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Ausgabe:

1975

Spalte:

544

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schütz, Paul

Titel/Untertitel:

Wie ist Glaube möglich? 1975

Rezensent:

Dilschneider, Otto A.

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gäbe 1921) „Erlebnis, Erkenntnis nntl (Haube" eine zu große
Rolle spielt, so wichtig es auch sein mag, zu zeigen, daß die
darauffolgende Entwicklung in ß.s Theologie keinen wesentlichen
Bruch aufweist, obwohl Vf. richtig sieht, daß mindestens
seit 1929 ein „Tendcnzumschwung" in B.s Denkrichtung
deutlich wird. Das Entscheidende ist ja doch, zu erörtern, was
B. meint, wenn er von natürlicher Gotteserkenntnis, cognitio
Dei legnlis, der Erkenntnis des wahren Seins des Menschen.
Anknüpfungspunkten als notwendiger Voraussetzung für
das Hören des Evangeliums, Vorverständnis usw. spricht,
lind alle diese Fragen werden doch erst in der zweiten Hälfte
des Buches gründlich diskutiert, dann aber auch so gründlich,
daß eine etwas knappere Form möglich gewesen wäre.

Alle Einzel fragen können hier natürlich nicht erörtert werden
. Bekanntlich hat B, (in „Natur und Gnade") sehr unvorsichtig
davon gesprochen, was Gott „seinem Werke an dauernder
Offenbarungsmächligkeit verliehen" hat. Später hat
er statt dessen vo7i der menschlichen „Worlmächligkeit" gesprochen
. Und schließlich hat er versucht, Klarheit zu schaffen
, indem er die gebliebene „formale" Gottebenbildlichkeit
von der „malerialen" zu unterscheiden versucht. Vf. sagt aber
richtig, daß man „weder B. noch dem fraglichen Sachverhalt
der Anknüpfung" gerecht wird, ..wenn man lediglieh den
formalen, nicht aber den materialen Aspekt gelten läßt". Für
B. ist es wichtig, daß der „natürliche" Mensch eine „cognitio
Dei legalis" hat, daß er sich „irgendwie" in seiner Existenz
durch ein heiliges, göttliches Gesetz gebunden weiß und somit
auch „irgendwie" Gotlescrkenntnis hat. Oder wie es einmal
(„Der Mensch im Widerspruch") heißt: „Das böse Gewissen
ist die Art, wie wir als Sünder die Gegenwart Gottes
erfahren." Oder wenn Vf. sagt: „Ohne dieses zur Erkenntnis
der Sünde und in die Verzweiflung treibende Gesetz gibt es
keine Bekehrung, keine Buße, keinen Glauben." Auch in der
Sünde steht der Mensch nie außerhalb der Goltbc/.ogenhcit.

B. meint hier, wie er behauptet, in Übereinstimmung mit
Höm 1 und 2, von einer „Naturoff eubarung Gottes" reden zu
dürfen oder zu müssen. Und doch! Auch in dieser „Schöpfungstheologie
" wünscht Ii. das christologischc Kriterium als
entscheidend festzuhalten. Nur in der Botschaft von Christus
wird die Scliöpfungsoffenbarung achte Gotteserkennlnis
und damit auch Selbsterkenntnis. „Zur wahren Erkenntnis
der ersten Offenbarung kommt man also nur durch die
zweite", heißt es in zweiter Ausgabe von „Natur und Gnade"
(1935). B. ist einverstanden, wenn Barth feststellt, daß Christus
die ratio cognoscendi des schöpfungsmäßigen Menschenwesens
ist. „Die Lehre vom Menschen ist als christliche Anthropologie
von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus aus
zu entwerfen", heißt es 1951. Mit Beeilt faßt Vf. zusammen
in dem Satz: „Er (der Mensch) hat sein wahres Sein extra
se".

Hier ist aber B. doch wohl nicht nur in seiner Ausdrucksweise
unklar. Die Unklarheit geht tiefer. 1934 kann er sagen,
•laß die Schüpfungsoffenbarung „eine wichtige Ergänzung zur
Erkenntnis Gottes in der Schrift" wird und bleibt, obwohl
er schon 1927 („Der Mittler") eine solche „Addition" direkt
abgelehnt halte. 1935 vermeidet er dann and), wohl wegen
Barths Kritik, diesen Ausdruck. Worum es ihm geht, ist vor
allem die Verantwortlichkeit des natürlichen Menschen, vor
Gott zu erläutern, cf. Rom 1 und 2. Wichtig ist ihm auch das
bekannte Augustin-Worl von dem unruhigen Herzen und
auch etwa Kierkegaards Lehre, besonders in ..Die Krankheil
zum Tode", von der vielleicht latenten Verzweiflung, die man
versuchen kunn manifest zu machen, so daß der Mensch irgendwie
Heil suiht, cf. auch vor allein Pascal.

Und was dann? Ein verzerrtes Wissen um Gott, der doch
ohne Christus immer ein Götze bleibt, und ein ebenso verzerrtes
Wissen um Sünde, eine verworrene Sehnsucht nach
Frieden in Gott wegen seiner unverlierbaren Gottbezogen-
heit. Und schließlich fragt man sich, wie wohl B. reagiert hat,
als er ein paar Jahre in Japan verbrachte, in dem l^ande, WO
gerade Wörter wie „Gott" und „Sünde" so überaus schwer
übersetzbar sind. Oder man wundert sich, daß er in jiuMM
Buch nicht an den so oft, vielleicht zu oft erwähnten Ab-

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schnitt in ..Widerstand und Ergebung" erinnert hat. wo Bon-
hoeffer von dem mündig gewordenen Menschen spricht. Nicht
daß Bonhoeffer hier das Entscheidende in vollgültiger Weise
gesagt hätte. Von diesen Ausführungen kehrt man doch vielleicht
wieder zu Kierkegaards „Die Krankheit zum Tode"
zurück. Das heißt aber wohl, daß das endgültige Wort über
das schöpfungsmäßig gegebene Menschsein nicht gesagt worden
ist und v ielleicht niemals gefunden wird. Der Streit zwischen
Barth und B. hat es wenigstens nicht vermocht. Eine
ruhigere und verständnisvollere Auseinandersetzung zwischen
diesen beiden hätte doch vielleicht etwas Wesentliches
beitragen können.

Genloftc N. II. See

Schütz, Paul: Wie ist Glaube möglich? Krise und Chance des
Christentums im Zeitalter der Wissenschaft. Hamburg:
Furche [1974). 111 S. kl. 8° = Stundenbücher 117. DM 6,80.
Der tragende Begriff, von dem Schütz ausgeht heißt: Kon-
tigeuz bzw. Kontingciizerfahning. Kontingenz ist das Zufällige
, das Unverfügbare. Diese Kontingenzerfahrung wird in
den Bereichen der Naturerkenntnis, der Geisteswissenschaften
und der Dichtung beispielhaft dargelegt. Die biologische
Studie des l'ranzosen Jacques Monods „Zufall und Notwendigkeil
" wie Albert Camus' Begegnung mit der Absurdität und
Samuel Beckeis Erfahrung des Niehls und der Leere werden
herangezogen, um die Kontingenz darzulun. Aber „Die Konfrontierung
mit dem Unverfügbaren ist noch nicht die Kon-
frontierung mit der Offenbarung" (59). Immerhin aber vermag
die Erfahrung der Kontingcnz sowie die Krise der Kontingenzerfahrung
zur Chance des Glaubens werden, dem die
Offenbarung als Vorentscheidung vorausgehl. Wie die Mathematik
letztlich mit unbeweisbaren Axiomen und Symbolen
lebt, so auch der Glaube. „Das Wagnis der Setzung im Grundlosen
setzt Theologie erst ins Sein. Selbstkritisch ist sie darin,
daß sie sich dieses ihr Vorgegebenen bewußt bleibt: der Offenbarung
." (07) In solcher Charakterisierung christlicher Existenz
ist auch unsere Bede von Gott eine Bede von dem kun-
tingenten Gott. Solch Lehen im Glauben setzt dem Kuusulis-
nius des historischen Zeitbegriffes die „parusiale Zeit", die
jeweils vertikal in den historischen Zeilkausalismus einbricht,
entgegen. Gedanken, die Paul Schütz in seinem Werk „Par-
usia" vorgetragen hat, klingen hier noch einmal an. Gleich zum
Anfang sagt Paul Schütz: „Mit dem Begriff der Kontingenz
habe ich mich immer schwer getan" (13). Dem muß zur Sache
zugestimmt werden. Gerade aber hier dürfte die eigentliche
Problematik im Umgang mit diesem Begriff liegen, die zu
bedenken übrigbleibt.

Ilcrlin Otto A. Dilndinoirter

Aagaard, Anna Marie: The Holy Spirit in the World (StTh

28, 1974 S. 153-171).
Aymnns, Winfried: Die Sakramentnlität christlicher Ehe in

ekklesiologiseh-kanonistischer Sicht. (TThZ 83, 1974 S. 321

bis 338).

Back, II. W.: Denken und Entscheiden im kybernetischen Modell
. Eine kritische Stellungnahme zum Thema „Theologie
und Empirie (ZEH 18, 1974 S. 225-245).

Beinert, Wolfgang: Orthodoxie und Orthopraxis (Catfa 28,

1974 S. 257-270).

Beutler, Johannes: Biblische Glaubensbegründung heule

(Cath 28. 1974 S. 289-303)
Biaer, Eugen: Religiöse Grundverständigung. Uber Sinn und

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S. 16-30).

Blnndino, Giovanni S.l Die Geistigkeit dei menschlichen Person
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Bornkamm, Karin: Zur Geschichte des Wunderversländnissc*
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Bortuowska, llaliua: Der hermeneutische Prozeß bei def
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Theologische Litcraturzeilung 100. Jahrgang 1975 Nr.7