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Ausgabe:

1975

Spalte:

270-272

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mara, Maria Grazia

Titel/Untertitel:

Évangile de Pierre 1975

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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269

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 4

270

Briefen wie im Evangelium wird der Christusname und
-titel von verschiedenen Seiten her beleuchtet. Die Personen
der evangelischen Geschichte reflektieren in individueller
Weise das Bild des Christus so, wie er ihnen begegnete
. Vermittelt durch Gemeinde und Redaktor des
Evangeliums kommt die Wirkung des geschichtlichen
Jesus zur Geltung. Vor allem aber erscheinen Weg und
Wahrheit, Licht und Leben, erscheinen die großen Worte
der Verkündigung des joh Christus symbolhaft in den
Geschehnissen und den Worten. Sie sind ein für allemal
durch den Christus in die irdische Wirklichkeit gesetzt.
Man kann und soll ihrem Ursprung nachgehen. Man stößt
dann auf Johannes den Täufer, auf die Jünger, auf das
samaritanische Weib wie auf all die Gestalten aus der
Umgebung Jesu. Sie werden in ihrer irdischen-sündi-
gen Leibhaftigkeit gezeichnet, und die einzelne Geschichte
hat ihren bestimmten ,Sitz im Leben'. Aber die Gestalten
wie das Geschehen weisen über sich hinaus und damit
hinaus über die irdische, vergängliche Einmaligkeit
auf Ihn, auf den Christus, der sich in unerhörtem Maße
immer neu als das Wort, als den Träger der Offenbarung
beweist. Die Fülle der Gesichte, der Worte, der Zeichen
kann nicht erfaßt werden in einem Buch, in diesem Evangelium
. Sie sind typisch für das gesamte Offenbarungsgeschehen
um Christus, und sie sind symbolisch für die
Erfahrungen der Menschen mit ihm. Mit der Fülle an
Fragen und Untersuchungen, mit der Menge der Verweisungen
in die wissenschaftliche exegetische Arbeit
der Moderne wie der Vergangenheit, mit allem historischem
Zweifel und aller Kritik führt der Vf. zu den Texten
, um die es geht. Gefordert ist immer von neuem die
getreue Arbeit des Exegeten, der in jeder Aussage der
überlieferten Wörter und Worte das Wort sucht als den
Grund des Glaubens.

Im 3.Teil des Werkes kommt der Vf. abschließend zur
systematischen Ordnung des ganzen Stoffes, den er zugleich
mit den Glaubensaussagen des NT verbindet: Im
JohEv vollendet sich die fortschreitende Selbstoffenbarung
Jesu, und damit wird für die Gemeinde das Christusbild
des Glaubens wirksam. So weist das Evangelium
in die Geschichte der Anfänge der christlichen Gemeinde.
Das kommt ansatzweise in den beiden Anhängen, die
das Werk beschließen, zum Ausdruck: Die exegetische
Untersuchung der Christusstellen der Offb Joh zeigt Wirkung
und Bedeutung des Christustitels. Die verschiedenen
christologischen Konzeptionen fließen in ihm zusammen
. Die Unterschiede zwischen Ev und Offb lassen sich
wohl am einfachsten erklären, wenn Johannes, der Seher
von Patmos, zu derselben .Schule' oder theologischen
Richtung gehörte, wie der Vf. des Ev und der Briefe Joh.
Bei den Apostolischen Vätern wie auch bei den griechischen
Apologeten steht der Christustitel nicht im Vordergrund
. Er tritt gelegentlich in antijüdischem Zusammenhang
auf. Bei Justin findet sich vor allem im Dialog
mit dem Juden Tryphon eine betonte Auseinandersetzung
mit dem Messiasglauben des zeitgenössischen Judentums
. Dieser innerweltlich bestimmten Erwartung
stellt Justin das Christusbekenntnis der Kirche gegenüber
. Er wendet sich damit gegen judenchristliche Sekten
wie gegen doketische und ebionitische Anschauungen
und gegen die Synagoge. Polemik und Apologetik
aber gehen über in missionarische Verkündigung mit der
Mahnung zur Buße und im Blick auf Vergebung und Rettung
. Der Titel .Christos' ist Leitfaden und Stichwort
auch für die Christologie des Justin. Er nimmt die horizontale
wie die vertikale Deutung des Titels auf und
ebenso die der andern Titel, die sich mit dem Christusnamen
vereinen. Neu erscheint aber der des ewigen Priesters
. Bei Justin zeigt sich wie im Ev Joh, daß es um das
ewige Heil geht. So wird die Soteriologie zum Gesamtthema
. Wurzel und Fundament, Ausgang, Mitte und
Höhe aber ist Christustitel und Christusname, der alle

andern Titel, Namen, Symbole und Zeichen umfaßt. Das
Evangelium Johannis wird zum Zeugnis dafür.

Die Ausstattung des Werkes ist würdig seines Gehaltes
. Dankenswert ist neben der umfassenden Bibliographie
die Ausführlichkeit der Indices, das Register der
modernen Autoren sowie das systematische Inhaltsverzeichnis
. Forschung und Lehre werden dem Verfasser für
alles Gebotene Dank wissen.

Gießen Georg Bertram

Mara, M. G., Prof.: £vangile de Pierre. Introduction, Texte

critique, Traduction, Commentaire et Index. Paris:
Les fiditions du Cerf 1973. 239 S. 8° = Sources Chre-
tiennes, dir. par C. Mondesert, 201. ffr. 49.—.

1930 erschien in Paris die umfangreiche Arbeit von
Leon Vaganay: L'fivangile de Pierre, in den fitudes Bi-
bliques. Walter Bauer hatte seinerzeit (ThLZ 56, 1931,
249 f.) der Überraschung Ausdruck gegeben, diesen Gegenstand
innerhalb jener Reihe behandelt zu sehen, und
auf das Vorwort von M.-J. Lagrange hingewiesen, aus
dem deutlich wurde, daß es sich um eine Art von „Gegenbeispiel
" handeln sollte. Vaganays Tendenz war deutlich
: bei aller Intensität, mit der er sich dem Stoff hingab
, ging es ihm darum, das Petrus-Evangelium (= PtEv)
möglichst weit von der kanonischen urchristlichen Literatur
abzurücken und seine geschichtliche Wirkung möglichst
einzugrenzen. Obwohl Mara in der neuen, umfangreich
kommentierten Ausgabe des Textes in vielen
Punkten auf der Arbeit Vaganays aufbaut, insbesondere
auf seiner enorm fleißigen Aufarbeitung der Forschungsgeschichte
, ist seine Absicht eher entgegengesetzt: er bemüht
sich darum, das Befremdliche des PtEv möglichst
zu reduzieren und es jedenfalls in positivem Sinne in die
„Sources Chretiennes" einzureihen.

Das wird schon in der Introduction (S. 15—34) deutlich,
in der Mara die Geschichte der Erforschung des PtEv seit
seinem Bekanntwerden (1892/93) bis zu Vaganay nur
skizziert, während er dann Vaganays Leistung ausführlich
positiv und kritisch würdigt. Positiv: Mara hält die
Periode der literarkritischen Arbeit am PtEv mit Vaganays
Buch für definitiv abgeschlossen, und zwar vor allem
hinsichtlich der Klärung der Bezüge dieses Textes
zu den kanonischen Evangelien: das PtEv sei ihnen gegenüber
in jeder Hinsicht sekundär, setze sie alle voraus
und biete nur legendarische Weiterentwicklung ihrer
Darstellung, ohne jede Kenntnis der historischen Umstände
. Hinsichtlich der literarischen Beziehungen des
Textes zur altkirchlichen Literatur freilich (Vaganay
hatte behauptet, das PtEv sei von keinem der Väter bis
hin zu Origenes benutzt worden, insbesondere nicht von
Justin, allenfalls in der Syrischen Didaskalie) legt Mara
(im Anschluß an O. Perler, 1964) besonderen Wert auf
die Nähe des PtEv zu drei kleinasiatischen Passa-Homi-
lien: des Apollinaris von Hierapolis, des Meliton von
Sardes (erst 1940 bekannt geworden) und eines anonymen
kleinasiatischen Autors („Pseudo-Hippolyt"), die
allesamt dem 2. Jh. angehören.

Mit heftiger Kritik aber wendet sich Mara gegen Vaganays
Einstellung seinem Text gegenüber, gemäß derer
er das PtEv nur auf seine historische „Glaubwürdigkeit"
und auf seinen Wert, gemessen an den kanonischen Evangelien
, befragt und zu einem dementsprechend vernichtenden
Urteil über den „Fälscher" — wie der Autor bei
Vaganay immer wieder genannt wird — kommt. Demgegenüber
möchte Mara eine neue Epoche der Interpretation
des PtEv eröffnen, die etwa der „redaktionskritischen
" Erklärung der Evangelien entspricht (S 25f.). Und
es ist Mara darin einfach zuzustimmen, daß auch diesem
Text eine Interpretation gebührt, die ihn auf seine eigenen
Intentionen hin befragt und keine Anforderungen
an ihn stellt, denen der Autor seinen Umständen und