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Ausgabe:

1975

Spalte:

471-474

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stollberg, Dietrich

Titel/Untertitel:

Nach der Trennung 1975

Rezensent:

Schulz, Hansjürgen

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nicht aber um eine Verkündigungsaussage kreisen.
Ausführlich behandeln die Vf. die Radikalisierung und
Umformung der Verfremdung durch Antitexte. Die
Methode bosteht darin, daß ein Text geboten wird, der
biblische Aussagen in ihr Gegenteil umkehrt. Das gilt
nicht nur für Details, die umgeformt werden sollen,
damit die Hauptausaago besser beleuchtet wird, sondern
das soll auch für den Skopus des Textes gelten: „Der
Kernsatz wird so umformuliert, daß er genau das gegenteilige
Verhalten oder die gegenteilige Auffassung
aussagt" (S. 64). Die Vf. nehmen in Kauf, daß ihre
Kreativität Verkündigungsinhalte schafft, die im
Widerspruch zur biblischen Botschaft stehen. Sie sind
auch unbekümmert darum, ob ihre Predigt tatsächlich
gemoindegemäß ist und wie sie in Wirklichkeit bei den
Hörern ankommt. An einer Stelle (S. 71) ist sogar
ganz offen von „Publikumsbeschimpfung" die Rede.

Das Buch will nicht nur über Kreativität informie-
n n, es will auch Wege zur Anreicherung an schöpferischen
Ideen zeigen. Als ein Weg zu diesem Ziel werden
Ideenkonferenzen empfohlen. Man könnte sie mit
l'iedigtvorgespräohon in Gemeindekreisen vergleichen,
doch sind die Gesprächsstoffe andere. Für Ideenkonferenzen
gelten folgende Spielregeln: 1. Mit den
(ledanken frei spielen. 2. Möglichst viele Ideen sammeln.
3. Sich durch die Ideen der anderen zu neuen Ideen
anregen lassen. 4. Negative Kritik ist verboten. Sie
findet erst spater statt (S. 97 f.). Besonders im letzten
Kapitel des Buches geben die Vf. eine Fülle von Anregungen
, wie man nach ihrer Meinung kreativ werden
kann. Ein Forschungsweg, durch den die einzelnen
Rezepte ausgewiesen wären, ist aber nicht erkennbar.
Einige Aussagen haben die Form von Antworten
und Stellungnahmen bei Befragungen, aber
der Leser erfährt nicht, für welche Personenkreise die
Aussagen repräsentativ sind. Häufig haben die Behauptungen
den Charakter von Aphorismen, deren
Richtigkeit wissenschaftlich nicht überprüfbar ist. Die
Vf. legen ihre Thesen vor, doch ist ein logischer Erkenntnisweg
, aus dem sich die Thesen ergeben, nicht
erkennbar und wohl auch nicht beabsichtigt. Auf die
Frage, wodurch das schöpferische Denken blockiert
wird, antworten die Vf. mit einer Aufzählung von
Faktoren, darunter auch: „Überbewertung von Logik
und Kritik" (S. 99). An einer anderen Stelle (S. 33)
wird die „Freude am Unsinn" sogar als einer der
kreativitätsfördernden Faktoren genannt. Die Freude
an eigener und an fremder Schöpfung hat dazu geführt,
Einfälle aufzunehmen, die das Buch selbst (S. 83)
zutreffend als „Kreativitätsmüll" bezeichnet. Es fehlt
die theologische Bewältigung des Materials, nämlich
eine Überprüfung, welche Funktion die einzelnen
Einfälle in der christlichen Verkündigung und im
gottesdienstlichen Geschehen haben.

Halle/Saale Ernst Lerle

Stollberg, Dietrich: Nach der Trennung. Erwägungen für
Geschiedene, Entlobte, Getrennte und —- Verheiratete.
München: Kaiser; Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag
[1974]. 96 S. kl. 8° = Beratungsreihe, hrsg. v. R. Kiess
u. H. Stenger, 1. DM 7,80.
Mit diesem Bändehen liegt der erste Beitrag einer
„Beratungsreihe" vor. Richard Riess und Hermann
Stenger, die Herausgeber, erläutern in einer kurzen
Einleitung den Sinn dieser ökumenischen Reihe: Sie
soll Menschen in Konflikt- und Krisensituationen
helfen. „Sie kann eine persönliche Beratung oder
Behandlung nicht ersetzen, wohl aber dazu helfen,
Konflikte bewußter zu sehen und Lösungen zu finden."

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Der Autor D. Stollberg betont im Vorwort die
Schwierigkeiten, die der Auftrag zu dieser Arbeit ihm
gemacht habe: Statt Zuhörens und Gesprächs gedruckter
Monolog, statt konkreter Wirklichkeit des
Lesers Gefahr der Allgemeinplätze. Der Vf. versucht
diesen Schwierigkeiten entgegenzutreten, indem er die
Mitarbeit des Lesers expressis verbis provoziert —
durch Aufforderungen und Fragenkatalogo im Text
(S. 12, 17 f., 19, 21, 38, 46, 49, 55, 68 f., 77), aber auch
durch den regelmäßigen Hinweis auf unmittelbare
Gesprächs-, Beratungs- oder Behandlungsmöglichkeiten.
So schließt die Arbeit konsequent mit einer Adressenliste
der Dachorganisationen in der BRD für Boratungsund
Behandlungsstellen (S. 94).

In zehn kurzen Kapiteln werden Erwägungen für
die Situation „nach der Trennung" angeboten. Trennung
meint hier — ohne juristische Verengung — „den
Vorgang, den Menschen erloben, die voneinander
unter ganz verschiedenen Umständen Abschied nehmen
" (9).

I. „Schlimmer als der Tod" : Verschiedene Menschen
erleben Gemeinschaft und Trennung verschieden
(12—18). Verschiedenheit der Standpunkte wird als
selbstverständliche Voraussetzung von Partnerschaft
dargestellt —■ gegen Harmonie als Eheideal. Die
Aufgabe, „daß die Partner ihren inneren wie Äußeren
Abstand voneinander ständig neu bestimmen" (15),
hat bei sich Trennenden offenbar nicht gelöst werden
können.

II. Hier und heute: Meine jetzige Lage (19—27).
Aus der Ambivalenz der mit der Trennung gegebenen
neuen Situation und der sie bestimmenden Gefühle ist
eine erste wichtige, wenn auch schmerzliche Konsequenz
zu ziehen: „Vergangenes sollte nicht vergessen werden."
Nur aufgearbeitete Vergangenheit macht frei für
bessere Zukunft. Sonst folgen kurzschlüssige Handlungen
aus Schuldgefühlen, Ärger, Illusionen oder Projektionen
. Die äußere Scheidung muß noch nicht die
innere Trennung bewirken. „Ein Rechtsspruch ist
keine Zauberformel" (26). Die Aufgabe besteht in der
inneren Trennung von den falschen Erwartungen.
Isolationsgefühle erschweren ihre Lösung.

III. Wer hat schuld ? (28—36). Diese angstauslösende
Frage stellt Stollberg als Irreführung dar:
„Die Schuldfrage ist nie individuell zu beantworten,
sie ist auch nicht einfach kollektiv zu lösen, sondern
sie ist aus vielen verschiedenen Bausteinen zusammengesetzt
" (29). Unschuldsbedürfnis wie Selbstvorwürfe
verzerren fast stets die Wirklichkeit. Gespräch mit
Freunden oder Beratern soll nun die Wahrheit finden
helfen.

IV. Der „böse Dritte" (37—42) erscheint in den
Erwägungen dieses Kapitels mit fünf verschiedenen
Gesichtern: als der eigentlich Schuldige (und damit als
das Alibi für die Fehler der Ehepartner); als das Idealbild
wahrer Liebe im Kontrast zum Ehetrott; als der
Durchbrecher sexualfeindlicher Moral in illegaler und
darum erst schöner Lust; als Druckposten gegenüber
dem gleichgültigen Partner; schließlich als nächster
legalisierter Partner, mit dem sich die Konflikte der
vorherigen Ehe wiederholen.

V. Was erwarte ich von der Ehe? (43—51) Die
„mißlungene" Ehe führt in die Gefahren der Wiederholung
und der Resignation. Nüchtern erläutert der
Vf. die Ehe als „Interaktionsfeld zweier Bedürfnissysteme
": „Daß eine zwischenmenschliche Beziehung
nur Befriedigung verschafft, ist eine Illusion. Jede
produktive Beziehung beruht auf Kompromissen..."
(45). Darum steht die kritische Sichtung der bisherigen
Ideale, der eigenen Möglichkeiten und der Situation an.

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 6