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Ausgabe:

1975

Spalte:

276-277

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Trexler, Richard C.

Titel/Untertitel:

The Spiritual power 1975

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Theologische Liteiulurzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 4

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mit dem Leben verloren hatte" (225). Eine offizielle Verurteilung
Darwins wurde 1925 in Rom erörtert, konnte
aber durch einige Kardinäle verhindert werden (283).
W. kritisiert die Weihnachtsbotschaft Papst Pius XII.
von 1957, sie führe „sehr weit weg von der Welt, in der
wir jetzt leben: Man wähnt sich wieder im Mittelalter"
(290).

Teil III erörtert als Kapitel 7 „Die ,Welt' in Philosophie
und Naturwissenschaft". Merkmale für das Weltbild
der Naturwissenschaft sind das unbegrenzte All
(307-12), das dynamische Weltall (312-19), der organische
Charakter unseres Weltbildes (312—16). W. betont
den Zusammenhang zwischen der alltäglichen Lebenswelt
und den Naturwissenschaften: „Wir haben von
Haus aus die Welt als ein geordnetes und zusammenhängendes
Ganzes zu sehen gelernt, das rational erklärbar
ist und dessen tiefere Prinzipien von den Naturwissenschaften
hervorgeholt werden können" (333). Wir leben
in keiner statisch-unveränderlichen Welt, sondern
wir wissen, „daß die Veränderung das Gesetz alles Existierendem
ist und daß wir nur einen bestimmten Augenblick
in einem Prozeß vergegenwärtigen" (334). Von daher
kann auch der heutige Mensch zum Staunen kommen
. W. zitiert Einstein: „Wer sich niemals die Zeit
gönnte, zu staunen, und von tiefer Ehrfurcht erfüllt im
Entzücken still zu stehen, der ist so gut wie tot. Seine
Augen sind geschlossen. Diese Einsicht in das Geheimnis
des Lebens, die gewiß mit Furcht verbunden ist, bildet
die Grundlage der Religion."1 Kapitel 8 gilt Teilhard de
Chardin, über den W. sich schon mehrfach geäußert hat.
Das 2. Vatikanum wird als erster positiver Ansatz zum
Vorstoß in die Moderne gewertet (384). W. zieht eine Parallele
zur Bibel: Das jüdische Volk wehrte sich gegen
eine „kosmische Religion" seiner Umgebung, die junge
Kirche wehrte sich gegen jüdische Traditionen — und so
muß heute das Christentum „sich vom Einfluß des griechischen
Kosmosbegriffes und der sich daraus ergebenden
Kasuistik befreien" (396). Die Seinsmetaphysik der
Antike muß überwunden werden: „Gott ist nach dem
Worte der Schrift ein lebendiger Gott, und Leben ohne
Veränderung ist kein Leben ... Eine Werde-Metaphysik
entscheidet sich radikal für einen neuen Vollkommenheitsbegriff
und sieht in Gott überragende Selbstkreativität
und das unendliche Ordnungsprinzip aller Möglichkeiten
" (415).

Das Buch wirkt nach vielen Seiten hin anregend. Der
systematische Theologe müßte in ein Sachgespräch eintreten
, der Naturwissenschaftler hätte sicher auch Fragen
anzumelden. Der Kirchenhistoriker hat zu danken
für eine Zusammenstellung von Quellenzitaten, die er
so nicht zur Hand hatte. W. stellt mit Einfühlungsvermögen
die Scholastiker dar, er versteht auch die späteren
Verteidiger der Scholastik, er hält aber dann letztlich
doch den Zusammenbruch der Scholastik für eine
Befreiung, die noch weitergetrieben werden müsse. Von
konfessioneller Warte aus ergeben sich ebenfalls Fragen
: W. will nur die Entwicklung der katholischen Theologie
darstellen; das geht aber kaum an. So formuliert
er, die Bibel habe „keine eigentliche Kosmologie" (43),
unter Berufung auf Hermann Sasse, also einen konfessionellen
Lutheraner! W. teilt mit, daß Osiander sich für
den Druck der Werke des Kopernikus mit Erfolg einsetzte
(160). Leider rückt er diesen lutherischen Theologen
dabei in ein schlechtes Licht. W. bringt Verständnis
auf für die Ketzerrichter in Rom — da sollte Verständnis
für die Lage Oslanders erst recht möglich sein! W. beklagt
die Übermacht des Aristoteles in der Theologie der
Scholastik; er nennt Erasmus und Cartesius, die schon
ähnlich geklagt hätten (244) — aber Luthers ähnliche Kritik
wird nicht erwähnt. Zur Lage nach 1600 sagt W.: „So
wurde eine historische Chance der Kirche und des Christentums
verpaßt" (250) - wobei Kirche und Christentum
ganz naiv mit der römisch-katholischen Kirche
gleichgesetzt werden. Trotz solcher Kritik an Einzelheiten
wird auch der protestantische Leser dieses Buch mit
Anteilnahme lesen und daraus lernen können.
Rostock Gert Haendler

' Aus Einsteins Beitrag zu dem Sammelband Llvlng Phllo-
sophles, A Series of lntlmate Credos, New York 1931, S. 6 (ausführlicheres
Zitat bei Wlldlers, S. 337).

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Trexler, Richard C. The Spiritual Power. Republican
Florence under Interdict. Leiden: Brill 1974. XII,
208 S., 1 Falttabelle gr. 8° = Studies in Medieval and

Reformation Thought, ed. by H. A. Oberman, IX. Lw.
hfl. 58.-.

Der Hauptgegenstand dieser 1963 von der Philosophischen
Fakultät Frankfurt angenommenen Dissertation
ist das Interdikt, das Gregor XI. am 31. März 1376 über
die Republik Florenz verhängte und das bis zum
5. August 1378 währte. Um die Rückkehr des Papstes von
Avignon nach Rom vorzubereiten, wurde der Kirchenstaat
von dem Legaten Egidio Alboroz so energisch neu
aufgebaut, daß die Nachbarn politische Nachteile fürchteten
und sich unter der Führung von Florenz zusammenschlössen
. Das Interdikt sollte diese politische Macht
brechen. Es wurde also zum Schutze des Kirchenstaates,
nicht wegen eines geistlichen Vergehens erlassen. Die
Darstellung dieser Vorgänge wird von einer Skizze der
Exkommunikationen und Interdikte über Florenz vom
12. Jh. bis 1512 umrahmt. Dabei verdeutlicht der Vf., daß
die einzelnen Verbote im Gefolge des Interdiktes variieren
konnten, und versucht möglichst genau zu erfassen,
wie sich das Interdikt Gregors XI. auf das religiöse Leben
der Florentiner auswirkte. Dadurch veranschaulicht
das Buch exemplarisch die Auswirkungen eines Interdiktes
im Mittelalter.

Es ist allgemein bekannt, daß der päpstliche Bann im
Kampf gegen die deutschen Könige nach dem Streit mit
Heinrich IV. (1056-1106) an Wirkung verlor. Der Vf.
tritt überzeugend der verallgemeinernden Ansicht entgegen
, daß dies für alle politischen Bereiche gelte. Er
kann zeigen, daß das Interdikt gegen italienische Gebiete
bis 1606, als es über Venedig verhängt wurde, eine wirksame
Waffe blieb. Aber worauf beruhte diese Wirksamkeit
? Ging sie aus der geistlichen Autorität des Papstes
hervor ?

Der Vf. zeigt zunächst, daß Gregors XI. Gebot, jeden
Besitz der Florentiner außerhalb von Florenz zu beschlagnahmen
, durchaus nicht bei allen politischen Kräften auf
Gehorsam stieß. Er untersucht die Maßnahmen einzelner
Gebiete (Avignon, Frankreich, England, Flandern, Spanien
, Genua, Lucca, Pisa, Lombardei, Venedig, Friaul,
Ungarn, Süditalien, Orient und Rom) mit dem Ergebnis,
daß abgesehen von Avignon und Rom und ausgenommen
die spanischen Herrscher die Regenten die Florentiner
gegen den Willen des Papstes beschützten, nicht zuletzt
, um ihre Souveränität gegenüber dem Papst zu behaupten
. Wo allerdings bereits eine Opposition gegen
die eindringenden florentinischen Kaufleute und Bankiers
bestand, wurde das Interdikt, besonders von Einzelpersonen
und Interessengruppen, zum Vorwand genommen
, die unliebsamen Konkurrenten auszuschalten.
Dadurch führte das Interdikt zu einem wirtschaftlichen
Rückgang in Florenz, der zwar schon vorher begonnen
hatte, nun aber beschleunigt wurde. Die Folge war eine
soziale Unsicherheit, die 1378 zum Aufstand der Weber
und damit zum Sturz der Signoria führte. Das Interdikt