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Ausgabe:

1975

Spalte:

299-301

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Weissmahr, Béla

Titel/Untertitel:

Gottes Wirken in der Welt 1975

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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299

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgans; 1975 Nr. 4

300

Weissmahr, Bela, S. J.: Gottes Wirken in der Welt. Ein

Diskussionsbeitrag zur Frage der Evolution und des
Wunders. Frankfurt/M.: Knecht 1973. X, 198 S. 8° =
Frankfurter Theologische Studien, im Auftrag der Professoren
der Philos.-Theol. Hochschule Sankt Georgen
— Theologische Fakultät S. J. —, Frankfurt am Main,
hrsg. v. H. Bacht, F. Lentzen-Deis, O. Semmelroth, 15.

Weissmahr möchte zeigen, daß ein freies Wirken des
persönlichen Gott in der Welt denkbar ist, und zwar auch,
ja besser gerade dann, wenn davon ausgegangen wird,
daß Gott grundsätzlich und ohne jede Ausnahme durch
Zweitursachen hindurch wirkt. Denn die bisher in der
katholischen Theologie besonders stark, aber durchaus
auch in der evangelischen Theologie anzutreffende Auffassung
, daß es an bestimmten Punkten des Weltgeschehens
, etwa bei der Menschwerdung, der Erschaffung der
menschlichen Seele oder bestimmten Wundern, ein nicht
durch Zweitursachen vermitteltes, unmittelbares, direktes
Eingreifen Gottes in den immanenten Kausalzusammenhang
gebe, widerspricht nicht nur dem in der naturwissenschaftlichen
Forschung geltenden Prinzip der innerweltlichen
Kausalität, sondern vor allem auch dem
recht verstandenen christlichen Gottesbegriff. Denn wenn
„Gott, selbst nur in einem einzigen Fall, die im naturwissenschaftlichen
Sinn genommene Ursache eines Vorkommnisses
wäre, so wäre er (wenigstens auch) eine Naturkraft
in der Reihe der anderen Naturkräfte und nicht
mehr der stets vollkommen transzendente Schöpfer von
Himmel und Erde, dessen Wirken niemals (also nicht
einmal ,auch') mit dem Wirken eines Geschöpfes verglichen
werden kann ... Der Eingriff Gottes in die Reihe
der Zweitursachen, das Wirken Gottes innerhalb der
Welt ohne innerweltliche Ursachen ist nicht nur naturwissenschaftlich
, sondern auch und vor allem metnphysi r-ch
ein äußerst problematischer Begriff... Gott darf nicht
als Teilmoment an der uns begegnenden Wirklichkeit
aufgefaßt werden. Er ist Erstursache und kann nie
als Zweitursache in der Welt wirken. Seine Ursächlichkeit
ist innerhalb der Welt immer durch die
(von ihm als Schöpfer herstammende) Eigenaktivität
einer geschaffenen, endlichen Ursache vermittelt" (S. 68).
Es ist sinnlos, die Allmacht und „die Freiheit Gottes mit
Argumenten zu verteidigen, die ... aus Gott einen Götzen
machen" (S. 69). „Die Meinung, Gott greife in gewissen
Fällen ohne Vermittlung geschöpf licher Ursachen ein,
ist unmetaphysisch und führt zur Leugnung der Transzendens
Gottes" (S. 144).

Wird „das Prinzip der weltimmanenten Kausalität,
nach welcher nichts innerhalb der Welt geschehen kann,
was auf der Linie der innerweltlichen Ursächlichkeit
keine entsprechende weltimmanente Ursache hat ... als
wahr anerkannt", dann ergibt sich natürlich die Frage, ob
Gott dann noch „Neues, Unvorhergesehenes in der Welt
szendenz Gottes" (S. 144).

Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt daher auf
dem metaphysischen Nachweis, daß jedes Wirklichkeitsverständnis
falsch ist, das die Entstehung von wirklich
Neuem aus dem geschöpflichen Sein heraus leugnet.
Vielmehr ist davon auszugehen, daß das Neue in der
Wirklichkeit „einerseits wirklich neu, andererseits Ergebnis
des weltimmanenten Wirkens" ist (S. 131), da es
„in der Welt selbsterwirkten Seinszuwachs" gibt (S. 131).
Es gibt „die innerweltlich stets schöpferische Kausalität"
(S. 138). „Eine Ursächlichkeitsauffassung, die mit der (u.
U. infinitesimal kleinen) Selbstkausalität des Seienden
nicht rechnet", ist „philosophisch unzulänglich" (S. 139).
Zwar gilt unter quantitativem Aspekt durchaus der Satz
von der Erhaltung von Masse und Energie, aber das
schließt die Entstehung von qualitativ Neuem nicht aus.
So ergibt sich, „daß Gott in der Welt Neues, Unvorhergesehenes
hervorbringen kann, ohne dabei — was unmöglich
wäre — seine Transzendenz aufgeben und als
Zweitursache wirken zu müssen. Denn die geschöpflichen
Kräfte selbst... sind zur Selbstüberbietung fähig,
sie selbst können Neues und Ursprüngliches hervorbringen
. Indem sie das tun, entsteht innerhalb der Welt
etwas, das sowohl von Gott unmittelbar erschaffen als
auch auf der Ebene der Welt von einer Zweitursache erzeugt
ist" (S. 154).

Diese Auffassung vom Wirken Gottes in der Welt führt
freilich zum Abschied von einer willkürlich vorgestellten
Allmacht Gottes. „Gott kann die Welt nicht umzaubern,
und in diesem Sinn kann Gott nicht alles in der Welt tun,
obwohl er ... durch Geschöpfe wirklich Unerwartetes,
Überraschendes in der Welt zu wirken vermag". Dies
bedeutet eine Entlastung bezüglich der Theodizeefrage,
denn „Gott ist demzufolge nicht für alles, was in der
Welt geschieht, verantwortlich. Obwohl Gottes Pläne
letztlich durch nichts vereitelt werden können und obwohl
Gott jeden Menschen als Person mit persönlicher
Liebe umfaßt, ist er unter gewisser Rücksicht wirklich
machtlos in der Welt. Er kann nicht alles Böse verhindern
, er kann nicht vermeiden, daß Konflikte und Leiden
entstehen" (S. 190). Aber Gott handelt auch durch die
materielle Welt hindurch, nicht nur rein innerlich-exi-
stentiell, an uns „persönlich-dialogisch". Es ist Gott möglich
, „seine freie, persönliche Liebe in Ereignissen dieser
Welt auszudrücken und so dem Menschen zeichenhaft zu
erkennen geben, daß er in der Welt nicht den blinden
Kräften der Natur ausgeliefert ist, sondern letztlich einer
Person gegenübersteht" (S. 173/174). Wobei ein innerweltliches
Ereignis „nur durch sinnerfassende Erkenntnis
" vom Menschen als „eine freie Tat Gottes", als „ein
persönlich an ihn gerichtetes Zeichen Gottes" zu erkennen
ist (S. 176).

Obwohl es Weissmahr unverkennbar vor allem darum
geht, in die innerkatholische Debatte einzugreifen,
nicht zuletzt — obwohl rein äußerlich gesehen mehr am
Rande — in die Auseinandersetzungen um den neuen
holländischen Katechismus, wird doch auch der evangelische
Theologe diese von der Päpstlichen Universität
Gregoriana 1971 als Dissertation angenommeneStudie mit
Gewinn lesen. Denn wenn auch der zweite Teil der Arbeit
„Voraussetzungen zu einer richtigen Deutung der
Aussagen über das unmittelbare Wirken Gottes in der
Welt" in seiner Argumentationsweise und Denkstruktur
eine starke Einfühlung in ein durch die — wenn auch kritisch
verarbeitete — thomistische Philosophie und Theologie
geprägtes Denken erfordert, so vermittelt doch nicht
nur der erste Teil „die Entwicklung des theologischen
Verständnisses der unmittelbaren göttlichen Intervention
in der Welt" interessante und lehrreiche Einblicke
in die gegenwärtige katholische Debatte, sondern vor
allem der dritte und letzte Teil der Arbeit „das unmittelbare
oder besondere bzw. persönlich freie Handeln Gottes
in der Welt" vermittelt auch dem evangelischen
Theologen wertvolle und weiterführende Anregungen,
jedenfalls denjenigen unter den evangelischen Theologen
, die sich darüber klar sind, daß wir auf die Dauer
den ontologischen, metaphysischen, kosmologischen
Fragen nicht ausweichen dürfen, wenn wir nicht dem
biblisch-christlichen Gottesglauben den Abschied geben
wollen (vgl. dazu: Hermann Mulert: Gebetserhörung —
Freiheitsglaube — Gottesglaube, 1921). Das Problem, wie
sich das im Weltgeschehen nicht zu leugnende qualitativ
Neue zum Wirken Gottes verhält, spielte und spielt ja
auch in der evangelischen Theologie eine Rolle, und besonders
dem, der die diesbezüglichen Gedanken mit in
Erwägung zieht, wird das Buch von Weissmahr reichen
Gewinn bringen. (Heranzuziehen wären etwa: E.
Troeltsch: Die Bedeutung des Begriffes der Kontingenz,
in Ges. Schriften II, 1913; E. Troeltsch: Glaubenslehre,
1925, § 18; E. Boutroux: Die Kontingenz der Naturgesetze,