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Ausgabe:

1975

Spalte:

468-470

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wagner, Heinz

Titel/Untertitel:

Annahme einer Nachricht 1975

Rezensent:

Hertzsch, Klaus-Peter

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festgelegten Theologie eino gleichsam zwanghafte Haltung
des „totalen Widerspruchs" gegenüber dor eigenon
Zeit (28) unterstellt. Hier scheint Vf. sich weniger
durch Quellenkenntnis als durch das Schema einer
notwendigen Interdependenz von „kirchlicher", „dogmatischer
" Theologie und politisch reaktionärer bzw.
restaurativer Haltung leiten zu lassen. Daß in dieses
Schema so bedeutende Theologen wie der Erlangor
J. Chr. K. v. Hofmann im 19. und K. Barth im 20.
Jahrhundert nicht passen, mußte offenbar unberücksichtigt
bleiben, um der Notwendigkeit, die das ganze
Buch bestimmende Argumentationsebene zu hinterfragen
, zu entgehen.

So hinterläßt das Buch einen zwiespältigen Eindruck
. So berechtigt und notwendig es ist, die Arboit
der Aufklärungstheologio zu vergegenwärtigen und zu
würdigen und so sehr deren Impetus zu beherzigen ist,
jede Form der Gettoisierung von Kirche und Theologie
zu überwinden, so wenig vermag doch das in diesem
Buch vertretene Programm zu überzeugen. Mit der
ausschließlichen Thematisierung des „neuzeitlichen
Christentums" würde die Theologie der Gegenwart
die von ihr zu vertretende Sache in derselben Richtung
verfehlen, wie dies mit der — zu Recht kritisierten —
Thematisiorung von „Kirche" im 19. Jahrhundert geschehen
war.

Berlin Rudolf Mau

Weber, Max: Die protestantische Ethik. I: Eine Aufaatz-
sammlung. 3., durchges. u. orwoit. Aufl. 376 S. II:
Kritikon und Antikritiken. 2., durchges. u. erwoit. Aufl.
405 S. Hrsg. v. J. Winckelmann. Hamburg: Sioben-
stern Taschonbuch Verlag (Lizonzausgabo des Verlages
J. C. B. Mohr, Tübingen) [1972/73]. 8° = Siebenstern-
-Taschenbuch 53/54 u. 119/120.

Die berühmten Aufsätze von Max Weber über die
protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus
haben seit Jahrzehnten die wissenschaftliche Öffentlichkeit
bewegt. Die vorliegende Taschenbuchausgabo hat
sie zu rechter Zeit für Seminar und Selbststudium
leicht und billig zugänglich gemacht. Das besondere
Verdienst dieser Ausgabe ist darüber hinaus, neben
den in den „Gesammelton Aufsätzen zur Religionssoziologie
", Tübingen 1920, in der letzten Fassung
gedruckten Aufsätzen zweierlei zu dokumentieren:
Im zweiten Band liegt die frühe kritische Diskussion
der Jahre 1907—1910 wieder vor, die Max Wober
Gelegenheit zu seinen (bisher in Zeitschriften schwer
zugänglichen) wichtigen und präzisierenden Antikritiken
gaben. Ferner enthält dieser Band zwei Aufsätze
, deren einer (von E. Fischoff) die Geschichte der
Kontroverse um die Weber-These nachzeichnet, während
der andere (von R. Bendix) zeigt, wie wenig neu
Webers These war (so wenig wie Weber weist aber
Bendix hin auf die These von Marx, der sich wie
Weber auf Beobachtungen von W. Petty stützte: „Der
Schatzbildner ist übrigens, soweit sein Asketismus mit
tatkräftiger Arbeitsamkeit verbunden ist, von Religion
wesentlich Protestant und noch mehr Puritaner"; Zur
Kritik der politischen Ökonomie 1859). Der erste
Band versammelt neben den Aufsätzen Webers Parallelstellen
aus anderen Werken. Die Zahl dieser Parallelen
ist in der vorliegenden dritten Auflage noch einmal
vermehrt worden. Walter Sprondel, der an der Ausgabe
beteiligt war, hat inzwischen zusammen mit Constans
Seyfarth vorgelegt: „Seminar: Religion und gesellschaftliche
Entwicklung. Studien zur Protestantismus-
Kapitalismus-These Max Webers", suhrkamp taschen-
buch Wissenschaft 38, Frankfurt am Main 1973. Wie
diese Dokumentation vor allem aus der englisch- und
französischsprachigen Diskussion enthält auch Shmuel

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Noah Eisenstadts Bericht und Programm „Die protestantische
Ethik und dor Geist des Kapitalismus",
Opladen 1971, eino systematisch geordnete Bibliographie
. Insgesamt sind damit die Voraussetzungen
gegeben, daß die Max-Weber-Theso als Teil- oder
Grundfrago des Zusammenhangs von Protestantismus
und moderner Welt nicht nur von Religionssoziologen,
sondern auch von Sozialethikern, Kirchengeschichtlern
und systematischen Theologen, in Wiederaufnahme
früheren Interesses (Troeltsch, Holl), erneut zum
Gegenstand der Forschung gemacht wird; denn ist sie,
wie Martin Schmidt meint, „heuto widerlegt" (RGG3
V 724) ?

Marburg (Lahn) Theodor Mahlmann

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Wagner, lloinz: Annahme einer Nachricht. Predigten im
Rundfunk. Berlin: Evang. Vorlagsanstalt [1973]. 307 S.
8°. Lw. M. 8.30.
Gedruckte Predigten sind wie gepreßte Blätter:
Man muß sie aus lebendiger Wirklichkeit kennen, um
sie auch in dioser Gestalt schätzen zu können. Der
gedruckten Predigt fehlt die gemeinsam erlebte Woche,
fehlt die Gemeinschaft des Gottesdienstes, fehlt die
persönlich geprägto Art, in der dor Rodende vor seiner
Gemeindo steht; das alles muß man bei der Lektüre
hinzudenken, wenn man das hier Gedruckte als Predigt
verstehen will. Predigton im Rundfunk scheinen da
eine Ausnahme zu machen. Sie scheinen sich für eine
Buch-Form eher anzubieten, und so hat die Evangelische
Verlagsanstalt in den letzten Jahren viele Rundfunkpredigten
nachgedruckt — von Heinz Wagner
ebenso wie von Gerhard Bassarak —. Denn auch der
Rundfunkprodigt fehlt, was oben genannt wurde:
Sie wird normalerweise vom einzelnen gohört, und der
Prediger ist unsichtbar, wie er selber auch seine Hörer
nicht vor sich hat, wenn er in der Studio-Kabine seine
Predigt spricht. Der genaue Wortlaut einer solchen
Predigt ist stronger fixiert, während sonst ja dio meisten
Prediger erst, wenn sie ihre Gemeinde vor Augen haben,
den vorbereiteten Gedanken die endgültige, dieser
Stunde vorpflichtete Formulierung geben.

Heinz Wagners neuem Band Rundfunkpredigten
ist diese Besonderheit natürlich sofort anzumerken:
Das sind nicht freie, im Augenblick entstandene Formulierungen
, das sind ausgewogene, sorgfältig durchformulierte
Texte, die sich an einen breiten Hörerkreis
und also auch an eine Leserschaft wenden können.
In gewisser Hinsicht sind es homiletische Auslegungen,
„wie sie im Buche stehen". Sie benutzen weithin die
Möglichkeiten, dio die klassische Homiletik anbietet,
sie sind nicht extravagant, sondern regelrecht, sind
Predigten lege artis. Häufig bietet Heinz Wagner
Homilien, geht also in der Predigt dem Wortlaut des
Textes Schritt für Schritt nach; Einzelzüge werden
ausgedeutet, biblische Geschichten nachgezeichnet,
Begriffe wie „Kraft", „Erkenntnis", „Glaube" werden
gefüllt. So bekommen diese Predigten etwas — jedenfalls
für Christen — Allgemeinverständliches, Allgemeingültiges
, Allgemeinverbindliches, das dieser Form
der Rundfunk- und Lesepredigt wohl ansteht, das
aber natürlich mit einem Stück Unmittelbarkeit und
Situationsspezifik erkauft werden muß. Wagner gibt
seinen Predigten oft ein Thema, das er der Gemeindo
ausdrücklich mitteilt; er gliedert sorgfältig und macht
diese Gliederung deutlich, indem er Kornsätze hörgerecht
heraushebt oder Überschriften nennt: Thema
„Lob der Jüngerschaft". Teile „Jüngerschaft ist eine

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 6