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Ausgabe:

1975

Spalte:

600-602

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Akten des 13. Internationalen Papyrologenkongresses 1975

Rezensent:

Treu, Kurt

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599

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 8

600

systematische Zusammenfassung unter dem Titel: ,.The
Experiental Focus of Valentinian Theology" (114-122).

Man liest die Darstellung mit Gewinn, weil sie von dem
valentinianischen System ausgehend ein ganzheitliches
Verstehen der Fragmente ermöglicht. Man hat nur den
Eindruck, daß die Vf.in Heracleon bisweilen besser versteht
als er sich selbst. Man spürt kaum, weil es die Vf.in
auch nie ausdrücklich sagt, daß ihre Interpretation auf
einer reinen Hypothese vom dreifachen Schriftsinn beruht
. Daß man die Texte von ihren eigenen hermeneuti-
schen Voraussetzungen aus verstehbar machen will, ist
gewiß richtig, aber ob wirklich ein so durchdachtes System
dieser Art zugrunde liegt, ist m. E. zweifelhaft, von
der Vf.in mehr vorausgesetzt als bewiesen und manchmal
gewaltsam an die Texte herangetragen. Wirklich erkennbar
sind eigentlich nur zwei Ebenen: Heracleon
überhöht durch seine pneumatische Exegese die psychische
Exegese der frühkatholischen Kirche.

Im Zuge ihrer Arbeit behandelt die Vf.in auch Systemfragen
der valentinianischen Gnosis. Auch hier versucht
sie die überlieferten Widersprüche auszugleichen. Bemerkenswert
ist, wie die Vf.in sich zur Anwältin der
Gnostiker gegenüber den Vorwürfen der Kirchenväter
macht. Die Kirchenväter werfen den Gnostikern Preisgabe
der Historie vor, P. dagegen meint, daß Heracleon
die Historie durchaus gelten lasse als Ausgangspunkt,
über den aber hinauszugelangen sei. Die Kirchenväter
werfen den Gnostikern weiterhin Determinismus vor,
und bis heute diskutiere man — nach P. fälschlich — das
valentinianische System in der Alternative „Determinismus
" oder „freier Wille". Das sei unangemessen, denn
einmal seien das philosophische Kategorien, zum andern
gelte eine prädestinatianische Vorherbestimmung nur für
die beiden Klassen der Sarkiker und der Pneumatiker,
während für die Psychiker die Entscheidung offensteht.
Aber mit diesem typisch valentinianischen Zugeständnis
an die frühkatholische Kirche, sie als der Errettung
durch Verdienst und Gnade fähig gelten zu lassen, wird
man nicht so argumentieren können, wie es die Vf.in tut.
Der Ausgangspunkt ist doch die naturnotwendige Erlösung
des Pneumatischen und die ebenso notwendige
Verdammung des Fleischlichen. Die Kirchenväter hatten
m. E. völlig recht, an diesem Punkt einzusetzen und das
taktische Zugeständnis an die Psychiker als in der Sache
selbst unwichtig zu übergehen.

Im ganzen ist die Arbeit trotz gewisser Überspitzungen
ein gewichtiger Beitrag zum Verständnis der valentinianischen
Johannesexege.se, besonders der Heracleons,
aber ihre Ergebnisse lassen sich auf andere gnostische
Gruppen nicht ohne weiteres übertragen.

Leipzig Karl Martin Fischer

Ben-Chorin, Shalom: The Image of Jesus in Modern Ju-
daism (Journal of Ecumenical Studies 11. 1974 S. 401
bis 430).

Broer, Ingo: Die Antithesen und der Evangelist Matthäus.
Versuch, eine alte These zu revidieren (BZ 19,1975 S. 50
bis 63).

Brox, Norbert: Zur pseudepigraphischen Rahmung des
ersten Petrusbriefes (BZ 19, 1975 S. 78-96).

Bucher, T. G.: Die logische Argumentation in 1. Korinther
15,12-20 (Bibl 55, 1974 S. 465-486).

Giblin, C. H.: Structural and Thematic Correlations in
the Theology of Revelation 16-22 (Bibl 55, 1974 S. 487
bis 504).

Gill, D.: The Structure of Acts 9 (Bibl 55, 1974 S. 546 bis
548).

Kodell, J.: „The Word of God grew". The Ecclesial Ten-
dency of Logos in Acts 1,7; 12,24; 19,20 (Bibl 55, 1974
S. 505-519).

McDermott, Michael: The Biblical Doctrine of KOINO-
NIA (BZ 19, 1975 S. 64-77).

Walvoord, John F.: Matthew. Thy Kingdom Come. Chicago
, Ill./USA: Moody Press [1974]. 259 S. 8°. Geb. $ 5,95.

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Kießling, Emil, u. Hans-Albert Rupprccht [Hrsg.]: Akten
des XIII. Internationalen Papyrologenkongresscs.

Marburg/Lahn, 2.-6. August 1971. München: Beck 1974.
XX, 501 S., 8 Taf. gr. 8° = Münchener Beiträge zur Papyrusforschung
und antiken Rechtsgeschichte, hrsg. v.
W. Kunkel, H. Bengtson, E. Gerner u. D. Nörr, 66.
DM 120,-.

Rechtzeitig zum 14. Papyrologenkongrcß in Oxford
1974 erschien der Protokollband des 13. Kongresses. Die
alle drei Jahre stattfindenden Zusammenkünfte vereinen
jedesmal über 100 Teilnehmer. Das Verzeichnis für 1971
nennt 139 Namen. Das Programm führt 66 Beiträge auf.
53 sind abgedruckt, einige davon nur im Resume, weil
inzwischen anderwärts erschienen. Die fehlenden sind
überwiegend Arbeitsberichte, die nach drei Jahren sowieso
veraltet wären.

Der amerikanische Papyrologe Youtie hat die Zahl der
aktiven Fachgenossen in aller Welt mit etwa 30 angegeben
. Aber Papyrologen im Hauptberuf sind eine Minderheit
unter all denen, die sich für die Aussagen der Papyri
über ihr jeweiliges Arbeitsgebiet interessieren und
die ihrerseits ihre Spezialkenntnisse in den Dienst der
Auswertung der Texte stellen. So ist es legitim, den vielseitigen
Sammelband unter den Gesichtspunkten zu betrachten
, die den Lesern dieser Zeitschrift naheliegen.
Doch wollen wir daneben einen Eindruck von dem Gesamtgebiet
vermitteln, das nicht nur Hilfsmittel für andere
liefert, sondern auch seine eigenen Schwerpunkte
hat.

Dem Schwerpunkt papyrologischer Interessen entspricht
es, wenn der Leitvortrag — an der Spitze außerhalb
der alphabetischen Folge abgedruckt — der hellenistischen
Zeit gilt. Die belgische Altmeisterin Ciaire
Preaux würdigt die Papyri als Quellen für die hellenistische
Geschichte: Sie geben fast nichts her für die
„große", politische Geschichte der Herrscher und Staaten,
aberum so mehr für die Kehrseiteder Medaille,das soziale
und ökonomische Leben der Dörfer. Sie ergänzen und
korrigieren so das Bild. Mlle. Preaux betont, wie viele
belgische Papyrologen, die radikale Kluft zwischen der
Kultur der griechischen Oberschicht und der der einheimischen
Ägypter ebenso wie die Isolation Ägyptens von
der Außenwelt. Beides habe sich erst mit dem Christentum
geändert.'

Einen Kontrapunkt bildet das eindringliche Plädoyer
von R. Remondon für ein intensiveres Studium der byzantinischen
, also der christlichen Epoche Ägyptens, die
oft noch als „Verfallszeit" vernachlässigt werde. R. selbst
hat viel getan, dem Mangel abzuhelfen. Um so mehr ist
zu beklagen, daß sein Tod kurz nach dem Kongreß seinen
weiteren Plänen ein abruptes Ende gesetzt hat.
Immerhin ist die byzantinische Zeit mit einer Zahl weiterer
Beiträge vertreten. A. K. Bowman umreißt Aspekte
der diokletianischen Reformen in Ägypten, durch die
die Weichen für das byzantinische Verwaltungssystem
gestellt worden seien. Vor dem Hintergrund der Latini-
sierungsbestrebungen Diokletians sieht Helene Cadell
die Erneuerung des griechischen Wortschatzes in den Papyri
des 4. Jh.: lateinische Lehnwörter werden verstärkt
übernommen, zugleich aber auch alte Wörter mit neuem
Leben erfüllt. So wird ,Anachorese' aus der Landflucht
der Bauern zur christlichen Weltflucht, und der Begriff
.Anachoret' wird neu geprägt. Altes und Neues trifft zusammen
, wenn ein Diakon um Befreiung von einer Lei-
turgia = öffentlichem Amt bittet, um Zeit zu haben für