffenbarung und Selbstkundgabe (God's
own self-revelation and self-knowledge)" (178).
In der später geschriebenen Einführung mit ihren
grundsätzlichen Forderungen für eine spezifisch „theologische
" Rationalität kommt die Hauptthese noch deutlicher
heraus. Sie steht im Kontext geistiger Gesamtentwicklungen
. Die Theologie befinde sich auf der Flucht sowohl
vor Dogmatismus als auch vor wissenschaftlicher
Objektivität in Existentialismus und Phänomenologie
sowie in historischen Relativismus und Irrationalität. Die
Kirche versuche das mit pragmatischer Ideologie und
religiöser Technik aufzuhalten. Die Konfusion sei damit
nicht zu beheben. Torrance hält eine Wendung zum Besseren
aus dem gegenwärtigen, als Übergang bewerteten
Zustand für möglich. „Wenn die Theologie die Krisis dieser
Zeiten überleben will, muß sie heraus ins volle Tageslicht
kommen, muß sie sich mit einer kritischen Prüfung
ihres eigenen theoretischen Rahmenwerkes befassen und
zu einer neuen wissenschaftlichen Arbeit vorstoßen, die
ihr Objekt ihr vorschreibt und die von diesem ihrem
eigenen Objekt abhängig ist" (5).
Diese alle anderen rationalen Wissenschaftsmethoden
von der eigentlichen theologischen Methode trennende
Beziehung zum Gegenstand macht nach T. die theologische
Rationalität aus. — Hier ist der eigentliche Diskussionsbeitrag
im gegenwärtigen Konflikt zwischen Theologen
und Philosophen über Wissenschaftstheorien und
kritischen Rationalismus (vgl. ThLZ 99, 1974 Sp. 526 bis
533); er scheint auch in der englischsprachigen Literatur
noch nicht aufgenommen worden zu sein.
Mit der methodischen Trennung theologischer von anderer
Rationalität aufgrund der vom Objekt vorgeschriebenen
Beziehung sind die bisherigen Einwirkungen wissenschaftlichen
Denkens auf die Theologie nicht abgewiesen
. Auch zukünftig hält T. den Dialog mit anderen
Wissenschaften und damit mögliche und sinnvolle Einbeziehung
ihrer Methoden für unaufgebbar. Für die Theologie
— NB für alle Wissenschaften — seien vor allem drei
Dinge wichtig: 1. eine angemessenere Wissenschaftskonzeption
; 2. ein angemessenerer Sinn für Zusammenhänge
; 3. ein angemesseneres Verständnis von Begrifflichkeit
(conceptuality).
Ob sich hinter den Komparativen nicht nur gegenüber
der heutigen Theologie, sondern auch gegenüber der
übrigen Wissenschaft eine berechtigte Forderung verbirgt
, bleibe dahingestellt. Kritisch sei angemerkt, daß T.
hier besser nicht dem Barthschen Modelldenken vom
Vorbild der Verfaßtheit der Christengemeinde für die
Bürgergemeinde folgen sollte. Eine vorbildliche Wissenschaftsmethodik
in der Theologie darf keine heimlichen
Herrschaftsansprüche hegen. Im Ansatz ist das nicht unbedingt
bei T. enthalten, wohl aber in verschiedenen Ausformungen
. Doch abgesehen von einer solchen, mit dem
verborgenen oder offenen Anspruch heute unhaltbaren,
aber öfter angestrebten Position, ist in wissenschafts-
theoretischer Hinsicht die Sachanfrage von T., die an
Theologen und darüber hinaus an alle Wissenschaftler
geht, höchst beachtenswert.
Die Wissenschaftsentwicklung kommt genauer zur
Sprache in Teil II, der den Bogen von Calvin bis zur Gegenwart
schlägt und dabei den Wandel in der wissenschaftlichen
Fragestellung deutlich in seine Grenzen verweist
. Die reformatorische Grundlinie leitet hierbei. Nicht
aus autoritärer Tradition der Kirche, sondern aus dem
..selbstoffenbarenden Wort" sei Gott zu erkennen. Die
Lösung einer Frage aus der Wandlung einer quaestio zur
interrogatio, also durch Einordnung in das, was man
schon weiß, im Mittelalter wie in der Gegenwart, macht
unser Fragen nach Gott unecht. Ein Zeugnis von Gott
müsse dem angemessen sein, der der Grund allen Seins
ist, dessen Sein „Geist", dessen Natur „Liebe" ist. Darum
bleibe in derTheologie wie in jeder Wissenschaft die rich tige
, d. h. die entsprechende Frage „oberstes Gesetz". Wer
heute — mahnt T. — Theologe sein will, sollte sich loslösen
können von kindischer Beschäftigung mit Selbst-
Entdeckung und Selbst-Erfüllung. Er sollte zum wissenschaftlichen
Fragen kommen, das ihn in der Theologie
bis „in die Wurzeln seiner Existenz" in Frage stellt, das
es ihm aber dann ermöglicht, „etwas anderes als das Echo
seiner eigenen Gedanken zu hören" (34/55).
Bonhoefferforschung wird im Teil II.3. ebenso wie Lu-
therforschung Gewinn haben, jedenfalls sind Korrekturen
verlangt in der Deutung, die gerade den „Deutschen"
unterlaufen ist, indem sie sich mit beiden als Symbol zu
ihrer Selbstfindung identifizierend); es gäbe aber außer
falscher Bonhoeffer- und Lutherdeutung bei den Deutschen
auch noch gutes, echtes Luthertum: Bonhoeffer,
H. Vogel, E. Schlink. — Einzelne scharfe Kritik kann hier
nicht diskutiert werden, aber darin besteht kaum Widerspruch
, daß nach Bonhoeffer der Gott, ohne den der
Christ leben lernen muß, nicht der Gott ist, der aus Gnaden
rechtfertigt, sondern der, der benutzt wird, die eigenen
Ansichten und sich selbst zu rechtfertigen (75). Auch
die Zurückweisung des Dualismus der Neuprotestanten.