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Ausgabe: | 1975 |
Spalte: | 251-252 |
Kategorie: | Religionswissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Gilsenan, Michael |
Titel/Untertitel: | Saint and Sufi in modern Egypt 1975 |
Rezensent: | Schimmel, Annemarie |
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Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 1975 Nr. 4
252
tism (ed. by R. Newton Flew and Rupert E. Davles), London 19S0.
"Vgl. E. Schlink, Christus und die Kirche (Kerygma und
Dogma 1, 1955), S. 216f.
» L Lönnlng, „Mitte des Evangeliums"-? Om reformasjonens
teologlske prlnslpp som ökumenlsk problem (Svensk teologlsk
kvartalskrlft 1973, S. 153-161).
RELIGIONSWISSENSCHAFT
Gilsenan, Michael: Saint and Sufl in Modern Egypt. An
Essay in the Sociology of Religion. Oxford: Clarendon
Press; London: Oxford University Press 1973. VII,
248 S., 1 Taf. 8° = Oxford Monographs on Social An-
thropology, ed. by M. Freedman, B. E. B. Fagg, A. C.
Mayer, E. Ardener. Lw. E 4,75.
In letzter Zeit sind eine Reihe von Werken erschienen,
die sich mit der Institution der mystischen Bruderschaften
im Islam (Trimingham, The Sufi Orders in Islam)
oder mit modernen Führern des mystischen Islam (M.
Lings, A Sufl Saint of the Twentieth Century) befassen.
Das vorliegende Werk des jungen britischen Wissenschaftlers
bezeichnet sich als eine .soziologische' Studie,
unterscheidet sich aber von vielen anderen Büchern dieser
Art durch seine lebensvolle Darstellung, die niemals
in reine Theorie abgleitet. Gilsenan studiert die ägyptische
Bruderschaft der Hämidiya Shädhiliya, einen verhältnismäßig
jungen Orden, der erst 1926 vom Supreme
Sufl Council anerkannt worden ist, obgleich er natürlich
auf die klassische Schadhiliya des 13. Jahrhunderts zurückgeht
. Er wählte diesen Orden als Modell, weil er, im
Gegensatz zu allen anderen Bruderschaften, noch einen
ständigen Zuwachs an Mitgliedern verzeichnen kann und
interessante organisatorische Lösungen entwickelt.
Gilsenan geht zunächst (Saint and Founder) auf das
Leben des Gründers Saläma ibn Hasan (1867—1940) ein,
der, aus kleinen Verhältnissen stammend und dann in
der Verwaltung arbeitend, mit einem .tiefen missionarischen
Eifer' seine religiösen Ideale in die Tat umsetzte;
er scheint ein Mann von starker Anziehungskraft gewesen
zu sein, dem natürlich auch Wunder zugeschrieben
werden. — Es folgt Saints Day, eine Klassifikation
der m ü 1 i d s (Heiligenfeste), von denen Gilsenan vier
Arten unterscheidet; hier ist eine prachtvolle Schilderung
des m ü 1 i d in Tanta hervorzuheben. Auch für die
Mitglieder der Hämidiya Shädhiliya bietet der Gedenktag
an den Gründer eine gute Gelegenheit, ihre Zusammenarbeit
zu beweisen; die Aufstellung zahlreicher
Zelte, eine in perfekter Ordnung durchgeführte Prozession
dienen dazu, das Gemeinschaftsgefühl zu manifestieren
und die Bindung an den Gründer und seinen
Sohn, den jetzigen Scheich, zu festigen. Für viele ist das
m ü 1 i d das wichtigste Fest im Jahresablauf, für dessen
Erfolg jeder sein Bestes tut.
Im folgenden Kapitel (The Structure of the Sufl Orders
) wird der hierarchische Aufbau des Ordens untersucht
. Im Gegensatz zu den meisten Orden, die mehrfache
Mitgliedschaft akzeptieren, verlangt die Hämidiya
ausschließliche Hingabe an diesen einen Orden. Der
Scheich muß die Qualitäten des Lehrers und des Arztes
vereinigen, eine Definition, die schon im klassischen Su-
fismus bekannt ist. Das Management wird von einem
komplizierten Stab ,unbezahlter Manager' ausgeführt;
die Wichtigkeit einer gut funktionierenden Bürokratie
dürfte Saläma wohl in seiner eigenen Arbeit in der Verwaltung
kennengelernt haben.
Der Orden ist durch formelle und informelle Kontrolle
gegen die Außenwelt abgesichert; typisch dafür ist das
detaillierte Gesetz, das im Anhang übersetzt ist. Vom
Eid auf den Scheich bis zur Berichterstattung über jedes
Zentrum innerhalb und außerhalb Kairos ist alles ge-
naustens geregelt; offizielle Visiten höherer Mitglieder
des Ordens dienen zur Überwachung der Brüder. Konflikte
sollen tunlichst im persönlichen Gespräch beigelegt
weiden; für kleinere Vergehen, wie etwa das Nicht-Rezi-
tieren der für den Morgen vorgeschriebenen Gebetsformeln
, werden Strafen verhängt; für größere Vergehen
gibt es eine Art .Bekenntnis' vor dem Scheich oder den
Brüdern. Besonders wichtig ist das zu jeder Zeit korrekte
Benehmen, adab, durch das Spannungsmomente ausgeschaltet
werden können: die außerordentliche Bedeutung
des Sufl-adab für die gesamte mittelalterliche islamische
Kultur kann nicht hoch genug eingeschätzt werden; und
für Mitglieder, die aus ungeschliffener Umgebung kommen
, wird durch die Anleitung zum korrekten Sprechen
und Essen ein Tor zum sozialen Aufstieg aufgetan. Gegenseitige
Besuche gehören zum Erziehungsprogramm
und stärken das Gemeinschaftsgefühl, so daß der Bruder
in den Umwälzungen der Gegenwart sich doch immer geborgen
weiß in der Freundschaft seiner .Brüder in Gott'.
Eine Abschirmung gegen die feindliche Außenwelt (traditionelle
Gelehrte, verwestlichte Kritiker) erfolgt durch
strenges Festhalten an der orthodoxen Lebensführung
und durch Ablehnung aller übertriebenen Manifestationen
von Entrückung oder Ekstase, wie etwa das in der
Rif a 'iya vorkommende Glasessen und die Selbstverwundungen
.
Unter dem Thema „Social Ethic and Recruitment" diskutiert
Gilsenan die Wichtigkeit strikter Pflichterfüllung
im Beruf sowie das starke Bruderschaftsgefühl, das dazu
führt, daß neu hinzukommende Brüder in der Hämidiya
eine Art Familie finden, die sich ihrer ebenso oder noch
mehr annimmt wie ihre Sippe auf dem Dorf. Daher ist
die Anziehungskraft des Ordens besonders stark für solche
, die aus kleinen Verhältnissen in eine neue Umgebung
kommen; dann wird, zum Teil durch Heirat innerhalb
der Bruderschaft, ein Familienkern gebildet; für die
Heranwachsenden wird besonders gesorgt, da sie später
den Orden tragen werden.
Vielleicht das interessanteste Kapitel ist dem Ritual
gewidmet. Der dhikr, das Gottgedenken, seit alters her
das Zentrum mystischer Andacht, spielt in den Versammlungen
der Hämidiya eine besondere Rolle, löst
sich aber nie in wilder Ekstase auf, wie das bei anderen
Orden der Fall sein kann (so das Beispiel der Ahmadiya
Idrisiya in Assuan). Der dhikr beruht auf den Namen
Gottes aus dem .Thronvers' (Sura 2/256), die seine absolute
Transzendenz betonen, und gipfelt im Hu ,Er', dazu
werden Hymnen an die Heiligen gesungen. Die ganze
Sitzung ist genau reguliert, und es wird streng darüber
gewacht, daß keine Auswüchse vorkommen (ähnlich wie
bei den Tanzenden Derwischen ein Bruder das Tempo
der individuellen Drehungen überwacht und notfalls
durch Berühren des Rocksaums leicht bremst). Gilsenan
gibt eine ausgezeichnete, ins religiöse und menschliche
Zentrum vorstoßende Analyse der Erfahrung dieser liturgischen
Feier.
Für den Religionshistoriker ist das Buch eine Fundgrube
. Obgleich der Autor die klassischen Quellen des
Suflsmus nicht zitiert, steht alles, was er schreibt, genau
in der Tradition der tausendjährigen mystischen Erziehung
im Islam. Seine soziologische scharfsinnige Analyse
wird es dem Islamisten leichter machen, gewisse
Phänomene des klassischen Suflsmus besser zu verstehen
; sie ist auch für verwandte Strukturen in der Türkei
und Indo-Pakistan anwendbar.
Einige Schönheitsfehler haben sich bei der Umschrift
arabischer Termini eingeschlichen (st. 'itiraf L i'tiräf, st.
Anawarti 1. Anawati, etc.). Doch das tut dem Wert dieses
ausgezeichneten Buches keinen Abbruch.
Cambridge, Mass. Annemaria Schimmel
Grumach, Irene: Untersuchungen zur Lebenslehre des
Amenope. Berlin: Deutscher Kunstverlag 1972. VII,
198 S., 42 S. Anhang 4° = Münchner Ägyptologische
Studien, hrsg. von H. W. Müller, 23.