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Ausgabe:

1975

Spalte:

3-8

Autor/Hrsg.:

Soggin, Jan Alberto

Titel/Untertitel:

Der Entstehungsort des Deuteronomischen Geschichtswerkes 1975

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Theologische Literaturzeitunß 100. Jahrgang 1975 Nr. 1

I

Der Entstehungsort des Deuteronomischen Geschichtswerkes

Ein Beitrag zur Geschichte desselben
Von J. A. Soggin, Rom

I

Dem Forscher am Alten Testament begegnet oft seit
den bahnbrechenden Untersuchungen M.Noths und
A.Jepsens1 die nicht immer näher begründete Meinung
, nach der die jüngste Schicht des Dtr. G. unter den
in der alten Heimat Zurückgebliebenen, also „in Jerusalem
", „wahrscheinlich ... im judäisch-beniaminitisihen
Gebiet", „wahrscheinlich in Palästina" oder dergleichen2,
und zwar nach 561, dem bekanntlich letzten Datum
im Werk, entstanden sei. Das Neue dieser Behauptung
besteht darin, daß auch die Entstehung der Endfassung
des Werkes, also seine jüngste, exilische Schicht (und
nicht nur die vorexilischen, selbstverständlich in Juda
entstandenen Teile) unter den nach 587 in Juda Verbliebenen
lokalisiert wird. Schon ältere Autoren haben
oft zwischen einer früheren, um die Zeit Josias in Juda
entstandenen, und einer späteren, in Babylon während
des Exils abgeschlossenen Redaktion unterschieden.

Auf das Problem, wieviele Bearbeitungen das Dtr. G.
gehabt habe3, kann hier freilich nicht eingegangen
werden; seine Lösung ist übrigens für unsere Fragestellung
nicht von großem Gewicht. Dasselbe gilt für die
weitere Frage, ob wir mit M.Noth4 mit einem organischen
, durchgehenden Dtr. G. - so auch ich6 - oder
eher mit dtr. Bearbeitungen der sonstigen Überlieferungen
rechnen müssen: in letzterem Fall wären also
auch die jüngsten unter ihnen in Palästina entstanden.

Unter denjenigen Verfassern, die sich um eine Begründung
ihrer Behauptungen über den Ursprung des
Dtr. G. in Palästina bemühen, möchte ich den schon erwähnten
M.Noth und ferner E.Janssen kurz hervorheben
. Der erstere, zwar sehr vorsichtig, gefolgt vom
zweiten, der aber viel entschiedener ist, stellt fest: „Die
Tatsache, daß Dtr. so viele literarische Quellen zu Gebote
standen, könnte dafür sprechen, daß er (der Ursprung
) unter den in der alten Heimat Zurückgebliebenen
... zu suchen ist". Ist dieser Satz, der allerdings
über die Feststellung einer Wahrscheinlichkeit nicht
hinausgeht, immer noch gültig, nach dem, was wir inzwischen
, während der letzten dreißig Jahre, über mündliche
Überlieferung erfahren haben? Ich glaube kaum.
Und da es ferner z.T. die gebildete Schicht der Bevölkerung
war, welche 597 und 587 nach Babylon verschleppt
wurde, darf man wohl annehmen, daß gerade in Babylon
die Überlieferung am lebendigsten gepflegt und daß dort
ein wichtiger Ansatz zu einer zusammenhängenden,
schriftlichen Fixierung gelegt wurde. Das würde auch
gut zur Tatsache passen, daß in das Dtr. G. so manche
Lokaltradition aufgenommen wurde, doch in diesem
letzten Argument möchte ich nicht zu kategorisch sein:
auf dieser Ebene könnte man Elemente für eine Entstehung
des Dtr. G. sowohl in Juda als auch in Babylon
aufzeigen.

Dem fügt nun Janssen hinzu: Die dtr. Predigt gegen
die fremden Kulte habe nur dort einen Sinn gehabt, wo
diese tatsächlich gefeiert wurden, also nur in Juda. Doch
können wir behaupten, daß es nur in Juda synkretisti-
sche Elemente im Kultus gegeben habe? Auf Grund
dessen, was wir über die Tätigkeit „falscher" Propheten
erfahren, welche ihr „Amt" auch unter den Exulanten
ausübten, vgl. Jer 29,24ff. (das Kapitel ist bekanntlic h
einer starken dtr. Überarbeitung unterzogen worden)
und Ez 13,1 ff., dürfen wir das Dasein solcher Kulte
auch unter den Verbannten voraussetzen.

M.Noth behauptet ferner6, nochmals gefolgt von
E.Janssen, im Tempelweihgebet 1 Reg 8,12 ff. werde auf
Opferhandlungen im neu begründeten Heiligtum kein
Bezug genommen, was sich als ein stiller Hinweis auf
seine Zerstörung deuten läßt und sich auf die Gemeinde
der Hinterbliebenen bezieht; doch demgegenüber gil>t es
zweierlei Einwände:

a) Das Gebet enthält bekanntlich ältere Materialien,
und nichts deutet darauf hin, daß gerade die Nicht
erwähnung des Opfers (übrigens ein argumentum e silen
tio) ein dtr. Gedanke sei.

b) Nachdem der Tempel zerstört wurde, blieb gerade
der Opferdienst erhalten, und zwar auf dessen Trümmern,
vgl. Jer41,4ff. und Esr3,37; im ersten Fall geschieht,
dies sogar von Seiten von Pilgern aus dem früheren
Nordreich, deren Trauer bezeugt, daß sie über die Zer
Störung des Heiligtums schon vorher unt errichtet waren.

Noch weitere Argumente erscheinen bei E.Janssen":
Manche Ausdrücke im Dtr. G. passen gut zur Beschreibung
der in Juda Verbliebenen, z.B. „Von meinem
(Jahwes) Antlitz verstoßen" und andere ähnliche; auch
sollen im Dtr. G. Wörter wie göläh und gälüt usw.
fehlen. Trifft das alles zu und wenn ja, hat es den Sinn,
den Janssen ihm zuschreibt? Ich möchte unten .">)
zeigen, daß diese beiden Behauptungen entweder nicht
zutreffen oder daß die angeführten Texte auch anders
erklärt werden können.

Während der letzten Jahre habe ich selbst folgende
Meinung vertreten: Im Dtr. G. deutet vieles darauf hin.
daß es in Babylon unter den Deportierten abgeschlossen
wurde". Auf diesen Tatbestand wurde ich wählend
meiner Arbeit an dem inzwischen erschienenen Josua
kommentar aufmerksam. Da ich nun die dort erfolgte
Begründung dieser These als ungenügend empfinde,
möchte ich hier auf den Gegenstand ausführlicher
zurückkommen.

II

Es wäre verhältnismäßig leicht, allgemeine Überlegungen
für eine babylonische Verfassung des Dtr. G.
darzubringen: Was für einen Zweck hätte es z.B., dem
in Jerusalem verbliebenen Proletariat, das z.T. aus der
Katastrophe einen nicht geringen materiellen Nutzen
gezogen hatte, „die Trümmer zweier Reiche theologisch
zu deuten"?10 So eine Erklärung paßt hingegen ausgezeichnet
auf diejenigen, welche im Exil das Gelobte
Land (theologisch) und ihren Grundbesitz (Wirtschaft
lich-politisch) verloren oder- welche ihre Eigenschaft als

Gottesvolk (theologisch) und ihr nationales Leben
(politisch) anscheinend unwiderruflich eingebüßt hatten.
Ferner: Was für einen Sinn konnte es haben, den im
Lande Verbliebenen ■/.. B. den einheitlich-liturgischen
Bericht von der Landnahme, Jos 1-12, vorzutragen?
Sie hatten schließlich ihre Heimat behalten, und, wie
gesagt, war so mancher Besitzloser durch die kluge
Politik der babylonischen Behörde zu eigenem Lande
gelangt, was die Rückwanderer nach 53!) bald am eige
neu Leibe zu spüren bekamen! Den ersteren blieb also
nur übrig, Jahwe zu danken, daß sein Gericht sich auf
die Zerstörung des politischen Gebildes des Reiches
Juda, an dem sie sowieso kaum beteiligt waren, beschränkt
hatte. Nochmals: Hatte es einen Sinn, die
Verbliebenen über die „Sünde Jerobeams" und verschiedener
Könige des Südreiches zu unterrichten? Es