Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1975

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

605

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 8

606

spricht der spatere Konziliarist noch recht maßvoll; Johannes
hofft auf den Papst, er stellt ein Wort aus Jes 16,3
in den Mittelpunkt und wendet es auf Martin V. an: „Ini
igitur, pater beatissime, consilium, coge concilium"
(S. 95). Johannes hat sich später bei seiner Predigt zur
Eröffnung des Konzils in Pavia am 23. 4. 1423 auf jene
Predigt vor dem Papst berufen (S. 129). Die umfangreichste
Quelle ist ein „Protokoll", das der Notar Guiller-
mo Agramunt geschrieben hat (S. 202—465). Nur wenige
Passagen dieser Quelle waren bisher schon gedruckt worden
, einige Seiten sind in der Landesbibliothek Karlsruhe
überliefert, die hier vorgelegte Edition stützt sich
auf einen Text aus einem Archiv in Valencia. Br. geht
auf Einzelheiten ein: Jenes Protokoll ist sicher nicht vollständig
, es gibt Lücken. Dem Verfasser des Protokolls
ging es naturgemäß um die Darstellung jener Vorgänge,
die die spanische Nation betreffen. Die Zuverlässigkeit
der von Agramunt überlieferten Einzelheiten schätzt Br.
hoch ein. Die regelmäßigen Aufzeichnungen beginnen
mit dem 5. 11. 1423, im Januar 1424 ist eine größere
Lücke (S. 254). Dafür berichtet das Protokoll vom 28. 1.
bis 27. 4. 1424 fast täglich und mitunter in großer Ausführlichkeit
. Hier werden auch jene Nachrichten abgedruckt
, die von der überraschenden Auflösung des Konzils
durch den Papst am 7. März 1424 berichten; die Bevölkerung
von Siena feierte Karneval (S. 401). Die geschilderten
Vorgänge sind bedrückend. Für die ausführliche
Bereitstellung der Texte hat man dem Herausgeber
und seinen Helfern zu danken.

Rostock Gert Haendler

Beinert, Woligang: Die Kirche - Gottes Heil in der Welt.

Die Lehre von der Kirche nach den Schriften des Rupert
von Deutz, Honorius Augustodunensis und Gerhoch
von Reichersberg. Ein Beitrag zur Ekklesiologie
des 12. Jahrhunderts. Münster/W.: Aschendorff [1973].
XVI, 464 S. gr. 8° = Beiträge zur Geschichte der Philosophie
und Theologie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen
, hrsg. v. L. Hödl u. W. Kluxen. N. F. 13.
Kart. DM 84,-.

Diese Untersuchung über die Ekklesiologie dreier Theologen
, die von etwa 1075 bis 1169 lebten und damit in der
Zeit nach Gregor VII. (1073-1085) und vor allem nach
dem Wormser Konkordat von 1122 wirkten, wurde 1971
Von der Katholisch-theologischen Fakultät Regensburg
als Habilitationsschrift angenommen. Sie macht es sich
zur Aufgabe, die Beziehungen zwischen den vorgetragenen
Lehren und der geschichtlichen Umwelt darzulegen.
Laher schickt sie im ersten Teil „Geschichte" die Biographien
des Abtes von Deutz, des Inklusen von Regensburg
Und des Propstes von Reichersberg sowie je ein Kapitel
über die zeit- und geistesgeschichtliche Situation der Kirche
im 12. Jh. voraus (11—134). Der zweite Teil faßt die
uber ihre zahlreichen Veröffentlichungen verstreuten
Aussagen über „Die Lehre von der Kirche" in den drei
Abschnitten „Das Wesen der Kirche", „Die Struktur der
Kirche" und „Die Kirche in der Zeit" sorgfältig und geschickt
zusammen. Der Schluß „Gottes Heil im ordo der
Welt" betont noch einmal, daß alle drei Theologen für die
Kirche und ebenso für die Welt eine von Gott geschaffne
Ordnung voraussetzten, die sie erkennen und als
Reformer wieder herstellen wollten (407-411). Dieser
zweite Teil mit seiner starken Untergliederung unterteiltet
in übersichtlicher Weise, welche Bilder verwendet
und wie sie verstanden wurden, welche Schriftstellen
und Vaterzitate diese Männer aufnahmen und welche
Folgerungen sie aus diesem Material zogen. Dabei geengt
es dem Vf., eine ermüdende Anhäufung von Zitaten
zu vermeiden. Zusammen mit dem Register ist für jeden
e|ne Fundgrube entstanden, der etwas über die Verwendung
ekklesiologischer Bilder. Begriffe oder Gedanken

bei diesen Autoren und darüber hinaus im Mittelalter
überhaupt erfahren will, denn sie schöpften aus einer
Tradition, die mit ihnen nicht versiegte. Dabei wird der
Leser immer wieder auf die Bedeutung des ordo-Ge-
dankens für die einzelnen Ausführungen hingewiesen.

Alle drei waren Vertreter einer monastischen Theologie
, die zwar die scholastische Methode nicht ablehnte,
aber ihr doch mit Mißtrauen begegnete. Die vorliegende
Darstellung läßt deutlich genug erkennen, daß ihre eigene
kontemplative und mit beschreibenden Bildern arbeitende
Denkweise vielen nach rationaler Klarheit strebenden
Zeitgenossen nicht mehr genügen und damit der
Ausbreitung der Scholastik nicht wirksam entgegentreten
konnte.

Nicht ganz so aufhellend wirkt diese Arbeit in bezug
auf die geschichtlichen Seiten dieser Ekklesiologien. Es
werden zwar Hinweise auf geschichtliche Bezüge gegeben
, aber sie werden nicht zum Leitfaden der Darstellung
.

Die Untersuchung ergibt z. B., daß für alle drei Autoren
der ordo der Kirche eine hierarchische Struktur
hatte. Dafür gab es genug Vorbilder in der Tradition, die
der Vf. auch aufzeigt. Es ist aber nicht zu übersehen, daß
die Vorstellungen vom Aufbau der Kirche immer in Beziehung
zu den Lehren oder tatsächlichen Verhältnissen
der jeweiligen Gesellschaft stehen. Der Vf. erwähnt zwar,
daß diese Theologen sich nicht genügend der Wirklichkeit
des aufkommenden Bürgertums stellten, aber er arbeitet
nicht heraus, daß ihre Vorstellungen von der
Struktur der Kirche nicht nur die Forderungen Gregors
VII. widerspiegeln, sondern ebenso die Gedanken einer
monarchischen Staatsverfassung. Und die Rechte, die sie
den Bischöfen einräumen, erinnern formal doch sehr an
die Stellung der deutschen Reichsfürsten in dieser Zeit.
Aber gerade diese Beziehungen zwischen Staats- und
Kirchenverfassung stellen einen wesentlichen Bestandteil
der geschichtlichen Seite einer jeden Ekklesiologie
dar.

Der Vf. charakterisiert einige Konzeptionen über das
Verhältnis von Staat und Kirche am Ausgang des 11. Jh.
Obgleich er dabei Petrus Damiani anführt, kommt er
doch nicht zu einer sorgfältigen Differenzierung der Reformer
des 11. Jh., die sich auch noch auf andere Punkte
dei Ekklesiologie erstrecken müßte. „Die Gregorianer"
werden zuwenig unterschieden, wodurch die Möglichkeit
vergeben wird, den Standort dieser drei untersuchten
..gregorianischen" Reformer genau zu bestimmen. Ihr
geschichtliches Wirken innerhalb der Reformbestrebungen
des 12. Jh. und dessen Auswirkung auf ihre Ekklesiologie
und damit ihr spezieller Beitrag zur Ekklesiologie
überhaupt tritt daher noch nicht scharf und detailliert
genug hervor.

Ohne Zweifel ist es verdienstvoll, daß der Vf. die geschichtliche
Seite der Ekklesiologie aufgegriffen hat, denn
je deutlicher diese an überlieferten Lehren erfaßt wird,
um so leichter hat es ein Lehrer der Dogmatik — wie der
Vf. selbst einer ist —, solche Lehren für die Kirche in der
Gegenwart fruchtbar zu machen. Diese Habilitationsschrift
läßt aber auch erkennen, welch einer ungeheuren
Arbeit es bedarf, ein theologisches Lehrstück des Mittelalters
in seiner ganzen Breite zu erfassen, seine geschichtlichen
Bezüge aufzudecken und in der Darstellung durchgehend
und gedankenführend zur Geltung zu bringen.

. Helmar Junghans

Alvarez Gutierrez, Luis: „Crisis en la Vida Religiosa a
finales de la Edad Media" (Revista Agustiniani de
Espiritualidad 15, 1974 S. 37-82).

Beitran, E.: Jacques Legrand O. E. S. A. Sa vie et son
oeuvre (Augustiniana 24, 1974 S. 387-414).