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Ausgabe:

1975

Spalte:

286-287

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Die Protokolle der Propagandakongregation zu deutschen Angelegenheiten 1657 - 1667 1975

Rezensent:

Micskey, Koloman N.

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 4

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derer geistlicher Qualität; in diesem Zusammenhang
wurde auch die Höllen strafe existentiell als Entfremdung
von Güte und Wahrheit, in sich selbst verkrümmte
Einsamkeit und Abgeschnittensein von der Hoffnung gedeutet
.

Die frühe traktarianische Eschatologie war stark vom
Heiligungsstreben und dem Bewußtsein des Entschei-
tungsernstes bestimmt und wehrte sich deshalb sowohl
gegen eine mechanistische wie gegen eine durch den Allversöhnungsgedanken
entschärfte Deutung. Man kann
beim frühen Edward Pusey geradezu von einem Pathos
des memento inferni sprechen. Dieser Ernst ließ das personale
Element des göttlichen Gerichts und die Unterwerfung
des ganzen Menschen mit Leib und Seele unter
dieses Gericht hervortreten und führte zur Wiedereinführung
des Gebetes für Tote und des Glaubens an
das Fegfeuer, wobei man freilich nicht einfach die zeitgenössische
katholische Fegfeuerlehre reproduzieren,
sondern zur ursprünglichen patristischen Lehre zurückkehren
wollte. Das Purgatorium wurde auch von späteren
Traktarianern wie F. J. Lee und H. M. Luckock vorwiegend
erzieherisch und reinigend statt als niedere Form
der Hölle gedeutet, wodurch aber die Realität der Höllenstrafen
nicht angetastet werden sollte.

Doch wurde auch außerhalb der unitarischen Bewegung
Protest gegen den Gedanken einer ewigen Höllenstrafe
laut, so bei den Anglikanern H. B. Wilson und dem
Bischof von Natal Colenso, der diese Lehre eher als Hindernis
denn als Antrieb zu missionarischer Aktivität
empfand. Solche Uberzeugungen drangen auch in die an
sich streng konservative Evangelical Alliance ein und erfaßten
hier vor allem Thomas Rawson Birks, der 19 Jahre
lang ihr Sekretär war. Dieser ging von der Gewißheit
aus, daß Gott die Rebellion gegen sich vernichten, nicht
aber verewigen wolle; wenn aber die Seelen der Verdammten
dem Satan überlassen würden, so müßte Gott
für immer seine Macht mit dem Bösen teilen. Die Kirche
sei nur die erste Frucht des universellen Heilswillens
Gottes. Von einer stufenweisen Ausbreitung der Macht
Gottes bis zur Wiederherstellung aller Dinge sprachen
auch die Universalisten Andrew Jukes und Samuel Cox,
die in Verbindung mit den Baptisten standen. F. W. Far-
rars Predigtreihe, die 1878 unter dem Titel „Eternal
Hope" veröffentlicht wurde, war diesen Theologen zumindest
in der Antithese gegen den Gedanken der ewigen
Strafe eng verbunden. Sie erregte den Unwillen Pu-
seys und seines Schülers H. P. Liddon, doch sahen sich
beide in gewissem Maße in die Defensive gedrängt.

Der englische Katholizismus des 18. Jh.s hatte auf jede
Ausmalung der Höllenstrafen verzichtet, wie ein Vergleich
von Bischof Challoners „Garden of the Soul"
(1750) mit den eschatologischen Gedanken Alfonso Liguoris
, die auf dem Kontinent so einflußreich waren,
zeigt, doch gaben die irischen Einwanderer im viktoria-
nischen England diese Zurückhaltung auf. Wieder anders
verhielten sich die Konvertiten aus der Oxford-Bewegung
, die die Fegfeuerlehre nutzten, um den absoluten
Gegensatz von Erretteten und Verworfenen zu ermäßigen
, ohne die Heiligkeit Gottes anzutasten. Als eindrucksvolles
Beispiel dieser Haltung wird J. H. New-
mans Dichtung „Dream of Gerontius" (1865), die poetische
Gestaltung eines idealen christlichen Todes, vorgestellt
. Newman, H. E. Manning und F. W. Faber bemühten
sich in unterschiedlicher Weise, den Purgatoriums-
gedanken pädagogisch zu nutzen und die existentiellen
Implikationen der Himmels- und Höllenvorstellung hervortreten
zu lassen; sie gaben ihrer Zu versieht Ausdruck,
daß wenigstens die Mehrheit aller Katholiken gerettet
werde. In diesem Zusammenhang entwickelte sich eine
förmliche Purgatoriumsfrömmigkeit, und es arbeitete
zeitweise in England sogar eine Society of the Helpers of
the Holy Souls, die ihre Entstehung französischen Impulsen
verdankte. Die sadistischen Beschreibungen der
Höllenqualen auch von Kindern in Joseph Furniss' „Books
for Children" waren für die englische katholische Kirche
auch dieser Zeit nicht typisch; bestimmend wurde vielmehr
eine organische und evolutionäre Sicht des Fegfeuers
, wenn auch der Zoologe St. George J. Mivart wegen
seiner Zuspitzung dieser Sicht aus der Kirche getrieben
wurde.

Eine letzte Möglichkeit eschatologischer Standortfln-
dung in der viktorianischen Zeit war der Konditionalismus
, der einen Mittelweg zwischen Universalismus und
Behauptung ewiger Höllenstrafen suchte und am stärksten
unter den Kongregationalisten verbreitet war. Danach
besitzt jeder Mensch eine Anlage zur Unsterblichkeit
, die aber nur durch den Glauben an Christus zur
Realität wird, während die anderen Menschen im 1. oder
2. Tod ihr Ende finden (Gedanke der Annihilation). Frühe
Vertreter dieser Lehre waren der Baptist Henry Hamlet
Dobney und der Kongregationalist Edward White. Diese
Richtung eroberte einen Großteil der englischen Missionstheologie
. Man betonte hier stark die ganzheitliche
Auferstehung des Menschen und betrachtete zumindest
auf dem linken Flügel das „Überleben der Besten" als
Parallele zum Überleben der Stärksten im Tierreich nach
Darwin. Diese Richtung hielt an einer moderierten augu-
stinisch-kalvinistischen Tradition fest, suchte teilweise
aber auch aus Irenäus die Möglichkeit von Wachstum und
Entwicklung zu erweisen. Auf dem Kontinent unterstützte
, wie ein Anhang zeigt, der Schweizer Geistliche
Emmanuel Petavel-Olliff, zeitweise Auslandspfarrer in
London, den Konditionalismus, der vor allem in Frankreich
Anhänger fand.

Rowell macht in seinen Schlußbemerkungen darauf
aufmerksam, daß in der eschatologischen Debatte auch
Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen und das
Wesen Gottes auf dem Spiel stehen. Die Spannung in den
eschatologischen Aussagen sei objektiver Art und lasse
sich daher nicht beseitigen, denn man laste beim Versuch
einer einseitigen Lösung entweder die Güte oder
die Allmacht Gottes an; ein vordergründiger Universalismus
stelle den Ernst sittlicher Entscheidungen in
Frage. Die Entscheidungsfreiheit sei als unabdingbarer
Bestandteil der Menschenwürde zu respektieren, und die
Rede von der Hölle erinnere an den Ernst menschlicher
Erfahrung von Entfremdung und Gemeinschaftslosig-
keit; zugleich aber hoffe der Christ auf den letztgültigen
Triumph Gottes, da Christus selbst in die Hölle hinabgestiegen
sei.

Rostock Gert Wendelborn

Tüchle, Hermann [Hrsg.]: Die Protokolle der Propagan-
dakongregation zu deutschen Angelegenheiten 1657 bis
1667. Diasporasorge unter Alexander VII. Paderborn:
Verlag der Bonifacius-Druckerei 1972. 219 S. gr. 8°. Lw.
DM 24,-.

Nach der Edition der Protokolle der Propagandakongregation
zu deutschen Angelegenheiten zwischen 1622
und 1649 von Hermann Tüchle i. J. 1962 hatte sein Schüler
Georg Denzler i. J. 1969 in einem weiteren Band die
Protokolle derselben Kongregation zu deutschen Angelegenheiten
in den Jahren 1649 bis 1657 ediert. Dieser
(zweite) Band wurde in der ThLZ 96, 1971, Sp. 447-448
von Gerhard Müller besprochen. Im Jahre 1972 erschien
nun als Fortsetzung dieser Bände ein dritter Band, in
dem die Protokolle der Propagandakongregation zu deutschen
Angelegenheiten aus den Jahren 1657 bis 1667
ediert sind. Der Herausgeber dieses dritten Bandes ist
wieder Hermann Tüchle.

Auch bei dem Titel dieses Bandes gilt, was Gerhard
Müller zum zweiten Band bemerkt hat: entgegen dem