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Ausgabe:

1975

Spalte:

508-509

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmitt, Armin

Titel/Untertitel:

Entrückung, Aufnahme, Himmelfahrt 1975

Rezensent:

Conrad, Joachim

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Theologische Litcraturzeilung 100. Jahrgang 1975 Nr. 7

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dem seit dunkel gepflegten Vorurteil sieht Kühlewein in allen
Texten, die seine reinen Formen in anderer Zusammensetzung
aufweisen, spätere Mischgebilde (Kap. 2). Eine Betrachtung
der in den Psalmen verwendeten Geschichtsmotive
ergibt, daß Berichte von Einzelereignissen später zu „Ge-
schichlsreihen" (ein unglückliches Wort) verbunden worden
sind (Kap. 3).

Eine ausführliche Bewertung der recht verschlungenen Gedankengänge
Kühleweins ist hier nicht möglich. Ich möchte
aber zusammenfassend behaupten: Das formgeschichtliche Be-
griffsinstrumentnrium erweist sich vielfach als unzureichend.
Es ist unscharf und stiftet Verwirrung. Eine Hauptursaehe
dafür: Der Vf. möchte grammatische, stilistische, strukturelle,
gattungsgeschichtliche, theologische, homiletische und wer
weiß wie viele andere Gesichtspunkte zugleich berücksichtigen.
Die Wörter, die das alles ausdrücken sollen, wirken gekünstelt
und vermitteln breiige Vorstellungen. Beispiele: „Geschichte"
zerfällt nach Kühlcwein in das „eben Geschehene und jüngst
Erlebte" und das „Frühere und längst Vergangene" (S. 19).
Hinzu muß man noch die Gegenwart rechnen, die z. B. in der
„klagenden Schilderung" (S. 34) beschworen wird. Diese drei
Zeitstufen sollen je verschiedene Bedeformen hervorbringen.
Die im ganzen Buch feststellbare Unsicherheit darüber, welche
Art von „Geschichte" denn in einem gegebenen Psalm gemeint
sei, beweist aber: Mit geschichtsphilosophischen Spekulationen
lassen sich l'salmengaltungen nicht erfassen. Es
kommt vielmehr darauf an, die gesellschaftliche Verwurzelung
und Funktion eines Liedes oder Gebeies zu bestimmen. Die
bei Kühlewein durchaus vorhandenen Ansätze in dieser Richtung
bleiben leider schwach. — „Reden von Geschichte", ein
Lieblingsausdruck des Verfassers. Meint er wirklich, daß in
den Texten jemand frei spricht? Fr behandelt doch konven-
tionierte, rituelle, literarische Hinweise auf die Vergangenheit,
die ihrerseits wohl schon lange normiert waren, bevor ein
Psalmendichter sich des Stoffes annahm. (Der heiße Atem
der Geschichte wird — das muß man aus Kühleweins eigenen
Ausführungen S. 19—33 folgern — nur in den allergrößten
Ausnahmefällen zu spüren sein.) Dieses ominöse „Reden" von
einer nebulosen „Geschichte" hat sechs Haupt- und viele Nebenformen
(s. o.) angenommen, es bildet jeweils „eine ganz
feste Struktur'' (S. 61) ja, gegen die eigene Intention des Verfassers
, die funktionale Abhängigkeit der Geschichtsaussagen
in den Psalmen zu betonen (vgl. S. 68!), „eine festgeprägte
Form'' . . . „mit einem festen ,Sitz im Leben'" (S. 44).

Dem Formgeschichtier verschlägt es den Alem, und er fragt
sich, welche Kriterien die eigenständige Redeform, die zu
Gattungsehren aufgestiegen ist. ausmachen lassen. Nun, häufig
sind es grammatikalische Bestimmungen: Sie kommen daher
wie Gestalten aus Tausendundeiner Nacht. Das grammalische
Subjekt: Da wird „der Bericht durch andere Subjekt«' bereichert
. Aber all diese Subjekte schaffen nicht selbständig Heil
oder Unheil; Jahwe wirkt beides" (S. 79). Da wird die Aussage
„durch andere Subjekte erweitert... Es geht also nicht
mehr nur um d i e vom Unglück Betroffenen . . ., sondern
daneben um all das dabei Betroffene" (S. 42). Die Formulierung
in der 3. Person kann das überragende Indiz zur
Spätdaticrung einer Bedeform werden (S. 37), die syntaktische
Unabhängigkeit eines Texlstückes zu einem Haupt-
unterschied avancieren (S. 58f). Nicht, als ob solche Beobachtungen
unnötig wären: Sie dürfen nur nicht die Hauptsache
sein. Die Dreiteilung der Klage nach „Subjekten" (S. 33—44)
z.B. mag grammatisch und inhaltlich interessant sein; sie ist
formgeschichllich unbrauchbar, weil die „Wir-Klage" eine
völlig andere Funktion hat als die „Jahwe-" und die „Feind-
klage" (so ganz richtig Kühlewein S. 4lf; Irolzdem konstatiert
er S. 44: „...hat sich die von C. Wcstermnnn gefundene
grundsätzliche Dreigliederung der Klage ... bestätigt"). Zu
den grammatischen Merkmalen treten allerlei Situations- und
Funktionsbcslimmungen (vgl. S. 62: „5. Die Situation ist die
der Not. 6. Funktion ist, vor Jahwe den Kontrast zur jetzigen
Not aufzuzeigen und ihn zum Eingreifen zu bewegen"), so
daß sich manche Ansammlung von „Strukturelementen" oder
„Charakteristika" (Kühlewein gebraucht beide Begriffe anscheinend
gleichbedeutend, vgl. S. 20f; 30; 34f; 60) recht
merkwürdig ausnimmt.

Essen Erhard Gcratenbcrger

Schmitt, Armin: Entrückung — Aufnahme —■ Himmelfahrt,

Untersuchungen zu einem Vorstcllungsbereich im Alten Testament
. Stuttgart: Kath. Bibelwcrk [1973]. XIV, 378 S.
gr. 8° = Forschung zur Bibel, hrsg. v. R. Schnackenburg,
J.Schreiner, 10. DM 32,-.

In der vorliegenden Arbeit, die der Kath. Theol. Fakultät
Würzburg im Wintersemester 1971/72 als Habilitationsschrift
vorgelegen hat, unternimmt es der Vf., das einschlägige Material
des Alten Testaments in umfassender Weise darzustellen
. Dabei geht es ihm naturgemäß vor allem um die Frage,
in welchem Grade die altteslamcntlichen Aussagen von alt-
orientalischen Vorstellungen abhängig sind, wieweit sie eine
selbständige Auseinandersetzung mit diesen bezeugen und
welche Differenzierungen innerhalb des Alten Testaments
selbst vorgenommen werden müssen. Der Vf. beschränkt sich
auf den Septuagintnkanon des Alten Testaments, das pseud-
epigraphische Schrifttum bleibt außer Betracht.

In der Einleitung (S.2f.) definiert er die drei den Titel seines
Buches ausmachenden Begriffe. Unter Entrürkung versteht er
auf Grund des nltorienlalischen Schrifttums nicht nur einen
irreversiblen, den Tod ausschließenden Übergang von Menschen
in die überirdische Well, sondern auch temporäre Ereignisse
, die Menschen vorübergehend in den Himmel, die Unterwelt
oder an einen anderen irdischen Ort führen. Im Unterschied
dazu bedeutet „Aufnahme" den Übergang in die göttliche
Welt nach vorangegangenem Tod. Dieser letztere Begriff
wird freilich im weiteren Verlauf der Arbeit wenig benutzt
und nicht genügend klar von dem der Entrückung abgehoben.
Der Begriff Himmelfahrt schließlich bleibt dem Aufstieg von
Göttern und göttlichen Wesen vorbehalten. Im ersten Teil
(8. 4—45) behandelt der Vf. zunächst das inesopotamisclie
und im Anschluß daran das weniger ergiebige ägyptische Material
. Für das letztere ist bemerkenswert, daß sich die Vorstellung
von einer irreversiblen Kntrückung nicht nachweisen
läßt, sondern nur die Himmelfahrt des verstorbenen und nun
als Sohn des Be aufsteigenden Pharao.

Der zweite Teil (S. 46—343) ist dem Alten Testament gewidmet
. Den größten Baum (S. 47—309) nehmen hier die
Zeugnisse für eine irreversible Entrückung bzw. Aufnahme
ein: Elia (2 Kön 2,1-15.16-18; Sir 48,9.12; 1 Makk 2,58),
Henoch (Gen 5,21-24; Sir 44,16; 49,14; Weish 4,7-20),
Ps 49,16 und Ps 73,24. Der Vf. bietet jeweils eine ausführliche
Exegese der Textslellen sowie ihres Kontextes und untersucht
dabei vor allem die für sein Thema wichtigen geprägten Wendungen
und Termini, zu deren Erklärung er entsprechendes
Material aus dem Masoretischen Text bzw. der Septuaginta
sowie aus dem altoricntalischcn Schrifttum heranzieht. Als
wichtigste Ergebnisse seien folgende genannt: In 2 Kön 2,1
bis 15 wird der Tod Elias umschrieben, jedoch zugleich die
altorientalische Vorstellung von der Entrückung besonders
ausgezeichneter Menschen aufgenommen, um zum Ausdruck
zu bringen, daß Flia nicht in die Scileol hinabsteigen mußte,
sondern mit Jahwe weiterhin eng verbunden blieb. In ähnlicher
Weise bezeugen die beiden nachexilisclicii Psalmen 49
und 73 den dlauben, daß der Fromme zwar sterben muß,
aber nicht der Scheol preisgegeben ist, sondern unmittelbar
bei Gott weiterleben wird. In der priesterschriftlichen Darstellung
von Henoch wird nichts über dessen Tod ausgesagt. Der
Verfasser dieses Werkes übernimmt vielmehr eine Tradition,
die Henochs rätselhaftes und spurloses Verschwinden beinhaltete
(Gen 5,24bot), und deutet sie als Hin wegnähme durch
Gott (Gen 5,24bß). Mit dieser Deutung greift er, wenn auch in
großer Verhaltenheil, auf ein verbreitetes altorientalisches Motiv
zurück, um deutlich zu machen, daß die der Menschheit
von Gott verliehene Scgcnskrafl auch nach Adam noch weilerwirkt
.

In zwei kürzeren Abschnitten des zweiten Teils behandelt