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Ausgabe:

1975

Spalte:

571-580

Autor/Hrsg.:

Wekel, Konrad

Titel/Untertitel:

"Die drei Stelen des Seth" 1975

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 8

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über Spannungen und Widersprüche hinweg, an denen
die eigentliche Paradoxie der Einheit in der Dreiheit zutage
tritt. ,Dreif a 11 i g' ist nicht Gott, aber die Erlebenswelt
des Menschen. Gott ist je derselbe i n dieser
,Dreifaltigkeit'. So besagt jene Lehre die Dreiselbigkeit
Gottes und seiner Offenbarungsweisen im dreifältigen
Wirklichkeitserleben des Menschen. Sie ist ein reflektierter
und qualitativer Monotheismus, indem sie statt
einer quantitativen Einheit Gottes seine qualitative Sel-
bigkeit lehrt — bloße Einheit zur Selbigkeit verschärf!
und als solche qualifiziert.

Aber eben dies kann ohne Gewahrwerden des Renschen
im Widerspruch' (im Widerspruch zwischen Naturmacht
und ,Sinn' der Geschichte, zwischen Geschichte
im großen und Geschichtlichkeit im kleinen) nicht gedacht
werden — wie nicht Versöhnung ohne Sünde. Karl

Barth hat diese Korrelation dadurch erneut als theo-
zentrische befestigt, daß er jene Widersprüche überhaupt
erst als von der Offenbarung aufgedeckte und entlarvte
zeigt — Widersprüche, die für sich und ,von unten
' gesehen auch als die Stärken des Menschen erscheinen
könnten („In der ... Heilung bemerken wir die
Krankheit", KD III/3, S. 352).

Es ist der Begriff der Offenbarung, der das Objektive
und das Subjektive miteinander verbindet und
der die theologische Aufgabe dahin weist, nicht aus einem
abstrakten Begriff von Gott, sondern aus dem ganzen
konkreten Raum der Offenbarungswirklichkeit jene Implikationen
und Tragweiten zu entfalten, die die Begrilfs-
definition zur Sacherklärung (zur Realdefinition der .Sache
' Gottes) werden lassen.

„Die drei Stelen des Seth"

Die fünfte Schrift aus Nag-Hammadi-Codex VII

Eingeleitet und übersetzt vom Berliner Arbeitskreis für koptisch-gnostische Schriften*

Die fünfte Schrift des NHC VII, der durch die Faksimile
-Edition1 seit kurzer Zeit allen Interessierten zugänglich
ist,2 trägt den Titel: „Die drei Stelen des Seth".
Diese Schrift ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. „Die
drei Stelen des Seth (abgek. StelSeth)" enthalten hymnische
Anrufungen der drei höchsten Wesen dieser Gno-
sis: die erste ist an Adamas (Sohn) gerichtet, die zweite
an Barbelo (Mutter) und die dritte an den höchsten Gott
(Vater), der hier u. a. als der „wahrhaft Präexistente"
(p. 124,19) angeredet wird. StelSeth sind wohl nicht nur
als ein liturgischer Text schlechthin anzusehen, der uns
bloß einen guten Einblick in die allgemeine gnostische
Frömmigkeitspraxis gibt. Vielmehr dürften wir hier eine
ausgeführte und mit entsprechenden Anweisungen versehene
gnostische Aufstiegsliturgie vor uns haben. In
p. 127,17-21 ist wohl eine genaue Angabe über den Gebrauch
der Hymnen zu sehen. Ihr ist zu entnehmen, daß
es sich bei StelSeth um drei Gebete handelt, die auf drei
verschiedenen Stufen des Auf- und Abstiegs gebetet
wurden. „Von der Dreiheit aus preisen sie die Zweiheit.
danach (von der Zweiheit aus) die Einheit. Der Weg des
Aufsteigens ist der Weg des Herabkommens." Und das
dürfte eben bedeuten, daß die drei Gebete in der Reihenfolge
1-2-3 3-2-1 gebetet wurden. Und zwischen dem
ersten und zweiten Beten des 3. Gebets hat man sich als
eigentlichen Zweck der Liturgie die schweigende Gottesschau
vorzustellen. Daß ebendiese Schau in Schweigen
das Ziel des ganzen Aufstiegsmysteriums ist, zeigt schon
eine Notiz gleich am Beginn unseres Textes: „Oftmals
habe ich zusammen mit den Kräften (diesen) Lobpreis
gesprochen und bin dadurch (der Schau) der unmeßbaren
Größen gewürdigt worden" (p. 118,19-23). Diese Bemerkung
der Redaktion — Sprecher der Worte ist nicht
Dositheus — steht aber wiederum ganz eng in Beziehung
zu einer Ausführung am Ende des Textes: „Und danach
werden sie verstummen. Und so wie es ihnen bestimm!
ist, steigen sie auf. Nach dem Schweigen kommen sie
herab" (p. 127,13-17).

Anläßlich der Dreizahl der Stelen stellt sich übrigens
auch die Frage nach ihrer Beziehung zu der in der jüdischen
Tradition bekannten Vorstellung von den nur zwei
Stelen des Seth. Die Gnostiker, von denen der Rahmen
dieser Schrift stammt, haben wohl, um die drei Gebete
als von Seth stammend ausgeben zu können, die traditionelle
Vorstellung einfach entsprechend modifiziert.
Wichtig und bemerkenswert ist weiterhin, daß StelSeth
als genuin sethianische Schrift keinen nachweisbaren

christlichen Einfluß zeigen. Im Zusammenhang damit
stellt die Tatsache, daß StelSeth ebenfalls keine ausgeführte
Mythologie bieten, vor die Entscheidung, ob es
sich bei unserer Schrift um ursprüngliche Einlachheit
oder um sekundäre Vereinfachung handelt. Letzteres
ließe sich denken als Folge der besonderen Eigenart des
Textes: Die Benutzbarkeit in der von uns dargelegten
Weise hätte eine einfache Form notwendig machen können
. Aber auch für die andere Möglichkeit, ursprüngliche
Einfachheit der mythologischen Vorstellungen, lassen
sich Argumente bringen. Hier sei vor allem darauf verwiesen
, daß als göttlicher Sohn der himmlische Adamas
fungiert und er den Titel „Autogenes" trägt, der in der
christlich-sethianischen Gnosis Christus vorbehalten ist.

Der Schrift als Ganzer liegt folgende Einleitung zugrunde
:

118,10-118,24 Präambel

118,24-121,17 1. Stele des Seth

121,18-124,15 2. Stele des Seth

124,16-126,31 3. Stele des Seth

126,32-127,21 Liturgische Anweisungen

127,21-127,27 Ermahnung und Schlußtitel

127,28-127,32 Kolophon

Der Schrift als Ganzer liegt folgende Einteilung zu-
hidisch, wenn auch einige Besonderheiten zu registrieren
sind. Auffällig ist zunächst das Auftauchen einer Reihe
von bohairischen Formen (Qualitativ- u. Konjunktivformen
) und der mehrmalige Gebrauch der ebenfalls nur
im Bohairischen vorkommenden Identifikationspartikel
„ha" - „als" (p. 118,27; 121,3; 124,7; 126,21; 127,22; Crum,
629a). Sie erscheint an einer Stelle in Verbindung mit
einer weiteren nicht allzu häufigen Konstruktion: p. 118,27
anok ha pete pök nscre (für anok pekiiere). (Vgl. hierzu:
H.-M. Schenke, Koptologische Studien in der DDR, Halle
1965, 134). Als schlechte Übertragungen aus dem Griechischen
erweisen sich zwei weitere auffällige Wendungen.
Hinter der in StelSeth häufigen, unkoptischen Formulierung
: ni ontös etsoop (p. 119,261'.; 120,18; 123,9; 124,19.20)
ist einfach ein oi ontös ontes zu vermuten; und entsprechend
wohl hinter dem ebenfalls für unsere Schrift typischen
ni kata oua ntelios (p. 121,3f.; 124,7f. 24f.) ein oi
kath ena teleioi. Der Sache nach ist mit dem zweiten Ausdruck
ein auffälliger Nachdruck auf den Sachverhalt der
Vereinzelung des Vollkommenen gelegt. Auch auf zwei
Namen, die gleich zu Beginn der ersten Stele genannt
werden, sollte das Augenmerk gerichtet werden. Das
erste Glied des Namens „Emmacha-Seth" könnte zusam-