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Ausgabe:

1975

Spalte:

301-304

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Haes, René de

Titel/Untertitel:

Pour une théologie du prophétique 1975

Rezensent:

Hübner, Siegfried

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301

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 4

302

dt. 1911; neuerdings: A. M. Kl. Müller/W. Pannenberg:
Erwägungen zu einer Theologie der Natur, 1970.)

Druckfehler: S. 18, Z. 18 v. o.: pantheistisch statt pa-
theistisch, S. 151, Z. 8 v. u.: einer statt einem.

Berlin Hans-Hlnrich Jenssen

Haes, Rene de, S. J.: Pour une theologie du prophetique.

Lecture thematique de la theologie de Karl Rahner.
Louvain: fid. Nauwelaerts; Paris: Beatrice-Nauwe-
laerts 1972. XV, 280 S. gr. 8° = Recherches Africaines
de Theologie, Travaux de la Facultö de Theologie de
Kinshasa, 4. bfr. 765.—.

Da Karl Rahner selbst eine Zusammenfassung seiner
Theologie noch nicht vorgelegt hat und es bis zu seinen
jüngsten Äußerungen — z. B. in einem Interview anläßlich
seines 70. Geburtstags (Herder-Korrespondenz 28,
1974, 77—92) — ausdrücklich anderen überläßt, „seine"
Theologie als solche zu begreifen und in ihrem Ertrag zu
beurteilen, stößt jeder Versuch, einen Zugang zum Ganzen
dieser Theologie zu erschließen, auf besonderes Interesse
. Der Verfasser des hier vorzustellenden Buchs
— Lehrbeauftragter an der Theologischen Fakultät zu
Kinshasa — hat sich eine solche comprehension et assimi-
lation thematique d'une theologie extremement dense et
variee (VII) zur Aufgabe gemacht. Ausgangspunkt und
Zielsetzung dieses Bemühens ist dabei von der „Stunde
der Wahrheit" bestimmt, die für die Kirche heute schlägt.
Angestoßen von den Bewegungen, die seit dem II. Vatikanischen
Konzil in der katholischen Kirche vor sich gehen
und ihr Leben und Glaubensbewußtsein erschüttern
, wendet er sich dem Phänomen des elan prophetique
zu, um jene wesentliche Dimension der Kirche zu erfassen
, von der er den Schlüssel zur Lösung der bedrängenden
Gegenwartsprobleme erwartet: für die Unterscheidung
der Geister, die Bestimmung des Verhältnisses zwischen
Kirche und Welt, vor allem aber für die Vergegenwärtigung
der christlichen Botschaft für den Menschen
unserer Zeit. Bei dem Versuch, Elemente „pour une theologie
du prophetique" zu sammeln, beschränkt er sich auf
eine sorgfältige Durchsicht des Werkes von Rahner, soweit
es bis 1968 vorlag. Von dort aus wird auf religionsgeschichtliche
, exegetische oder philosophische Erkenntnisse
verwiesen, welche die Gedankengänge Rahners
stützen.

Das Prophetische wird zunächst in einem ersten Teil
(3—184) als religionsphänomenologische Kategorie vorgestellt
und auf dem Wege einer „beschreibenden Analyse
" in heilsgeschichtlicher Perspektive über die wichtigsten
Stufen seiner Verwirklichung (Altes Testament,
Jesus Christus, Neues Testament, Kirche) verfolgt. Der
zweite Teil (187—268) geht den philosophischen und theologischen
Voraussetzungen nach, welche die beschriebene
Konzeption impliziert, und versucht, diese systematisch
darzustellen.

„Prophetentum ist" nach Rahner „der (wirkliche
oder vermeintliche) Ort einer Selbstoffenbarung Gottes,
also einer neuen Beziehung zwischen Gott und Mensch,
die von Gott selbst her gestiftet wird" (5). Diese Definition
wird aber gesagt im Rahmen jenes Verständnisses
von Offenbarung, das Rahner in seinen „Bemerkungen
zum Begriff der Offenbarung" (in: Offenbarung und Überlieferung
Freiburg 1965; vgl. die Rez. von H. Beintker,
ThLZ 91, 1966, 541-544) vorgetragen hat. Danach steht
die im Prophetentum sich ereignende Offenbarungsgeschichte
in einer wesentlichen und unlösbaren Beziehung
zu der vergebenden und begnadigenden Selbstmitteilung
Gottes, die — bei radikaler Ernstnahme der katholischen
Lehre vom allgemeinen Heilswillen Gottes, von einer
streng „übernatürlichen", „erhebenden" Gnade sowie
über das Verhältnis von Heil, Glauben und Gnade untereinander
— wenigstens im Modus des Angebots bei jedem
Menschen vorausgesetzt werden kann. Sie ist von
daher zu bestimmen als „die historische und kategoriale
Selbstauslegung oder genauer als die Geschichte der
transzendentalen Beziehung zwischen Gott und Mensch,
wie sie in der Selbstmitteilung Gottes an jedes geistige
Wesen gegeben ist" (211). Die transzendentale Selbstgabe
Gottes bringt zwar für den Menschen eine transzendentale
Erfahrung der vergebenden Nähe des absoluten
Gottes mit sich. Diese aber bedarf zu ihrer Aussage notwendig
und immer der vermittelnden Objektivation im
Historisch-Kategorialen. Aus der Einsicht in die Einheit
und das gegenseitige Bedingungsverhältnis dieser beiden
Momente ergibt sich die Möglichkeit, in der prophetischen
Offenbarungsgeschichte ursprünglich zu unterscheiden,
was als von Gott geoffenbart bzw. was als dessen Vermittlung
anzusehen ist.

Von dieser theologischen Voraussetzung her erweist
sich das prophetische Element als etwas, mit dem auch in
der vor- und nichtchristlichen Welt zu rechnen ist, das im
Alten Bund durch die von Gott selbst garantierte authentische
Interpretation der transzendentalen Grunderfahrung
des Menschen die Heils- und Offenbarungsgeschichte
beginnen läßt, die in Jesus Christus, dem Propheten
schlechthin, ihren eschatologischen Höhepunkt erreicht,
in dem durch die freie geschichtliche Tat Gottes selbst
eine Realität geschaffen wird, die für immer in der Welt
anwesend bleibt.

Einen Schwerpunkt bildet das — schon durch seine
Länge (115—184) betonte — den ersten Teil abschließende
Kapitel „Der christliche Prophetismus in der Zeit der
Kirche". Es rückt die charismatische Dimension der Kirche
in den Blick, die Rahner vor, während und nach dem
II. Vatikanum von den verschiedensten Seiten beleuchtet
hat und die auch in der Konstitution des Konzils über die
Kirche wieder stärker als in früheren Lehraussagen zur
Geltung kommt. Hier wird die Kirche von Jesus her als
die Fortsetzung seiner prophetischen Mission gesehen.
Der Geist hat deshalb in ihr absoluten Vorrang. Er geht
in einem gewissen Sinn der Kirche immer voraus, auch
dem kirchlichen Amt und seinen entscheidenden Funktionen
, die aus diesem Grund unter juristischen und moralischen
Kategorien nicht adäquat erfaßt werden können
. Das zeigt sich vor allem in dem weiten Bereich der
nichtinstitutionellen Charismen, der nicht auf besonders
Erwählte oder gar auf mirakulöse Phänomene beschränkt
, sondern mit der ganzen Gemeinschaft der
Glaubenden identisch ist. An dieser Stelle werden ausführlich
die Überlegungen Rahners zu „Visionen und
Prophezeiungen" (Freiburg 1958) referiert (147—168), in
denen er eine psychologisch-theologische Analyse dieser
Phänomene geboten und sie in ihre größeren Zusammenhänge
eingeordnet hat. Das Kapitel schließt mit der
Reflexion über „die prophetische Rolle der Kirche in der
menschlichen Gesellschaft".

Im zweiten Teil hebt der Vf. vom Begriff des Prophetischen
aus den fundamentaltheologischen Aspekt der
Theologie Rahners hervor, und zwar in dem Sinn, in
dem Rahner selbst die Forderung nach einer neuen rationalen
Begründung des Glaubens erhoben hat (Über die
theoretische Ausbildung künftiger Priester heute, in:
Schriften zur Theologie VI, Einsiedeln 1965, 139-167).
Dabei geht es, in bewußter Überschreitung der „extrin-
sezistischen" Zielsetzung und Methode der traditionellen
katholischen Fundamentaltheologie, darum, den Inhalt
des christlichen Glaubens im Ganzen und in seinen einzelnen
Aussagen mit dem Selbstverständnis des heutigen
Menschen zu konfrontieren, wobei der Glaube als die
eine, radikal einfache und zugleich alles umfassende
Antwort auf die eine und totale Frage aufzuweisen ist,
die der Mensch als endliches geistiges Wesen ist, und dabei
auch der Inhalt der Offenbarung und ihre Geschichte
nochmals als wirkliche und einsehbare Einheit erscheint.