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Ausgabe:

1975

Spalte:

524-526

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Reformatorenbriefe 1975

Rezensent:

Koch, Ernst

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Theologische Lileraturzeitung 100. .Jahrgang 1975 Nr. 7

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KIRCH EN GESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

[Erasmus:] Collecled Works of Erasmus. Vol. 1: The Corrcs-
pondence of Erasmus, Leiters 1 to 141 (1484—1500).
Translated hy R.A.B. Mynors and D.F.S. Thompson, an-
notated by Wallacc K. Ferguson. Toronto and BulTalo: Uni-
versity of Toronto Press 1974, XXVIII, S. 368.
Was vor knapp 20 Jahren Luther zugestoßen ist, widerfährt
heute Erasmus: eine Ausgabe seiner gesammelten
Werke in englischer Übersetzung erschließt ihm den englischen
Sprachraum. Nun wird es auch ihm gegeben sein,
seine Gedanken noch weiter in die cnglischsprcchcndc Welt
hineinzutragen, er, der zu Lebzeiten so freundschaftliche Beziehungen
zu England unterhalten hat und dort so geschützt
war, daß manche seiner Schriften unmittelbar nach ihrem
Erscheinen schon ins Englische übertragen wurden.

Die jetzt ins Werk gesetzte Ausgabe der gesammelten Werke
des Erasmus in Englisch reflektiert ein im letzten Jahrzehnt
spürbar zunehmendes Interesse der angelsächsischen und
nordamerikanischen Welt an Erasmus.

Übersetzungen einzelner erasmischer Schriften sind in letzter
Zeit erschienen, sogar von Tcilsammlungen seiner Briefe.
Jetzt wird aber dem englischen Leser, der des Lateins unkundig
ist, das gesamte Briefkorpus des Erasmus zugänglich
gemacht, eine Arbeit, die verhältnismäßig leichtfällt, weil sie
sich auf die meisterhafte Briefausgabe P. S. Allen's stützen
kann. So haben sich die Herausgeber entschlossen, in engster
Anlehnung an Allen zu operieren und seiner Numerierung zu
folgen. In den seltenen Fällen, in denen Allen durch neu
aufgefundene Briefe ergänzt werden muß, ist eine Einschub-
Nummer gewählt worden. Im Blick auf eine interessierte,
aber eben doch nicht ausgesprochene Fachleserschaft sind die
Einführungen zu den einzelnen Briefen gekürzt und die
Anmerkungen auf allgemeine Informationen beschränkt worden
. Erasmus-Spezialisten werden bei detaillierteren Fragen
an die Alien-Ausgabe selbst verwiesen und müssen sich dort
informieren. Immerhin sind aber seil dem Erscheinen von
Allen's 1. Band (1906) bald 70 Jahre vergangen, in denen die
Erasmus-Forschung beträchtliche Fortschritte gemacht hat.
Indem die in Angriff genommene Übersetzung die neuere
Literatur berücksichtigt und auch Allen in manchem korrigiert
, kann sie mich dem auf den Originaltext rekurrierenden
Experten hilfreichen Dienst erweisen. Hier hätte man
gern eine stärkere Aufarbeitung der inzwischen erreichten Ergebnisse
durchgeführt gesehen.

Doch eine Übersetzung sollte nicht an ihrer Kommentierung
, sondern vornehmlich an der Fertigkeit gemessen werden
, die Gedanken so in das neue sprachliche Gewand zu
kleiden, daß sie dort ihren adäquaten Ausdruck finden. Da
sich eine solche Aufgabe nur annäherungsweise erfüllen läßt,
ist die beste Übersetzung immer noch vcrvollkommnungs-
bedürflig. Dabei steht der Erasmus-Übersetzer vor dem speziellen
Problem, den erasmischen Stil bewältigen zu müssen,
der sich gleichermaßen durch Lebhaftigkeit und Farbe der
Sprache und doch wiederum in ein schlichtes und treffend
prägnantes Latein gefaßt, auszeichnet. Soll man die Farbigkeit
der Sprache durch Paraphrasierung zu packen versuchen
oder möglichst nahe am Text bleiben auf die Gefahr hin.
spröde zu sein? Doch wie soll man schon corpusculum ins
Englische übertragen, ohne es mit „poor body" letztlich zu
umschreiben? Diesen Weg der Paraphrasierung haben die
Übersetzer offenbar generell bevorzugt, um ein gut lesbares
Englisch bieten zu können.

Eine Einleitung von W.K. Ferguson informiert über die
Editionsgeschichto der Erasmus-Korrespondenz. Sehr zu begrüßen
als eine wertvolle Hilfe ist das Glossar und der Anbang
von John II. Murno zur Münzenkunde der Erasmuszeit.
Angereichert wird der I.Band noch von einer Reihe sehiiner
Illustrationen. Das Format ist gut gewählt, die Schrifltype
angenehm zu lesen, auch die Anmerkungen sind in ein angemessenes
Verhältnis zum Text gesetzt. Die Ausgabe der
Collected Works of Erasmus (CWE) ist über die vollständige
Korrespondenz hinaus auf die Herausgabe der wichtigsten
Schriften des Erasmus in insgesamt 40—45 Bänden angelegt.
Die Unterstützung der Herausgeber durch einen repräsentativen
Stab international anerkannter Erasmus-Forscher als
Mitarbeiter und Berater läßt der weiteren Veröffentlichung
mit der Krwarlung einer treffenden Auswald und gediegener
Arbeit entgegensehen. CWE wird sich dabei auf die gerade
im Erscheinen begriffene kritische Amsterdamer Edition der
Opera Omnia stützen können, zumal CM, Bruehl von der
Niederländischen Akademie der Wissenschaften als Berater
gewonnen werden konnte.

Abgerundet werden soll diese englische Übersetzung mit
einem biographischen Register aller mit Krasmus in Verbindung
stehenden Personen. Auch nicht-cnglisch-sprachige
Erasmus-Inlercssenlen und -Forscher werden sich in Zukunft
zu ihrer Information gern der CWF bedienen.

Münster Friedhclm Krügor

Glocde, Günter: Reformatorenbriefe. Lutber-Zwingli-Calvin,
hrsg. unter Mitarb. v. H.-U. Delhis u. G. W. Locher, Berlin
: Evang. Vcrlagsanstalt u. Neukirchcn-Vluyn: Neukir-
chencr Verlag des Krzichungsvcreins [1973]. 432 S., 8 Taf.

8°.

Vielleicht gehört die Veröffentlichung von Briefen zu den
Wegen, die es einem größeren Kreis von Interessierten relativ
am leichtesten ermöglichen, sich der Vergangenheit unmittelbarer
zu nähern, als es die historische Darstellung erlaubt.
Dieses Angebot dürfte auch hinter der hier vorliegenden Auswahl
von Reformatorenbriefen in deutscher Sprache stehen.
Es handelt sich um 100 Briefe Luthers aus der Zeit zwischen
1507 und 1546, für deren Zusammenstellung H.-U. Delhis
verantwortlich zeichnet, um 50 Briefe Zwingiis aus der Zeit
zwischen 1515 und 1531, die G.W. Locher zusammengestellt
hat, und um 80 Briefe Calvins aus der Zeit zwischen 1533 und
1564, die G. Gloede ausgewühlt hat. Jeder der drei Abteilungen
ist eine knappe historische Einleitung vorangestellt, die über
Biographie, Bedeutung und theologische Schwerpunkte des
jeweiligen Reformators sowie über Intentionen und Probleme
der Briefauswahl Auskunft gibt. Der historischen Einleitung
ist ein Literaturverzeichnis in Auswahl angefügt. Jedem Brief
ist eine kurze Erläuterung beigegeben, die ihn u. U. in größere
Zusammenhänge einordnet. In die Brieftexte selbst sind
weitere Erklärungen eingeschoben. Neun vorzügliche Reproduktionen
von zeitgenössischen Bildern von den drei Reformatoren
und ihren Handschriften beschließen den Band.

Eine Briefauswahl wird in jedem Falle ihre Probleme haben
. Insofern ist zu frogen, ob es sinnvoll ist, wenn der Herausgeber
in der Gesamteinführung sagt, der Sammelhand sei
„biographisch angelegt" (S. 10). Erkennbar ist, daß die Briefe
thematisch nicht begrenzt und chronologisch geordnet ausgewählt
sind und Einblick sowohl in die Persönlichkeit ihres
Autors wie auch in die ihm eigene Verarbeitung theologischer
Fragen und in die Einflußnahme auf Zeitprobleme gestatten.
Die Schwergewichte hierbei sind unterschiedlich verteilt. Das
zeigt sich schon bei einem Vergleich des Verhältnisses zwischen
der Gesamtzahl der erhaltenen und der hier vorgelegten
Briefe (von Zwingli beispielsweise sind etwa 320, von Calvin
etwa 1200 Briefe erhalten). So ist es nur versländlich, wenn
H.-U. Delhis meint, das Bild Luthers aus 100 Briefen zeichnen
zu wollen, sei „ein vermessenes Unternehmen" (S. 18)<
In der Tat: mancher wird manchen ihm wichtig erscheinenden
Brief Luthers vermissen, etwa den berühmten Rrief an Georg
Spenlein vom 8.4. 1516. Unter biographischem Gesichtspunkt
ist letztlich doch zu bedauern auch das Fehlen von Zwingt"
Brief an l'tinger vom 5.12.1518 (Verweise, wo er zu linden
ist. stehen auf S. 186).

Auffallend sind aber auch einige Unterschiede in den wissenschaftlichen
Beigaben, die die Briefe erschließen helfen
und auf die Erforschung von Person und Theologie ihrer Ver-