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Ausgabe:

1975

Spalte:

602-603

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Minnerath, Roland

Titel/Untertitel:

Les chrétiens et le monde 1975

Rezensent:

Molnár, Amedeo

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 8

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„seine Leiturgia", den Gottesdienst. I. F. Fikhman (Fich-
man) erhebt aus den Papyri einen scharfen Rückgang der
Sklaven und Freigelassenen im Oxyrhynchos der byzantinischen
Zeit, in deutlichem Gegensatz zur römischen
Epoche.

G. Cavallo untersucht die griechischen literarischen
Papyri vom 4./5. bis 7. Jh. im Hinblick auf Schrift und
Buchform. Die zuerst freieren Majuskelschriften erstarren
, neben sie tritt eine bequeme, lebendige Kursive, eine
Dichotomie der Schriftkultur ergibt sich. Noch im 6. Jh.
werden profane Autoren überwiegend in Papyruskodizes
abgeschrieben, während für die christlichen Texte schon
der Pergamentkodex herrscht. Interessant ist die Hypothese
, daß profane Pergamentkodizes in strengem Schriftstil
in der Spätzeit christliche Produkte sind und christliche
Schreibtraditionen widerspiegeln, nachdem Justi-
nians Zentralismus das Ende der im 5. Jh. noch aktiven
paganen kulturellen Elite gebracht habe. Von dieser
Frage zu trennen ist die Frühgeschichte des Pergamentkodex
, bei dem christlicher Einfluß z. Z. wohl überschätzt
wird. Der von W. H. Willis vorgestellte Piaton der Duke
University, ein Fragment eines prächtigen Pergamentkodex
des 2. Jh., erinnert, neben frühere Beispiele gestellt
, daran, daß profane Pergamentkodizes damals bereits
eine Perfektion erlangt hatten, die auf eigenständige
Entwicklung weist. Hier anzuschließen wäre der
Versuch von E. G. Turner, Formatgruppen bei den Papyruskodizes
abzugrenzen. Das Thema ist noch kaum behandelt
worden, und es ist reizvoll zu sehen, wie Turner
seine Fragen direkt an sein Auditorium richtet, ein schönes
Beispiel von „work in progress".

Speziell mit christlichen Texten beschäftigen sich drei
Beiträge. J. O'Callaghan setzt seine Erhebungen über die
..Nomina Sacra" fort mit der Betrachtung der neutesta-
mentlichen Papyri des 4. bis 8. Jh. K. Treu publiziert zwei
Septuagintafragmente der Berliner Papyrussammlung,
darunter den ersten Papyrusbeleg für das „Gebet Ma-
nasses" (Ode 12). T. Orlandi gibt einen Vorbericht über
einen Papyruskodex der Staatsuniversität Mailand, aus
dem späten 4. oder 5. Jh., der Teile der Paulusbriefe im
mittelägyptischen Dialekt enthält2. Zu erinnern ist an
den bemerkenswerten Sammelkodex des 4. Jh. in Barcelona
, der Griechisches und Lateinisches, Paganes und
Christliches vereint. Aus ihm hatte R. Roca-Puig 1965
einen lateinischen Marienhymnus publiziert. Jetzt legt
er Varianten aus den unmittelbar vorhergehenden beiden
ersten Catilinarien Ciceros vor.

Unter dem Titel: ..L'hospitalite dans les papyrus" faßt
G. Husson zwei unterschiedliche Dinge zusammen: die
Pflichtgemäße Versorgung reisender Funktionäre, die
mitunter die Dörfer schwer belastete, und die christliche
Gastfreiheit. Etwas überbetont erscheint die Scheidung
eines improvisierenden Stadiums im 4. Jh. von der organisierten
Caritas mit Hospizen und Spitälern seit dem
späten 5. Jh. Man denkt etwa an die organisierende Tätigkeit
des Basileios im 4. Jh. Auch die christlichen Empfehlungsbriefe
, die H. bespricht, weisen mit ihrer Sche-
Tiafoim bereits auf eine gewisse Organisation.

Aus der stark vertretenen juristischen Papyrologie, die
Uuf dem Kongreß neben der philologischen und der historischen
Abteilung ihre eigene Sektion hatte, sei die
Einführung genannt, die M. Amelotti seiner geplanten
Sammlung justinianischer Konstitutionen aus den Pa-
PVri vorausschickt. M. Simon resümiert seinen schon
J971 separat erschienenen Aufsatz „Zur Zivilgerichtsbarkeit
im spätbyzantinischen Ägypten". Zugleich als
Hinweis auf mehrere demotistische Beiträge erwähnen
E. Seidl, der möglichen Einflüssen griechischen
"echts in demotischen Urkunden mit Behutsamkeit
n;,ehspürt.

Einige Besonderheiten seien noch hervorgehoben. A.
T°i».sin und J. Denooz berichten über ein Computerprogramm
zur Auswertung von Papyrusurkunden. Die Erfahrungen
von W. E. H. Cockle beim Fotografleren von
Papyri, zu Erläuterungen von Filmaufnahmen vorgetragen
, lesen sich auch ohne das Anschauungsmaterial
spannend genug. Die Entzifferung der karischen Schrift,
die K.-Th. Zauzich auf Grund einiger ägyptisch-karischer
Bilinguen unternimmt, ergibt eine reine Buchstabenschrift
. „Die Sprache ... scheint Griechisch zu sein
oder dem Griechischen nahezustehen." Z. verweist auf
seine 1972 erschienene ausführliche Publikation. Bei so
der Diskussion bedürftigen Themen wirkt sich die unvermeidlich
langsame Drucklegung von Kongreßakten notwendigerweise
besonders unangenehm aus.

Den Beschluß mache der mit Genuß zu lesende Beitrag
von H. C. Youtie „Between Literacy and Illiteracy".
Youtie faßt hier seine Studien über die Langsamschreiber
zusammen, die gerade noch ihren Namen und vielleicht
ein paar weitere Worte hinmalen konnten. Man
erkennt ihre unbeholfene Hand in den Unterschriften
vieler Urkunden. Sie erheben sich über die breite Masse
der Analphabeten, die sich sogar bei der Unterschrift
vertreten lassen mußten. So ist es verständlich, daß
einige Gemeindesekretäre meinten, mehr brauchten sie
nicht zu können für ihr Amt — sie hatten ja Hilfsschreiber
. Für den heutigen Wissenschaftler, der in einer Umwelt
lebt, in der er keinem Analphabeten zu begegnen
pflegt und der auch die vergangenen Kulturen gewöhnlich
in ihren schriftlichen Äußerungen studiert, ist die
Erinnerung daran heilsam, was es alles unterhalb der literarischen
Oberfläche gab. Man mokiert sich manchmal
über die barbarische Orthographie und die unbeholfene
Schrift, die in christlichen Texten für die private Erbauung
begegnen. Man sollte an die Menschen denken, die
diese Texte mühsam schrieben, obwohl sie eigentlich
kaum schreiben konnten.

Berlin-DDR Kurt Treu

1 Leider Ist in dem sonst gut gedruckten Buch gerade dieser
erste Beitrag typographisch entstellt durch die hartnackige Konfusion
von Binde- und Gedankenstrichen.

' Die Edition ist inzwischen erschienen: Papiri della Universitä
degli Studi di Milano (P. Mil. Copti). V. Lettere dl San Paolo in
Copto-Ossirinchita. Edizione. commento e indici di T. Orlandi.
Contributo linguistico di H. Quecke. Milano 1974.

Minncrath, R.: Les c-hretiens et lc monde (Ier et He siec-
les). Preface du Cardinal J. Danielou. Paris: Gabalda
1973. XIII, 352 S. gr. 8°.

Das Weltverständnis der Christen innerhalb der ersten
zwei Jahrhunderte weist eine Homogenität auf, die bereits
im Verlauf des nächsten Jahrhunderts verlorengeht.
Der Vf. bietet eine synthetische Darstellung dessen, wie
die Welt als Schöpfung Gottes positiv, als Wille von
Christus abzusehen negativ von der Kirche bis etwa zum
Jahre 200 bewertet wurde.

Der erste Teil des Buches betrachtet die Welt im Lichte
der Offenbarung, der zweite die Welt in ihrer Geschichtlichkeit
, der dritte die Welt in ihrer eschatologischen Erneuerung
. Nicht nur in dieser Einteilung, sondern wohl
auch in der Methode von thematischen Einzeluntersuchungen
macht sich der Einfluß Oscar Cullmanns spürbar
.

Im Unterschied zur griechischen Kosmosvorstellung
wird die Welt im Urchristentum weder als göttlich noch
als Hindernis auf dem Wege zu Gott erlebt. Die christliche
Predigt weist kein Bedürfnis auf, eigenständige und
abgerundete kosmologische Aussagen zu prägen. Nicht
nur wird die Welt als auf den Menschen hin geschaffen
bejaht, sondern auch in ihrem Weiterbestehen als durch
die Gemeinde der Erwählten getragen und bedingt erklärt
. Die Finalität der Schöpfung wird in der Erlösungs-
tat Gottes offenbart, die dann auch die Verheißung einer