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Ausgabe:

1975

Spalte:

278-280

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Luther, Martin

Titel/Untertitel:

Werke 1975

Rezensent:

Zur Mühlen, Karl-Heinz

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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 197!» Nr. 4

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blieb gegen Florenz eine wirksame Waffe, weil es durch
seinen großen Außenhandel und nicht zuletzt durch seine
geschäftlichen Verbindungen zur Kurie und dem Kirchenstaat
auf eine Zusammenarbeit mit dem Papst angewiesen
war.

Als das Interdikt ergangen war, hätte die Signoria
seine Verkündigung in Florenz verbieten können. Sie
hielt es aber für politisch klüger, das Interdikt zu befolgen
. Das Einstellen der Messe, besonders aber, daß die
Hostie nicht mehr betrachtet werden konnte, beunruhigte
die Einwohner. Sie ergriffen zwar in ihrer Mehrheit nicht
die Partei des Papstes gegen die Signoria, aber sie wünschten
den religiösen Kult. Laienbewegungen und die spi-
ritualen Franziskaner — teils mit prophetischen und
apokalyptischen Zügen — gewannen Zulauf, wodurch der
Argwohn der politischen Führung erregt wurde. Daher
entschloß sich die Signoria, das Interdikt zu brechen. Für
den 8. Oktober 1377 wurde die Messe angeordnet. Doch
die Priester weigerten sich weitgehend, das Volk blieb
fern. Den Priestern mußte Entzug der Güter angedroht
werden, um sie zum Messelesen zu bewegen. Ein Teil
verließ die Stadt, so auch der Bischof. Doch es gelang,
einen großen Teil der Priester zu gewinnen, schließlich
auch das Volk, so daß der päpstliche Einfluß auf das geistliche
Geschehen in Florenz zusammenbrach.

Was war das Ergebnis dieses Interdiktes? Florenz verlor
den Krieg mit dem Kirchenstaat und mußte den Frieden
— im wahrsten Sinne des Wortes — teuer bezahlen.
Die kriegführende Signoria wurde gestürzt. Aber geistliche
Autorität gewann der Papst nicht, er verlor sie vielmehr
. „Außerkirchliche" Religiosität wurde gesteigert,
die Kirche in Florenz geriet unter stärkere Abhängigkeit
von der weltlichen Verwaltung der Stadt, bis im 15. Jh.
das erstarkende Papsttum diesen wieder zurückdrängen
konnte. Das Interdikt brachte also der geistlichen Gewalt
weltliche Erfolge und geistliche Verluste.

Die auf Archivmaterial gegründete sorgfältige Untersuchung
erfaßt vor allem die ökonomischen und politischen
Bedingungen und Folgen des Interdiktes, ihre Berücksichtigung
bei den Entscheidungen, die den Vollzug
der Frömmigkeit betreffen. Das liegt in der Natur der
Quellen. Politische, ökonomische und juristische Vorgänge
erzeugen Akten, während die Motive religiöser
Entscheidungen seltener aufgezeichnet werden. Der Vf.
weiß, daß in Florenz mehrere Faktoren zusammenwirkten
, und arbeitet heraus, daß die Signoria die Bedeutung
des Kultes für das Volk unterschätzte, macht aber doch
nicht einsichtig genug, warum das Volk nur zögernd die
Messe besuchte, als die Signoria das Interdikt brach. Dennoch
scheint mir — traurigerweise — genügend bewiesen
zu sein, daß die Wirkung des Interdiktes der geistlichen
Macht ganz stark auf der Angst vor weltlichen Verlusten
bei den Betroffenen und Freude über weltlichen Gewinn
bei ihren Gegnern beruhte. Der Vf. betont, daß die
geistliche Macht zwar die Wirtschaft der weltlichen
Macht schädigen konnte, die weltliche Macht aber nicht
die der geistlichen, da diese keinen vergleichbaren Handel
trieb, auf den Florenz hätte einwirken können. Dieser
Zusammenhang verdient, bei der Betrachtung der
Ausbreitung der Reformation beachtet zu werden. Als
Luther durch seine Thesen den Ablaßhandel angriff,
brachte er die Freude über weltlichen Gewinn (Einsparung
der Ablaßgelder und später auch weiterer Abgaben)
auf die Seite der Papstgegner, während den Verlust der
wirtschaftlichen Macht die geistliche Gewalt verbuchen
mußte. Daß viele willig darauf eingingen, war die Folge
davon, daß die geistliche Macht ihre geistlichen Waffen
für weltlichen Gewinn mißbraucht hatte. Denn das zeigt
eben die vorgelegte Untersuchung, daß das Interdikt im
Spätmittelalter zwar teilweise wirksam blieb, aber unter
Verlust geistlicher Autorität.
Leipzig Helmar Junghans

Beitran, Evencio: Jacques Legrand O.E.S.A. Sa vie son
oeuvre (Augustiniana 24, 1974 S. 132-160).

Boockmann, Hartmut: Zur politischen Geschichte des
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Engelhardt, Paulus: Rede von Gott — Rede vom Menschen
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Gero, Stephen: The Libri Carolini and the Image Con-
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Geyer, Carl-Friedrich: Bonaventura. Zu seinem 700. Todestag
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Karahalios, George: Michael Psellos on man and his be-
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Schmaus, Michael: Thomas von Aquin. Zu seinem 700.
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Vollrath, Hanna: Kaisertum und Patriziat in den Anfängen
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Review 18,1973 S. 47-58).

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Luther, Martin: Werke. Kritische Gesamtausgabe. 55.
Bd., I. Abt., l.Teil, 2. Lfg. S. 121-288. 55. Bd., II. Abt.,
1. Teil, 2. Lfg. S. 125-174. Weimar: Böhlau 1973. 4°.
M 34,- u. 16,-.

Nach der 1. Lieferung der Neuedition von Luthers 1.
Psalmenvorlesung, die 1963 erschien und in Bd. 551,1 den
Text des Psalterdruckes von 1513 mit Luthers Zeilen-und
Randglossen zu Ps 1—15 nach der Wolfenbüttler Handschrift
und in Bd. 5511,1 die Scholien zu den gleichen
Psalmen nach einer Fotokopie der Dresdener Handschrift
enthielt, ist in gleicher Aufteilung die 2. Lieferung zu Ps
16-30 erschienen. Die Edition der Scholien zu diesen Psalmen
kann sich im Unterschied zu der der 1. Lieferung auf
den im Frühjahr 1966 von H. Deckert wiederaufgefundenen
Dresdener Psalter selbst stützen. Dieser galt seit 1945
als verschollen und war als Psalmenkommentar unbekannter
Herkunft unter den Nachlaß von August Wilhelm
Schlegel geraten. R. Schwarz, der seit der 2. Lieferung
die Verantwortung für die Neuedition allein trägt,
hat die Dresdener-Scholien-Handschrift inzwischen genau
besch rieben (vgl. Ders., Beschreibung der Dresdener-
Scholien-Handschrift von Luthers l. Psalmen-Vorlesung.
ZKG 1971, 65—93) und für die vorliegende Lieferung wieder
benutzt.

Nach dieser Beschreibung befinden sich die in der 2.
Lieferung edierten Scholien zu Ps 16,17, 26, 27, 28, 29 und
30 in der 3. und 4. Lage auf den Blättern 34a—40b. Nach
Blatt 36b konnte Schwarz ein wiederaufgefundenes und
noch von G. Kawerau ediertes Blatt (vgl. G. Kawerau,
Ein wiederaufgefundenes Blatt aus dem Dresdner Luther
-Psalter. ThStKr 90, 1917, 521-526) als Blatt 36 A ein-