Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1975

Spalte:

264-266

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ernst, Josef

Titel/Untertitel:

Pleroma und Pleroma Christi 1975

Rezensent:

Hegermann, Harald

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

263

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 4

264

stou (Kol 1,24) und den Ausdruck cheirographon (2,14)
einleuchtend aus dem Bezug auf die Irrlehre erklärt.

Für die Rekonstruktion selbst geht L. von dem „kleinasiatischen
Synkretismus als Rahmen" (Uberschrift zu
82—100) aus. Das ist eine im wesentlichen neue These. Vf.
sieht ein Hereinwirken des mysterienhaft gefaßten,
kleinasiatischen Kybelekultes wirksam in dem Interesse
an Festzeiten, in der Verbindung von Ekstase und
Askese, in dem Motiv der „Strenge gegen den Leib"
(Kol 2,23). Auf den einheimischen Men-Kult weisen die
Neumondfeier und evtl. die Elementen-Spekulationen.
Vermittelt wären solche Einflüsse durch ein synkretisches
Judentum, wie es in Phrygien gut denkbar ist. Ein
starker jüdischer Bevölkerungsteil ist nachweisbar; ein
vergleichbarer, hellenistischer Synkretismus unter dem
Vorzeichen von „philosophia" ist in zeitlicher und örtlicher
Nähe in Dion Chrysostomos dokumentiert. Man
ist dem Vf. dankbar für sein plastisches Anschauungsmaterial
, für die Erweiterung des religionsgeschichtlichen
Horizontes, für sein Herausführen aus der Enge
der Gnosisdiskussion. Zu fragen bleibt, ob die Akzente
nicht noch etwas zu verändern wären. Man wird der
Hellenisierung sowohl der kleinasiatischen Kulte als
auch des örtlichen Judentums vielleicht größeres Gewicht
beimessen müssen und so die kolossische Irrlehre näher
an Philon ansiedeln und weiter entfernt von Elchasai.
Den letzten Beitrag von E. Schweizer (1970) über die
Elementenspekulationen im hellenistischen Judentum
selbst, mit engen Kontakten zur philosophischen Religion
des heidnischen Hellenismus, konnte L. noch nicht verwerten
. In solcher Weiterführung würde dann die kolossische
Bewegung nicht mehr erscheinen als „Addition"
heidnischer, jüdischer und christlicher Elemente, zusammengehalten
durch ein „Axiom der .Fülle'" (102), würde
pleröma Leitbegriff eines jüdisch-hellenistischen Mysterienkultes
von starker Strahl- und Integrationskraft
sein, der mit dem Anspruch auftrat, das Heilsangebot
heidnisch-hellenistischer Mysterien überbietend zu erfüllen
. L. zeigt anschaulich, wie sich diese Bewegung auch
dem Urchristentum gegenüber als überlegen präsentieren
konnte (106—107).

Der dritte Teil, „Die Auseinandersetzung im Kolosser-
brief" (108—154), macht die erzielte Rekonstruktion des
Gesprächspartners im einzelnen fruchtbar in einer fortlaufenden
Exegese von Kol 2,6-23. L. zeigt, wie sich der
urchristliche Glaube „geistig durchzusetzen vermag", indem
er seinerseits überlegene Kraft der Erhellung und
Integration bewährt, Dieses positive Zeugnis stellen
Exegeten dem Kol gewöhnlich keineswegs aus, vgl. Lohmeier
, Schenke (108). Vf. bringt gewiß die apostolische
Tradition ins Spiel, aber nicht als Schutzwall für sterile
Orthodoxie, sondern als dynamische Ausrüstung in einem
fröhlichen Kampf für die Wahrheit und Freiheit in Christus
, mit Entfaltung der Grundthesen, Neuprägung überlieferter
Gedanken, anschaulichen Bildern und ..nicht zuletzt
... Karikatur" (110) — angesichts eines naiven Stolzes
auf religiöse „Extras", die nichts sind vor dem „,extra
nos' Jesu" (114). Mag L. gelegentlich unbewußt etwas von
seiner eigenen Dynamik dem biblischen Vf. hinzufügen,
im ganzen dürfte er auch historisch im Recht sein. Kol ist
ein großer theologischer Wurf, der Paulus echt weiterführt
.

Aus der im übrigen intensiven, eigenständigen und
vielfältig weiterführenden Exegese seien die Diskussionen
der Hymnusthese von Wengst zu Kol 2,14 (126f.
A 67) und der Mythosthese von Käsemann zu 2,15 (129
bis 133) hervorgehoben.

Um seine Ergebnisse zu erhärten, fügt L. einen
..Schluß" hinzu, der in Wahrheit ein vierter Teil ist. „Die
Stellung des Kolosserbriefes in der pauliniscben Briefsammlung
" (155—182) wird hier nochmals primär theologiegeschichtlich
und nur am Rande von historischen Einleitungsfragen
her geklärt. An einem theologiegeschichtlichem
„Modell", der Wandlung der Vorstellung vom
Mitsterben und Mitauferstehen (156—164) von Rom 6 zu

Kol 2, wird die beliebte frühkatholische Abwertung des
Kol widerlegt. Vf. zeigt, wie schon innerhalb der unbestritten
echten Paulustexte Verschiebungen der Thematik
, je nach Dialogbezug, sowie ein Fortschreiten zum
Umfassenderen und Grundsätzlicheren hin zu beobachten
sind (Gal 2,19-20 vgl. 2. Kor 4,14 vgl. Rom 6,1-11) und daß
die Gal-Argumentation der in Kol entspricht (159). Hierzu
vgl. seine These von der gemeinsamen galatisch-
phrygischen Situation (160 A 19; 165f.). Von Eph und
2. Tim läßt sich Kol dabei klar abheben (163). So wie an
diesem Modell zeigt L. auch anderswo die echt pauli-
nische Art der Argumentation in Kol, jedoch vor neuen
Problemen und in einer neuen theologiegeschichtlichen
Situation. So seien die Inhalte des Kol „gerade in ihrer
Neuartigkeit paulinisch" (177).

Von da aus möchte L. den Brief für direkt paulinisch
halten, vermag dann jedoch das Schreiben in der vita
Pauli nicht unterzubringen, so daß er auch „den besten
Paulusschüler", etwa den Epaphras, in Erwägung zieht
(181 f.).

Alles in allem: eine überzeugende exegetisch-theologische
Leistung, ein erfreulicher und sehr förderlicher
Beitrag, geeignet, uns den Kolosserbrief neu lieb und
wert zu machen.

München Harald Hegermann

Ernst, Josef: Pleroma und Pleroma Christi. Geschichte
und Deutung eines Begriffs der paulinischen Antilego-
mena. Regensburg: Friedrich Pustet 1970. XX, 304 S.
gr. 8° = Biblische Untersuchungen, hrsg. v. O. Kuß, 5.
Kart. DM 54,-.

Die vorliegende Münchener Habilitationsschrift stellt
sich zur Aufgabe, die exegetisch-theologische Diskussion
um die Auslegung des Kolosser- und des Epheserbriefes
durch eine monographische Untersuchung des Begriffes
Pleroma, dem eine Schlüsselfunktion zukommt, ein
Stück voranzubringen. Nach der kurzen Einführung, die
den Arbeitsplan umreißt, soll „die Besinnung auf den
theologischen Gehalt" der Briefaussagen selbst im Zentrum
stehen (XIX), wobei aber „Denkanstöße" (XX) besonders
aus der religionsgeschichtlichen Arbeit aufzunehmen
sind.

So wird die philologische und Philosophie- sowie religionsgeschichtliche
Problematik der Wortgruppe pleröma,
pleroun, pleres nur kurz bearbeitet (Kap. 1-4, S. 1—65);
z. B. für die Stoa knapp 2l/2 Seiten (9—11). E. beschränkt
sich dabei zumeist auf kurze Referate schon vorliegender
Ergebnisse. Philologisch hat man im wesentlichen
zwei Hauptaspekte zu unterscheiden: pleröma heißt 1.
„das, was etwas ausfüllt" oder, passivisch: „das Ausgefüllte
", jedenfalls ein räumlicher Aspekt; 2. die Vollzahl
, die Vollendung von etwas, also ein qualitativer
Aspekt (4). Religionsgeschichtlich verdient die Nahtstelle
von der (mittleren) Stoa hin zur frühen Gnosis das
Hauptaugenmerk. Das wird sehr gut am Corpus Her-
meticum gezeigt; hier finden sich vielfältige Übergänge
von stoischem Monismus zu frühgnostischem Dualismus.
Der Begriff pleröma spielt hier eine gewichtige Rolle
(S. 12—21). Leider wertet E. dieses Ergebnis nicht zureichend
aus. Auch wird die Sonderstellung der Oden
Salomonis nicht berücksichtigt; ihnen sind 2 Seiten gewidmet
(60—62). Gute Beobachtungen bringt Kap. 3, wo
Philon zu Recht vom AT her beleuchtet wird (AT: 22-30;
Philon: 30-36).

Schwerpunkt der Arbeit ist Kap. 5, ..Der Begriff pleröma
im NT". Nach einer sehr kurzen Übersicht über die
NT-Belege außerhalb Kol, Eph — sie zeigen den primär
nichttechnischen Gebrauch des Wortes pleröma im hei-