Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1975

Spalte:

598-599

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pagels, Elaine

Titel/Untertitel:

The Johannine Gospel in gnostic exegesis 1975

Rezensent:

Fischer, Karl-Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

597

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 8

598

seine Methode weist ihn anders als de Solages nicht an
das verbale Einzelelement, sondern an Struktur, Anordnung
und Relation innerhalb der literarischen Einheit
und der redaktionellen Komposition, ein Weg, auf
dem ihm freilich nur wenige Eingeweihte zu folgen vermögen
. Andererseits ist es ihm möglich, mit den übersetzten
Texten auszukommen.

In einer methodologischen Grundlegung entwickelt er
die Theorie der Umstellung (permutation), Einfügung
(insertion) und Wiederholung (repitition), die jeweils auf
den synoptischen Befund angewendet werden (S. 17—99).
Der Mittelteil stellt die Frage nach Ursprung und Angemessenheit
der Einteilung in Kapitel, Vers und Periko-
pen von den Sektionen und canones des Eusebius von Cä-
sarea bis zum neuen römischen Lektionar, und versucht
durch strukturelle Kriterien gekennzeichnete ..passages"
und ..blocs" als sachgerechte Einheiten herauszuarbeiten
(S. 103-196). Der Schlußabschnitt setzt sich auf dieser Basis
mit der Benutzungshypothese auseinander, wobei die
Zweiquellentheorie in der von Solages entwickelten Gestalt
eine besonders kritische Wertung erfährt (S. 293: sie
ist weder in der Lage die Anordnung des Stoffes noch deren
Abwandlung zu erklären). Den aufgedeckten Wechselbeziehungen
, die zugleich die concordia discors der
Evangelien enthüllen, genüge die Dokumententheorie,
wie sie von X. Leon-Dufour und seinen Schülern vertreten
wird7. Nach dieser folgt auf die präsynoptische
Phase, in der sich zunächst erzählerische Einheiten,
Blocks und Stoffgruppen im Tradierungsprozeß herausbilden
, die etappenweise Redaktion, wobei die unabhängig
voneinander arbeitenden Evangelisten jeweils
geformte Traditionen des anderen aufnehmen. Die literarisch
fixierten Evangelien sind substantiellement, nicht
strictemenl identique. Der Autor bekennt sich dazu, daß
er gerade dies mit Hilfe seiner analyse ordinale habe
aufweisen wollen. Im Unterschied zu de Solages Demonstration
ist die auf diese Weise postulierte Entstehungsgeschichte
reichlich kompliziert, ein Charakteristikum,
das sie mit anderen apologetischen Theorien gemein hat
(sie läßt als erste Stufe der Systematisierung für einen
aramäischen Urmatthäus Raum!). Sie hat außerhalb
Frankreichs kaum Vertreter gefunden. Die enge Verbindung
, die zwischen der analyse ordinale und der Dokumententheorie
besteht, wird den ohnehin eingeschränkten
Wirkungsraum noch mehr verkleinern.

Die zusammenschauende Betrachtung der beiden nahezu
gleichzeitig erschienenen Bücher vermittelt eine eindrucksvolle
Lehre: zwei Werke, die am gleichen Gegenstand
Methoden der Analyse erproben, die ein höchstes
Maß an Objektivität beanspruchen, weisen nicht konvertierende
, sondern konträr entgegengesetzte Ergebnisse
auf. Die Fragestellung, mit der der Forscher in eine Untersuchung
eintritt, bestimmt das Ergebnis in nicht geringerem
Maße als die angewandte Methode. Dieses kritisch
zu reflektieren, heißt zugleich den instrumentalen
Charakter der Methode anzuerkennen. Auch für die hier
auf dem Gebiete der Synoptikerforschung erprobten
Methoden gilt: sie vermögen im Rahmen der vorgegebenen
Fragestellung zu präzisieren, kaum aber die Voraussetzungen
zu revidieren. Darin liegt ihr Recht, das
bezeichnet aber auch ihre Grenzen. So gesehen kann der
kritische Betrachter sogar aus beiden hier angezeigten
Arbeiten Gewinn ziehen.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

' Bespons vom 26. Ii. 1912: Enchiridium Biblicum 405.

! Bcspons vom 10. 6. 1911: Enchtridlum Biblicum 389.
.'Zürich 1(171. S. 11-25: vgl. Anzeige des Rez. ThLZ »8. 1973
'P- 37-39.

'Sprüche und Heden Jesu. Die zweite Quelle des Matthäus und
^«kas. Beiträge zur Einleitung In das Neue Testament II. Leipzig

' 2ThK 68. 1971, 27-52; vgl. dazu J. Jeremias ZNW 62, 1971, 172f.

11 Die ausführliche Bibliographie im Anhang weist freilich nur
eine 1963 erschienene Studie des Autors zum synoptischen Problem
auf.

' Eine von ihm selbst gegebene Zusammenfassung der Thesen
von Leon-Dufour findet der deutsche Leser in: A. Robert u. A.
Feuillet. Einführung in die Heilige Schrift II. Freiburg i. B./Wien
1964, S. 267-291: vgl. auch Les £vangiles et l'histoire de Jesus, Rez.
G. Delling, ThLZ 90. 1965 Sp. 187-189.

Pagcls, Elaine H : The Johanninc Gospcl in Gnostic Ex-
cgesis: Horaclcon's Commenlary on John. Nashville—
New York: Abingdon Press [1973]. 128 S. 8° = Society
of Biblical Literature, Monograph Series, ed. by L.
Keck, 17. $ 3,50.

Die Vf.in unternimmt den Versuch, die hermeneuti-
schen Voraussetzungen der gnostischen Johannesexegese
zu ergründen, durch die sie in sich geschlossen und einheitlich
verstanden werden kann. Während die Kirchenväter
und viele neuere Kommentatoren den Gnostikern
vorwerfen, ihre Exegese sei hoffnungslos willkürlich und
erdichtet, kommt P. zu der Einsicht, daß ihr ein in sich
geschlossenes System zugrunde liegt.

Die Textbasis für ihr Unternehmen sind im wesentlichen
die uns bei Origenes überlieferten Fragmente aus
dem Johanneskommentar Herakleons. Nur zu Joh 1,3 f.
hat sie eine größere Vergleichsmöglichkeit, ansonsten
bleiben für sie nur die summarischen Angaben des Ire-
näus (Adv Haer I 8,5) und ein paar Stellen aus den Ex-
cerpta ex Theodoto. Aus den Nag-Hammadi-Texten hat
die Vf.in nur 5 Stellen herangezogen. So muß man die
Arbeit trotz der umfassenderen Absichten der Vf.in als
eine hermeneutische Untersuchung zu den Fragmenten
des Heracleon ansehen. Heracleon darf man mit der Vf.in
gewiß für den besten Repräsentanten valentinianischer
Exegese ansehen, aber eben doch nicht für die Gnosis
überhaupt, denn die trichotomische Anthropologie mit
der unentschiedenen Mittelklasse der Psychiker ist ein
typisches Merkmal der valentinianischen Gnosis, nicht
der Gnosis überhaupt.

Die Grundthese der Vf.in ist, daß der trichotomischen
Anthropologie ein hermeneutisches System von drei Ebenen
der Interpretation entspreche. Jeder Text habe drei
Ebenen: fleischlich = buchstäblich historisch, psychisch
= ethisch, pneumatisch = symbolisch. Die Widersprüche,
die die Kirchenväter zu finden meinen, lösen sich auf.
wenn man berücksichtigt, auf welcher Interpretationsebene
die Aussage gemacht wird. Für Joh 1,3 f. stellt die
Vf.in die drei möglichen Interpretationen graphisch
nebeneinander (S. 35). Johannes der Täufer sei auf der
Ebene der Sinneswahrnehmungen Prophet, auf der psychischen
Symbol des bußfertigen Demiurgen, der seine
Grenze begreift, und auf der pneumatischen stellt er den
Übergang von psychischer Einsicht zu pneumatischer Erfüllung
dar. Oder: die Taufe ist fleischlich Waschung der
Leiber, psychisch Vergebung der Sünden, pneumatisch
die Erfüllung mit der Gnosis. Die Pneumatiker bedürfen
der ersten beiden Ebenen nicht. Sie empfangen nur eine
geistliche Taufe, das Sakrament der Apolytrosis, das von
den irdischen Bindungen und der Herrschaft des Demiurgen
befreit und zur himmlischen Wiedervereinigung im
Pleroma führt. Heracleon bedenke sowohl, was der Text
jeweils für die noch zu gewinnenden Psychiker besage,
als auch, was er für die Pneumatiker bedeute.

Es ist erstaunlich, wie es der Vf.in gelingt, mit dieser
hermeneutischen These die Fragmente des Heracleon-
kommentars verstehbar zu machen, sie als sinnhaftig und
von großer gedanklicher Harmonie darzustellen. So behandelt
sie nach einer Einführung (11-19) 1. Joh 1,1-4
(20-35); 2. Die Gesamtinterpretation des Prologs (36-50);
3. Johannes der Täufer (51-65); 4. Der Tempel Joh 2 (66
bis 82); 5. Joh 4 als zwei Typen von Bekehrung (83-97);
6. Valentinianische Anthropologie „Zeugung" Joh 8 und
..Same" Joh 4,35f. (98-113). Den Abschluß bildet eine